Lamborghini Miura und Aventador
Treffen der Brutalsten
Mehr als nur eine Heldengeschichte rankt sich um den Lamborghini Miura, der vor 50 Jahren auf den Markt kam. Wir kurven ihn und seinen Urenkel Aventador über die Testrouten der 60er- und 70er-Jahre.
22.12.2017 Marcus PetersUnterwegs auf den Spuren des berühmtesten Werksfahrers der Marke mit dem Stierlogo. Im berühmtesten Lamborghini, dem Miura SV. Und wir haben seinen wildesten Nachfolger im Schlepptau, den Aventador SV. Wir verschnaufen dort, wo sich Lamborghini-Testfahrer schon in den 70ern kurz erholt haben. Vom Berg. Von den Kurven. Von den biestigen Zwölfzylindern. Hier, an der Antica Osteria Ponte Samone, ließ Valentino Balboni seinen Miura SV austickern, traf die Kollegen von Maserati und Ferrari auf einen Caffè.
Lamborghini Miura, der schönste Lambo aller Zeiten
Es zieht einen zwangsläufig in die Berge, wenn man im Bologneser Flachland Sportwagen konstruiert. Denn die fade Tiefebene rund um Sant’Agata Bolognese kennt praktisch nur Geraden und rechtwinklige Abbiegungen. Eine Streckenführung im eigentlichen Sinne gibt es erst in den Ausläufern des Apennin: Hier oben finden sich jene Kurven, die Heldengeschichten zeugen.
Wir starten am Werk in Sant’Agata, lassen uns mit dem Fluss Panaro Richtung Hügelkette treiben, touchieren zunächst das Panorama, stechen dann mitten hinein. Erster Eindruck: Der Aventador durchbohrt die Hügel auf der Suche nach dem schnellsten Weg, während der Miura sanft mit ihnen fließt. Noch besser, als einen Miura zu fahren, wäre es, sich dabei aus der Vogelperspektive zu beobachten. Wie der ultraflache Sportler scheinbar dem Asphalt entwächst, geschmeidig durch die Kurven strömt. Und aus heutiger Sicht richtig zierlich ist. So etwas ernsthaft Schönes wie den Miura gab es seitdem nie mehr. Vorher waren die Lamborghini, nun ja, weder schön noch ernsthaft. Danach trat vor allem ihre Brutalität in den Vordergrund, steigerte sich bis zum Aventador SV, der 750-PS-Bestie.
Schreiend gelb, brüllend laut
1971 reichten noch 385 PS, um sich das „Super“ vor dem „Sportwagen“ zu sichern. Wobei es diese Bezeichnung vor dem Miura nicht gab – die Ferrari waren noch als Frontmotor-GTs unterwegs. Der Lamborghini dagegen trägt seinen V12 quer vor der Hinterachse, ahmt damit die Balance eines Formel-1-Rennwagens nach. Er zwingt zur Achtsamkeit, zum Fahren im Augenblick. Da bleibt keine Zeit, auch nur an Infotainment, Konnektivität, Vernetzung oder ähnliche Scheinwelten zu denken. Das reale Autofahren fordert als Hauptbeschäftigung alle Sinne. Damit wird der Miura zum rollenden Mahnmal, das zwar schreiend gelb und brüllend laut auf sich aufmerksam macht, aber bei der Generation Smartphone mit seinem Anliegen kaum Gehör finden dürfte.
Im Miura dominiert die Mechanik. Diese muss der Fahrer niederringen. Am schlimmsten trifft es den Gasfuß: Sein Spann klemmt im spitzen Winkel fast am Schienbein, um das stehende Pedal zu erreichen. Es geht schwergängig, und sein Weg ist lang. Vielleicht sind die Heroen der Landstraße deshalb so schnell unterwegs gewesen, weil Vollgas den Fuß am besten entlastet? Bei der Sitzposition reflektiert der Miura die 60er, als die italienischen Autos von Italienern für Italiener entworfen wurden; Mitteleuropäer müssen in den Halbschalen unnatürlich kauern. Wenn der Abstand der Arme zum Lenkrad passt, krümmen sich die Beine in abnormer Biegung am Lenkrad vorbei. Keine gute Voraussetzung für einen heldenhaften Fahrstil.
Lamborghini Aventador SV zu schnell für die Straße
Dann die Überraschung: Der Miura lenkt selbst ohne Servounterstützung leicht, sogar präzise. Wie sperrig fahren dagegen doch die Zeitgenossen von Ferrari oder Maserati. Der Lambo aber tänzelt auf der Vorderachse, ändert in Wechselkurven zackig die Richtung, federt Unebenheiten aus, ohne an der Hinterachse zu bocken oder zu versetzen. Nur in Spitzkehren dreht das entlastete Hinterrad zuweilen durch.
Zeitsprung: Der Aventador übernimmt mechanische Schuftereien für seinen Fahrer, alles flutscht wie in einer Rennsimulation. Die Lenkung servounterstützt, das Bremspedal ebenso. Und fürs Schalten reicht der Paddelbefehl. Was der Fahrer beherrschen muss? Die Querkräfte. Das bedarf eher geistiger als körperlicher Fitness. Und guter Reflexe. Man braucht viel Erfahrung, um einen Aventador so schnell zu fahren, dass es erzählenswert wäre. So schnell, wie es die öffentlichen Straßen nicht erlauben. Im Miura bedeutet Angasen eher Todesverachtung; außer einem statischen Gurt gibt es kein Schutzsystem – nur das eigene Fahrkönnen.
V12 Symphonien von damals und heute
Beide können die Ruhe der Berge empfindlich stören. Der Miura fräst sich durchs Drehzahl- und Frequenzband – ohrenbetäubend überpegelt. Der Aventador ist ebenfalls markerschütternd laut, aber definierter im Ton, heult wie die Formel 1 der 70er, brabbelt im Schiebebetrieb und beweist, dass die Verbrennung in einem Hubkolbenmotor nur eine notdürftig gezähmte Explosion ist. Allerdings lärmt er mehr nach außen, wohingegen der V12 des Miura nach innen brüllt; nur eine Scheibe trennt hochdrehende Mechanik und Benzinleitungen vom Kopf des Fahrers. Heldenfahrten können schnell in Rauch aufgehen. Erwartungsgemäß heizt das Hochleistungstriebwerk die Fahrgastzelle auf tropische Temperaturen.
Linderung verschafft nur, das Fenster zu öffnen (immerhin elektrisch). Dann weht angenehm kühle Luft herein – mitsamt dem dröhnenden Ansaugtrompeten. Der Lufteinlass auf Höhe des linken Ohrs wird dabei zum Megaphon. Es gelingt kaum, den V12 zu beruhigen: Bei Standgas säuft er ab, niedrige Drehzahlen lassen ihn unwillig bocken, er verschluckt sich unter 2.500/min. Auch diese Eigenart dürfte die zeitgenössischen Testfahrer wie Balboni zum schweren Gasfuß verleitet haben. Es gibt Highspeed-Überlieferungen von 180 Sachen und mehr, welche die Miura durch die Felder in der Ebene erreicht haben. Heute gängeln Blitzer und Berufsverkehr den Vorwärtsdrang. Pech für den Aventador SV – er wurde in eine spaßbegrenzte Zeit hineingeboren. Wovon seine Heldengeschichten in 50 Jahren wohl handeln werden?