Lancia Stratos, Porsche 911, Renault Alpine A110
3 Helden der Rallye Monte Carlo
Um die Rallye Monte Carlo zu gewinnen, durfte man nicht zimperlich sein. Drei der Mutigsten stehen sich nun gegenüber - Lancia Stratos HF , Renault Alpine A110 und Porsche 911 S. Drei der legendären Rallyeautos, die sich mit ihrer Teilnahme bei der Monte in die Hirnhaut jedes Motorsportfans brannten.
22.01.2015 Michael SchröderUm die Rallye Monte Carlo zu gewinnen, durfte man nicht zimperlich sein - was besonders für die legendäre Nachtetappe hinab vom Col de Turini galt. Drei der Mutigsten von damals stehen sich nun gegenüber - Lancia Stratos, Renault Alpine A 110 und Porsche 911 S. Der Flughafen Würzburg-Schenkenturm ist ein friedlicher Ort. Ein Tower, drei Hallen, eine gemütliche Gaststätte und eine 700 Meter messende Start- und Landebahn oberhalb der Stadt am Main. Flugverkehr? Fehlanzeige. Zumindest nicht an einem Wochentag morgens gegen zehn. Da hoppeln bestenfalls ein paar Hasen über das Gelände für Sportflieger.
Ein Klanginferno von brutaler Schönheit
Doch als ein wütender Porsche 911 S über die Bahn stürmt, gefolgt von einem aggressiv fauchenden Lancia Stratos HF und einem brachial laut brüllenden Renault Alpine A 110, ist es mit der Ruhe definitiv vorbei. So lange niemand starten oder landen will, hat die Flughafenleitung für ein Fotoshooting ausnahmsweise einmal freie Fahrt auf der Rollbahn gestattet - für die Fahrer der drei Sportwagen gefühlsmäßig in etwa vergleichbar mit einem Sechser im Lotto.
Wer beim Wendemanöver am Ende der Bahn für einen kurzen Moment in die glänzenden Augen der Piloten blickt, verkneift sich automatisch die nahe liegende Frage, ob ein simples Stück Asphalt, das gänzlich ohne Kurven oder Kuppen auskommt, einem engagierten Fahrer überhaupt Spaß machen kann. Dass die Herren am Lenkrad, und das schließt den Autor dieser Zeilen mit ein, kurz vor Sonnenuntergang schließlich mit sanfter Gewalt vom Gelände getrieben werden mussten, sei nur am Rande erwähnt. Bis dahin ist dieses Trio zigmal in enger Formation über die Bahn geflogen. Brav und ohne Spielereien für den Fotografen, klar. Umso ausgelassener dagegen in den Pausen. Wenn ein Stratos HF, ein Alpine A 110 und ein 911 S aufeinander treffen, brennt ganz einfach die Luft. Als Zweiter am anderen Ende der Rollbahn ankommen? Inakzeptabel. Für jeden dieser Sportler. Und für das Ego der jeweiligen Fahrer.
Größte Gemeinsamkeit sind Rallye-Erfolge und Motor hinten
Dass die Betreiber des Flughafens das ungewohnte Geschehen auf ihrem Gelände toleriert haben, kann nur an dieser verwegenen Fahrzeugmischung gelegen haben. Deren zwei größte Gemeinsamkeiten sind den Gastgebern geläufig: Motor hinterm Fahrer und Rallye-Klassiker.
Diese drei haben ihrerzeit so ziemlich jeden wichtigen Titel erobert. Niemand, der auch nur einen Tropfen Benzin im Blut hat, würde dieses Trio vom Hof jagen. Menschen, die mit Flugzeugen zu tun haben, gehören zum Glück dazu. Den Sportfliegern gefällt besonders der gelbe Lancia. Kein Wunder, möchte man meinen. Ein insgesamt nur 500 Mal gebautes Fahrzeug steht nicht an jeder Ecke herum. Doch die spontane Zuneigung hat einen anderen Grund: Mit so einer Glaskanzel als Windschutzscheibe geht dieser Wagen rein optisch als (flügelloser) Jet durch. Die Blicke wandern lange um die von Bertone entworfene, extrem keilförmige Karosserie.
Lancia Stratos ist ein kompromissloses Sportgerät
Die noch extremere Urform, vom Designer 1970 beim Turiner Automobilsalon präsentiert, hatte es Lancia-Direktor Ugo Gobatto und seinem Sportchef Cesare Fiorio spontan angetan. So, da waren sich die beiden sicher, muss der Nachfolger für das im Rallye-Sport inzwischen lahmende Fulvia-Coupé aussehen. Ein Jahr später läutete Lancia ein neues Rallye-Zeitalter ein: Der Stratos, der nun die Handschrift des jungen Designers Marcello Gandini trug, wurde mit nahezu ungebremsten Freiheiten und ohne vorgegebenes Chassis kompromisslos für diesen Sport gezüchtet - so etwas hatte es bisher nicht gegeben. Das technische Layout sah einzig einen kurzen Radstand, niedriges Gewicht und kompakte Abmessungen vor. Mit der endgültigen Form und dem quer hinter dem Fahrer eingebauten 190 PS starken Ferrari-V6-Triebwerk verfügte der Konzern schließlich über eine spektakuläre Mittelmotorrakete.
Im optisch wie technisch mächtig aufgeblasenen Renntrimm mit über 300 PS war ab 1974 dagegen lange Zeit kein Kraut gewachsen. Doch selbst die vergleichsweise nackte Serienversion lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier um ein reinrassiges Rennpferd mit Prototypencharakter handelt.
Lancia Stratos ist radikal und knack-eng
Die mit Stahlblech verkleidete Fahrgastzelle des Lancia Stratos wird durch einen verwindungssteifen Rohrrahmen in Form gehalten. Nur eine Handbreit hinter dem Steuermann hängen Motor, Getriebe und die mehrfach einstellbare Hinterradaufhängung in einem imposanten Kastenrahmen, der an eine Konstruktion von Fischertechnik erinnert. Ist die voluminöse Kunststoffhaube im Heck erst einmal geöffnet, präsentiert sich die Technik so offenherzig wie das Dekolleté der Sophia Loren. Genau so baut man Rennautos.
Im engen Cockpit des Lancia Stratos, dessen Dach gottlob gepolstert ist, weil es ohne Kopffreiheit auskommt, herrscht dank der blauen Alcantara-Sportsitze und des grauen Teppichbodens fast schon gediegene Club-Atmosphäre. Doch wie sich der baumlange Walter Röhrl über den breiten Schweller da hineingezwängt hat, wird vermutlich für immer ein Rätsel bleiben.
Zündung. Das aggressive Fauchen des Triebwerks weckt bereits im Stand sämtliche Urinstinkte des Fahrers. Jeder weitere Gasstoß wird vom Körper wie eine Dosis Adrenalin absorbiert. Besser, man steigt gleich wieder aus, bevor man Haus und Hof für diesen exklusiven Wagen inseriert. Doch während der Kopf noch abwiegt, hat der Bauch längst geschaltet, schießt der Lancia Stratos wie ein Jet über die Bahn.
Laut, hemmungslos, fordernd. Wenn's drauf ankommt, pfeilt dieser Wagen in 6,8 Sekunden auf Tempo 100. Doch dafür braucht man Hände wie Schraubstöcke: Ein Lancia Stratos zickt wie ein übellauniger Teenager, sobald man das Ruder auch nur betrachtet – Tribut an den Verbund aus Mittelmotor und ultrakurzem Radstand. Demut keimt auf. Vor den Burschen, die sich mit diesen Boliden an den Start einer Rallye gewagt haben.
Karosserie der Renault Alpine A 110 wiegt nur 27 Kilogramm
Fahrzeugwechsel. Raus aus dem Lancia Stratos und rein in die Alpine 1600 S A110 (Baujahr 1973). Doch Einsteigen ist für die Übung, die bei dem blauen Sportler aus dem nordfranzösischen Dieppe erforderlich ist, eindeutig der falsche Begriff. Mühevolles Einfädeln trifft diesen Vorgang schon eher. Bestenfalls ein durchschnittlich gewachsener Sechstklässler dürfte in der Lage sein, seine Beine ohne größeres Verrenken unter dem Lenkrad hindurch in Richtung der Pedalerie zu bugsieren. Gegen die Platzangst erzeugende Enge in einer Alpine wirkt selbst der winzige Stratos-Innenraum wie eine Turnhalle. Heimeliger ist der Lancia obendrein. Vieles im Renault erscheint improvisiert.
Die lausige Verarbeitungsqualität der Alpine A110 wurde schon in auto, motor und sport (4/1972) bemängelt. Macht aber alles nichts. Wie die Tatsache, in einem nur 113 Zentimeter hohen Wagen natürlich nicht aufrecht sitzen zu können. Man liegt vielmehr in knapp bemessenen Schalen gerade eben über dem Asphalt und betrachtet die Welt von nun an von unten. Für Jean Rédélé, den Vater der Alpine, kam als Sportwagen nur ein Minimalist in Frage - möglichst geringe Abmessungen und möglichst wenig Material. "Eines Tages kam man in Frankreich auf die Idee, zwei liegende Männer mit Kunststoff zu überziehen und auf Räder zu stellen ...", schrieb der österreichische Journalist Herbert Völker treffend über diesen Wagen.
Tatsächlich sind Fahrzeugboden und die dünne Karosserie der Alpine A110 ausschließlich aus Kunststoff gefertigt. In der Rennversionen wiegt das feine, in seiner ursprünglichen Form von Michelotti gemalte Kleid gerade einmal 27 Kilogramm.
Der kleine Alpine-Motor brüllt wie ein Löwe
Gewicht sparen an jeder Ecke - das galt bei der Alpine A110 auch für das Chassis: Mehr als ein längs liegendes Zentralrohr mit den Aufnahmen für die Vorder- und die Hinterachse sowie einem Hilfsrahmen aus Rechteckrohren für Motor, Getriebe und Differenzial sucht man bei einer Alpine vergebens. Leistung irgendwie auch. Der dem Renault 16 TS entliehene Vierzylinder-Motor mobilisiert aus 1,6 Liter Hubraum für einen potenziellen Sportwagen auf den ersten Blick recht bescheidene 110 PS. Doch was damit möglich ist, wenn Gewicht und cW-Wert praktisch keine Rolle spielen, glaubt im ersten Moment kein Mensch: In 7,3 Sekunden ist Tempo Hundert erreicht. Und wenn's sein muss, flutscht diese 820 Kilogramm leichte Flunder mit 221 Sachen unterm Wind hindurch.
Damit verfügten die französischen Rallye-Piloten über eine standesgemäße Waffe: In der Vor-Stratos-Ära zwischen 1971 und 1974 landeten die im Renntrimm bis zu 160 PS starken Plastikbomber regelmäßig auf den vorderen Plätzen. Der erste schnelle Turn in der kleinen Französin. Erster, zweiter, dritter Gang - wow! Dieses Motörchen brüllt wie ein eifersüchtiger Löwe, der einen Nebenbuhler aus seinem Revier vertreiben will. Und gefühlte 300 PS im Heck. Mindestens. Ab etwa 6.000 Umdrehungen geht's in der Alpine A110 dann richtig zur Sache.
Eine startende Concorde machte da kaum mehr her. Den wenigen Zaungästen scheint dieser akustische Overkill zu gefallen. Anerkennendes Nicken auch beim Fahrer. Mehr noch als der Lancia Stratos vermittelt die Alpine A110 das grandiose Gefühl, in einem Wettbewerbsfahrzeug zu sitzen. Bis zur ersten Sonderprüfung mit einer Alpine sollte sich der Fahrer jedoch ein wenig Zeit lassen. Stichwort Heckmotor. Und Pendelachse. Eine bei hektischen Lastwechseln kritische Paarung. Oder bei einem schnell gefahrenen Wendemanöver am Rollfeldende. Der Hintern kündigt rasch seine Neigung auf eine spontane Kehrtwende an. Erste Hilfe leistet in solchen Momenten die überaus direkte Lenkung einer Alpine A110. Nur eine kleine Drehung zurück genügt, um den Puls wieder zu beruhigen. Der Grad zwischen Schnell sein und Abfliegen dürfte dennoch ein sehr schmaler sein. Ab zum Porsche.
Porsche 911 überzeugt mit Handlichkeit, Nutzwert und Zuverlässigkeit
Aus der Alpine-Perspektive (von schräg unten) erscheint der Porsche 911 S von 1970 so riesig wie ein Omnibus. Sekunden später stellt sich das Gefühl ein, tatsächlich einen zu besteigen, weil man sich hier nicht wie ein Schweizer Messer zusammenfalten muss. In der aufgeräumten Kabine geht's genauso komfortabel weiter: Die vergleichsweise aufrechte und bequeme Sitzposition, die gepolsterten Türverkleidungen, der Instrumententräger aus wertigem Kunststoff sowie der üppig verteilte Teppichboden vermitteln trotz aller Nüchternheit fast schon den Eindruck, sich in einer Reiselimousine und nicht in einem Sportler zu befinden.
Fürs Gepäck bieten sich die beiden Notsitze und ein veritabler Kofferraum im Fond des Porsche 911 S an. Brötchen holen? Oder gleich zum Nordkap? Alles kein Problem. Nutzwert und Zuverlässigkeit standen im Lastenheft ganz oben. Die Stuttgarter Sportwagen-Ikone wirkt zwischen der Alpine und einem Stratos so vernünftig wie ein VW Golf - kein anderer Wagen meistert den Spagat zwischen Alltagsauto und Rennwagen so souverän. Optisch kommt er ohnehin weitaus weniger draufgängerisch daher als die beiden schrillen Exoten aus Italien und Frankreich.
Die Linie des Porsche 911 ist zeitlos
An der einst von Ferdinand Alexander Porsche gezeichneten, einmaligen Linie verbietet sich allerdings auch jegliche Effekthascherei. So ist dieser Porsche 911 S auf jeden Fall eines - zeitlos. Und ab 1967 als Werks-Sportler natürlich ein Abräumer bei allen wichtigen Rallyes. Mit dem 1969 eingeführten 2,2-Liter-Motor war Porsche ein Jahr später schließlich Markenweltmeister - mit zwei Punkten Vorsprung vor den stärker werdenden Renault Alpine.
Die letzten Turns über die Rollbahn stehen an. Der hoch verdichtete Einspritzer aus Leichtmetall röchelt verheißungsvoll im Standgas vor sich hin. Unverkennbar Porsche Boxer. Tausendmal gehört. Und immer wieder eine Offenbarung. Besonders, wenn das stehende Gaspedal des Porsche 911 S in Richtung Boden gedrückt wird und 180 PS nur allzu gern ihre Arbeit aufnehmen.
Hemmungslos schießt der Porsche 911 S davon, setzt mit einem Schlag alle ins Blech gehauenen Sportlergene frei. Das Röhren des Sechszylinders oberhalb von 5.000 Umdrehungen sorgt für Gänsehaut und betäubt endgültig die Sinne. 7,8 Sekunden bis Tempo hundert. Damit kann man sich an jeder Ampel sehen lassen.
Der älteste Wagen des Trios ist mit 1.110 Kilogramm gleichzeitig auch der schwerste. Und doch überzeugt der ewig junge 911er mit einer grandiosen Handlichkeit. Diese Schnauze zwischen den beiden Kotflügelhörnern giert förmlich nach der nächsten Ecke. Die Angst, am Ende der Kehre verkehrt herum dazustehen, hält sich jedoch in Grenzen. Bis das Heck ungewollt abdriftet, muss der Porsche 911 S schon heftig geärgert worden sein. Eine Handvoll leidenschaftliche Fahrmanöver sind noch drin, bevor sich die Sonne endgültig verabschiedet. Dann herrscht wieder Ruhe am Schenkenturm.