Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II
DTM für die Straße: 190 Evo wird 30
Ellen Lohr schrieb auf einem Mercedes 190 E-16 2.5 Evo II mit einem Rennsieg in der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft (DTM) Motorsportgeschichte. Auch ihr Fahrzeug ist heute Legende. Wie war das damals?
18.03.2020 Franz-Peter HudekDas Hockenheimer Motodrom drohte überzukochen. Als der silberne Berlin-2000-Mercedes mit der Startnummer fünf aus der Auslaufrunde zurückkam, krachten neben der Rennstrecke Böller los. Die Zuschauer auf den Tribünen waren von ihren Sitzen hochgesprungen. Sie johlten und pfiffen, klatschten vor Begeisterung.
Ellen Lohr holt einzigen DTM-Sieg einer Frau
Dann strömten sie während der Pause bis zum zweiten Rennen scharenweise in das Fahrerlager zur AMG-Box, denn alle wollten sie sehen: Ellen Lohr, die erste Frau, die gerade einen Lauf zur Deutschen Tourenwagenmeisterschaft (DTM) gewonnen hat. Noch keiner Renn-Amazone ist das seit 1984, dem Premierenjahr der DTM, bis heute gelungen.
Die beiden gut 40 Minuten langen Rennläufe auf dem kurzen Hockenheim-Kurs entfachten jeweils einen Mini-Tornado. Exakt 28 Renntourenwagen – Audi V8 Quattro, BMW M3, Mercedes 190 E und Ford Mustang – jagten Stoßstange an Stoßstange in jeweils oft nur 65 Sekunden pro Runde über die Start-und-Ziel-Linie. Die Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II waren für das Rennen im heißen Hexenkessel wie geschaffen und fuhren in einer eigenen Liga.
Das Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II-Quintett Klaus Ludwig, Keke Rosberg, Kurt Thiim, Bernd Schneider und Roland Asch machten die Pace, Ellen Lohr hängte sich problemlos dran. Dann rutschten Ludwig, Asch und Schneider auf einem Ölfleck von der Piste und Ellen Lohr nach vorn auf Rang drei. Nach dem Ausfall von Thiim lag nur noch ihr kampferprobter Teamkollege Keke Rosberg vor der Mönchengladbacherin. Sie überholte den Finnen in der drittletzten Rennrunde und gewann das Rennen.
2010 trifft Ellen Lohr den Evo 2 wieder
Wieder in Hockenheim, 18 Jahre danach, im Spätherbst 2010. Es gilt, ein Doppeljubiläum zu dokumentieren, sogar ein bisschen zu feiern: 20 Jahre Mercedes 190 E 2.5 Evo II und 25 Jahre Rennsport-Profi Ellen Lohr. Dazu trafen sich die beiden Tourenwagen-Helden erneut im Motodrom, um einige Runden zu fahren und Erinnerungen aufzufrischen. Anstelle des silbernen Berlin-2000-Renners, der für die glücklose Bewerbung Berlins als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele warb (Sidney siegte), wartet diesmal ein Serien-Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II im Top-Zustand auf die Rennfahrerin.
Drei Mal so teuer wie ein 190E 1.8
Der nur in Blauschwarz ausgelieferte, 235 PS starke Flügelstürmer Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II zählt heute zu den begehrtesten Mercedes-Youngtimern, dessen Wert in dem hier gezeigten makellosen Verkaufsraum-Zustand locker bei 150.000 Euro liegen kann. Neu hat das 500 mal gebaute Homologationsmodell 115.259,70 DM gekostet. Ein Basis-190 E 1.8 steht für ein Drittel der Summe in der Preisliste. Heute ist der Unterschied ungleich größer: Gut erhaltene 190E sind für rund 5.000 Euro zu haben.
DTM-Straßenversion mit Komfort und Power
Ellen setzt sich in den Wagen, stellt Sitz und Spiegel ein – Erinnerungen werden wach: "Die Mercedes-Werksfahrer hatten den Evo II als Dienstwagen für die Anreise zu Presse-Events und auch zu einigen Rennstrecken. Am Anfang war mir der große Heckspoiler etwas peinlich, aber dann haben wir die schnellen und bequemen Wagen sehr geschätzt."
Die Straßenversion der Renn-Evos hat nämlich einiges an Ausstattungskomfort zu bieten: Klimaanlage, vier elektrische Fensterheber, CD-Radio mit Soundsystem und vier üppig dimensionierte Sporteinzelsitze. Dazu die schicken Stoffbezüge im klassischen Mercedes-Rennkaro-Design auf den Sitzen und den Türverkleidungen des Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II.
Warum der Flügel des Evo II so hoch ist
Evo II-Besitzer Ferdinand von Kageneck berichtet, wie es zu dem hohen Heckflügel kam, der für Serienautos neue Maßstäbe setzte: "Das Kraftfahrtbundesamt war für die extreme Höhe verantwortlich. Es forderte, dass ein Fußgänger zwischen Spoiler und Kofferraumdeckel bei einem Unfall hindurchrutschen konnte." In der Schweiz durfte in einigen Kantonen der hohe Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II-Heckflügel nicht verwendet werden, weshalb Mercedes dort die Autos mit dem niedrigeren Flügel des Evo I auslieferte.
Doch nicht nur der doppelt verstellbare, sehr dominante Heckflügel, sondern auch die ebenfalls verstellbare Frontspoilerlippe, die aufgesetzten Kotflügelverbreiterungen und der teilweise verkleidete Unterboden machen den Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II zum wohl spektakulärsten Serien-Mercedes bis zum Erscheinen des SLR-McLaren von 2004.
Durch diese Modifikationen, die laut DTM-Reglement auch an 500 Serienautos durchgeführt sein mussten, erhöhte sich der Abtrieb und damit das Tempo in Kurven. Bis zu 57,1 Kilogramm beträgt der Abtrieb an der Vorderachse. Vorn sind es laut Mercedes-Benz bis zu 21,2 Kilogramm. Unter den Kotflügelverbreiterungen verbergen sich 245/40er-Reifen auf 17-Zoll-Felgen mit üppig dimensionierten Bremsen. Designer Bruno Sacco, der die zierlich-elegante 190er-Basis-Karosserie entwarf, zeigte wenig Gefallen an deren Mutation zum Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II. So bezeichnete Sacco die Sechs-Speichen-Felgen wohl in Anlehnung an das berühmte Ben Hur-Wagenrennen als "Kampfrad".
Handlichster und kurvenfreudigster Mercedes
Ellen Lohr hat sich nach einigen flotten Runden warm gefahren. Ihr Urteil über den 1990 erstmals präsentierten Youngtimer: "Der Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II ist noch heute ein attraktives Auto. Der große Vierzylinder hat ordentlich Dampf, läuft vibrationsarm, zieht prima durch und dreht locker bis fast 8.000/min. Auch die Bremsen packen sogar für heutige Maßstäbe ordentlich zu."
Der letzte von Mercedes-Ingenieuren entwickelte DTM-Motor leistet im Renneinsatz bis zu 373 PS. Der Dampf kommt aus der Drehzahl und dafür ändert das Team um Motorenentwickler Jör Abthoff einiges am vom M 102 abgeleiteten 16-Ventiler: Der Hub ist kürzer, die Bohrung größer als beim Motor des 2.5-16. Statt einer Duplex-Steuerkette treibt eine einfache Kette die beiden Nockenwellen an. Vier statt acht Kurbelwellengegengewichte und reduzierte Pleuelgewichte senken die bewegten Massen, erhöhen so die Drehfreude. Nach dem 16-Ventiler übernimmt AMG die Rennmotoren-Entwicklung von Mercedes.
Damals sei der Evo II, so die Rennfahrerin, der handlichste und kurvenfreudigste Serien-Mercedes gewesen – trotz des relativ hohen Gewichts und der komfortablen Fahrwerksabstimmung: "Mein Renn-Evo", sagt Ellen, "war natürlich um gut 300 Kilogramm leichter und deutlich kompromissloser für die Rennstrecke abgestimmt. Bis auf die Servolenkung hatten wir damals null Komfort, und in den Autos wurde es unglaublich heiß."
Keke Rosberg schoss Ellen Lohr in der ersten Kurve ab
Auch in Hockenheim vor 28 Jahren lagen die Temperaturen im Motodrom an diesem 24. Mai bei über 30 Grad. Fast jeder Rennfahrer stieg wie ein Boxer nach dem Sparring mit patschnassen Haaren aus dem Auto und schlurfte mit einem Handtuch um den Nacken durch das Fahrerlager. Keke Rosberg, der von Ellen Lohr geschlagene Teamkollege, wirkte bei der Siegerehrung, als er Ellens Freundschafts-Bussi erdulden musste, besonders erschöpft. Aber wohl mehr psychisch als physisch. "Das hat den Keke natürlich gewurmt, dass er ausgerechnet von seiner Teamkollegin überholt wurde", erinnert sich Ellen. Dabei war ein Sieg von ihr überfällig. Ein zweiter Platz im Rennen zuvor mit dem Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II auf der Avus zeigte die Top-Form der tapferen Mercedes-Lady.
Keke Rosberg, Formel 1-Weltmeister des Jahres 1982, wollte aber eine zweite Niederlage im zweiten Rennen auf jeden Fall vermeiden. Er verbremste sich im Rad-an-Rad-Duell mit Ellen bereits in der ersten Kurve. Sein silberner Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II rutschte nach außen und schob Ellens 190er ins Kiesbett. Keke blieb dort stecken. Ellen konnte zwar weiterfahren und kämpfte sich bis auf Platz acht vor – doch dann gab auch sie mit defekter Lenkung auf.
Wie heißt es doch im Originalprospekt des Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II: "Der Grat zwischen dem ganz vorn dabei sein und dem beinahe unbeteiligten Hinterherfahren ist so schmal wie der Flügel einer jungen Libelle."
Ellen Lohr – 35 Jahre Rennsport
Nach dem Kartsport kam 1985 der Einstieg in die Formel-Ford-Rennserie, wo sie 1987 Deutscher Meister wurde. Es folgten zwei Jahre in der Deutschen Formel 3-Meisterschaft mit Gegnern wie Michael Schumacher und Heinz-Harald Frentzen. Sensationeller 2. Platz beim Formel 3-Rennen in Monaco.
Ab 1987 erste DTM-Einsätze im BMW M3, von 1991 bis 1996 DTM-Pilotin in verschiedenen Mercedes-Teams. Danach Truck-Europameisterschaft, Deutsche Tourenwagen-Trophäe und mehr. Seit 2004 Offroad- und Rallye-Einsätze, auch Rallye Dakar und Deutsche Rallye-Meisterschaft.