Lamborghini Jarama im Fahrbericht

Frontmotor-Lambo mit Zwölfzylinder-Power

Der spektakulärste Lamborghini seiner Zeit war der Jarama nicht, als er im Frühjahr 1970 vorgestellt wurde. Mehr als 50 Jahre später brilliert das Frontmotor-Coupé mit sensationellem Vierliter-Zwölfzylinder und dem Charme einer vergangenen Epoche.

Lamborghini Jarama Foto: Wolfgang Groeger-Meier 29 Bilder

Angebote, die man nicht ablehnen kann, gibt’s ja in Italien eigentlich immer, vor allem, wenn es um Essen oder Autos geht. So wie dieses hier: Ob man mit einem Lamborghini Jarama die Cento-Ore-Rallye fahren mag. Cento Ore? Nie gehört. Jarama? Natürlich! Gerade erst feierte der Frontmotor-Lamborghini sein 50-jähriges Jubiläum; ein Quartett-Held meiner Kindheit, wenngleich er in Sachen Höchstgeschwindigkeit, Leistung und Hubraum nicht zur ersten Garde gehörte.

Der nächste Jarama, der mir nach dem blauen Quartett-Auto begegnet, bollert irgendwann Ende der 70er-Jahre im Schritttempo aus einer Hofeinfahrt in der Corneliusstraße in Düsseldorf-Bilk in den Stadtverkehr. Die Einfahrt gehört zu Hubert Hahnes Autohaus, damals Lamborghini-Importeur für Deutschland, davor unter anderem Rennfahrer und Initiator der BMW-2002-ti-Sonderserie "Diana" – Stoff für viele weitere Geschichten. Ein anderes Mal, denn im dritten Jarama sitze ich nun selbst. 1.000 km Italien, inklusive zehn Sonderprüfungen und drei Rennstrecken liegen vor uns. Dieses Exemplar ist blau wie das Quartett-Auto, Blu Tahiti heißt der Farbton. Gebaut wird es 1973, dann von einem Mailänder Händler an einen Unternehmer aus Catania verkauft. Der Lambo wechselt noch ein paarmal den Besitzer, wird zwischendurch weiß lackiert und landet schließlich zur Jahrtausendwende, als Audi bei Lamborghini einsteigt, im Werksmuseum.

Dort steht er, darf viel zu selten raus, erzählt Massimo Delbo, Journalist und Autohistoriker, der mit seiner Mercedes-Heckflosse ebenfalls in der Gleichmäßigkeitsklasse der Cento Ore startet und unseren Lamborghini seit Jahren kennt. Also raus mit ihm. Es ist ein kühler Morgen in Rom, der Zwölfzylinder müsse sich erst warmlaufen, sagen die Mechaniker im gelben Urus. Die Zeremonie ist stets die gleiche: ein paarmal mit dem Gas pumpen, Choke ziehen, Schlüssel drehen. Dann heult der Anlasser auf, ein paar der Zylinder zünden und nehmen die restlichen mit.

14,5 Liter Mehrbereichsöl

Lamborghini Jarama Foto: Wolfgang Groeger-Meier
Fahrleistungen: 0–100 km/h 6,9 s, Höchstgeschwindigkeit 249,2 km/h: Messwerte ams Ausgabe 17/1971.

Der Vierliter-V12 brummt auf, entlässt ein blaues Wölkchen verbrannten Mehrbereichsöls aus den Endrohren. Warum auch nicht, der Ölvorrat in seinem Schmiersystem beläuft sich auf 14,5 Liter, da wird so schnell kein Mangel auftreten. Dann läuft der Jarama rund – und bleibt dabei erstaunlich leise. Mit ein paar Gasstößen wird er bei Laune gehalten, Choke rein, Leerlauf stabil. Die Autos in der Gleichmäßigkeitskategorie starten zum Schluss, das Teilnehmerfeld der Klassikrallye zeigt sich ohnehin coronabedingt geschrumpft.

Bleibt also noch Zeit, sich an den Lamborghini zu gewöhnen, bevor wir uns durch die römische Rushhour nach Norden aus der Stadt schlängeln. Eine Bedienungsanleitung benötigt man jedenfalls nicht, um sich im Jarama zurechtzufinden. Es gibt nur wenig zu bedienen, und alle nicht selbsterklärenden Elemente sind beschriftet. Auf Englisch, woran zu erkennen ist, dass der Jarama auf den internationalen Markt zielte. Daraus wurde nicht viel.

Nur 328 Autos entstehen bis Produktionsende 1976, davon 150 der zweiten Serie ab 1972. Wie dieses Exemplar aus dem Werksmuseum. Einer der Unterschiede der GTS genannten zweiten Serie zur ersten: die Servolenkung. Allzu leichtgängig ist sie freilich nicht, das glatte Holzlenkrad will mit kräftigen Handreichungen herumgewuchtet werden.

Das wirkt beim Langsamfahren in Rom etwas unhandlich. Und es wird beim Schnellerfahren am Monte Terminillo nicht unbedingt besser. So gibt sich der Jarama auf den engen Bergstraßen doch sperrig, trotz des sehr kurzen Radstands. Für die Verwendung im Jarama wurde das Fahrgestell des größeren Espada um 27 Zentimeter auf 2.380 Millimeter gekürzt. Damit ist der Radstand zwei Zentimeter kürzer als der eines VW Käfer oder eines Ferrari 250 SWB.

Nicht viel jedenfalls, wenn sich ein Vierliter-V12, zwei Premium- plus zwei Notsitze sowie ein kleiner Kofferraum den Platz teilen müssen. Die großen Überhänge passen nicht so recht zum gedrungenen, muskulösen Auftritt des Jarama, das muss auch Designer Marcello Gandini, damals in Bertone-Diensten, gewusst haben. Dass der kompakte Lamborghini seine Wirkung nicht verfehlt, liegt an der geringen Höhe (119 cm) und der flachen Schnauze dicht an der Straßenoberfläche. Doch auch am Einsatz designerischer Taschenspielertricks: eine kecke Luftabrisskante am Dachabschluss, eine Charakterlinie zwischen den Radläufen oder sich hinter halb verschlossenen Lidern verbergende Schlafzimmerblick-Scheinwerfer zum Beispiel.

V12 von Bizzarini

Lamborghini Jarama Foto: Wolfgang Groeger-Meier
Prachtstück vom ehemaligen Ferrari-Ingenieur Giotto Bizzarini: Zwölfzylinder-V-Motor, Hubraum 3929 cm³, Leistung 257 kW (350 PS) bei 7.500/min, max. Drehmoment 400 Nm bei 5.500/min.

Nun reicht es aber mit dem Design-Talk, denn jetzt, Freunde, dürfen wir über den Motor reden. Dass ein 50 Jahre alter Lamborghini mit einem besonderen Motor aufwartet, scheint kaum überraschend. Doch was diese Wärmekraftmaschine auf den folgenden 1.000 km mit dem Jarama und der Besatzung anstellt, ist ebenso einzigartig wie faszinierend.

Um die Entstehung des Zwölfzylinders ranken sich auch 60 Jahre nach dessen erster Verwendung einige Mythen. Jedenfalls beauftragt Ferruccio Lamborghini Anfang der 60er-Jahre den ehemaligen Ferrari-Ingenieur Giotto Bizzarini damit, einen V12 zu konstruieren, der alles besser können soll als die Zwölfzylinder der Konkurrenz – gemeint ist Ferrari.

Heraus kommt ein 3,5 Liter großer Motor mit vier Nockenwellen, mit sechs Doppelvergasern und über 350 PS stark. Der Hubraum wächst auf vier, später auf über sechs Liter, und der V12 bleibt bis zur Produktionseinstellung des Murcielago 2010 im Programm – woran sich erahnen lässt, dass das hier ein sehr besonderer Zwölfzylinder ist.

Rom und ein paar Apenninenpässe hat der Jarama bereits hinter sich, vor ihm breitet sich der Lago di Trasimeno aus, dahinter irgendwo liegt Perugia. Es geht mal wieder bergauf. Zurückschalten, mit Gefühl und Zwischengas, so mag es das sperrsynchronisierte Getriebe. Vollgas, der Jarama bebt los, und was der Zwölfzylinder dann zwischen 5.000 und 7.500 Umdrehungen veranstaltet, ist auch nach 50 Jahren ein großes Spektakel. Er brüllt auf, schiebt erst verhalten, dann immer schneller an, das Getöse der unzähligen mechanischen Teile zwischen Ölsumpf und Ventildeckeln wird zum orkanartigen Dröhnen, bis es in lautes Heulen überblendet. Nächster Gang, Doppelkuppeln, alles noch mal. Wiederholt man das bis zum Ende des fünften Gangs, liegen etwa 250 km/h an. Dabei bleibt der V12 turbinig weich; da vibriert und wackelt nichts, ein perfekter Massenausgleich und zwölf Zündungen verteilt auf 720 Grad Kurbelwellenumdrehung wirken halt Wunder.

100 Liter Tankinhalt

Lamborghini Jarama Foto: Wolfgang Groeger-Meier
Bella Italia: Benzina 100 Ottani.

Der V12 kann auch anders. Mit 60 km/h im Fünften dahinrollen und dann sämig durchziehen, das geht ebenfalls. Es ist leiser und entspannter, doch weniger aufregend. Möglicherweise reichen die 100 Liter Tankinhalt dann weiter als 350 km.

Manchmal sind selbst 1.000 km Italien und zehn Sonderprüfungen nicht genug. So wie jetzt. Der Jarama knistert sich kühl, die Mechaniker-Crew aus dem gelben Urus übernimmt. Ob ich denn nicht mit dem Lambo weiter nach München ...? Die Crew lacht. Also warten wir auf das nächste Angebot, das wir nicht ablehnen können.

Modena Cento Ore

Lamborghini Jarama Foto: Wolfgang Groeger-Meier
2020 führte die Cento Ore von Rom nach Modena mit Zwischenstationen an verschiedenen Rennstrecken. Für dieses Jahr ist eine andere Route geplant.

Alles etwas anders. Seit über zwanzig Jahren gibt es die Modena Cento Ore, veranstaltet von der Scuderia Tricolore und der Agentur Canossa. Die Route im Oktober 2020 führte von Rom nach Modena – über einige der schönsten Bergrennstrecken im Apennin sowie die Rennstrecken Autodromo d’Umbria bei Magione, Mugello und Autodromo Ferrari bei Imola. Bei der Veranstaltung gehen zwei Klassen an den Start: Wettbewerb und Gleichmäßigkeit.

Der Clou dabei: Die Sonderprüfungen werden entweder auf abgesperrten Strecken oder den Rennstrecken ausgetragen. Dabei fahren die Autos in der Wettbewerbsklasse auf Bestzeit wie bei einer echten Rallye; die Klassiker in der Gleichmäßigkeitsklasse sind angehalten, vorgegebene Durchschnittstempi zu halten. Auf den Rennstrecken gibt es Trainingsläufe und kleine Rennen für die schnelle Klasse, die Gleichmäßigkeitsfahrer können sich wiederum in Gleichmäßigkeit üben – mit anderen Worten: beispielsweise versuchen, zwei Runden mit exakt der gleichen Zeit zu bewältigen. Die Cento Ore 2021 startet am 8. Juni in Rimini und endet am 13. Juni in Modena. Zur Teilnahme zugelassen sind in der Wettbewerbsklasse Fahrzeuge bis Baujahr 1981 – die über FIA-Papiere verfügen müssen. In der Gleichmäßigkeitsklasse genügt ein Oldtimer bis Baujahr 1977, Ausnahmen bis 1985 können genehmigt werden. Info: www.modenacentooreclassic.it.