Lamborghini Countach 25th Anniversary
Kindheitsheld in der Realität gefahren
Der Lamborghini Countach 25th Anniversary ist mein absoluter Kindheitsheld. Mit seinem 12-Zylinder und dem einmaligen Design wurde er zur Legende. Doch wie ist es, sein Traumauto nicht nur zu treffen, sondern auch selbst fahren zu dürfen?
24.08.2024 Malte BulsDer Spruch "Des einen Glück ist des anderen Leid" geht mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Denn nun sitze ich tatsächlich hinter dem Lenkrad des letztgebauten Lamborghini Countach 25th Anniversary und kann es noch immer kaum glauben. Lamborghini hat mir diesen vor den Toren der Fabrikhallen und des anliegenden Museums in Sant’Agata Bolognese bereits mit unüberhörbar laufendem V12 bereitgestellt. Wenige Minuten haben für mich den Unterschied zwischen Fahrer- und Beifahrersitz gemacht. Denn ursprünglich hätte mein Chef die Rolle des Moderators und ich die Rolle des Kameramanns einnehmen sollen. Doch als der Bus zu unserem Anschlussflug bereits auf dem Weg war, ist seiner noch nicht am Gate. Und so hatte ich nur wenig Zeit, mich auf den wohl bisher besten Tag meines Lebens vorzubereiten.
Vorweg: Der Lamborghini Countach ist mein Kindheitsheld schlechthin. Auch wenn ich eigentlich zu jung dafür bin, war das 1998 erschienene Need for Speed III: Hot Pursuit auch Jahre später noch für meine Freunde und mich ein Tor zur Welt der unerreichbaren Supersportwagen. Unzählige Runden fuhr ich im Countach, den die Stimme von Egon Hoegen als "Tarnkappenbomber unter den Sportwagen" bezeichnete. Die aus der Serie Der 7. Sinn bekannte Sprecherlegende wird seinen Anteil haben an der oftmals falschen Aussprache (Kauntatsch) im deutschen Sprachraum.
In der Rennsimulation lernten wir viel über die Technik des zwischen 1974 und 1990 angebotenen Miura-Nachfolger. Unter anderem, dass weniger als fünf Sekunden vergehen, bis der Countach auf 100 km/h beschleunigt. Von Miura erbte der legendäre Sportwagen den V12, der für eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 300 km/h gut ist. Im finalen Modell ist der Hubraum von anfangs 3,9 auf 5,2 Liter gewachsen und die Motorleistung auf 455 PS erstarkt. Doch die technischen Details sollen in den Hintergrund rücken, denn heute geht es darum, wie es ist, als Laie einen Lamborghini Countach zu fahren.
Und dann geht es auch schon los. Der Urus, der als Begleitfahrzeug die Strecke vorgibt, setzt sich in Bewegung. Mit Ehrfurcht und größter Vorsicht lege ich den ersten Gang ein und lasse die Kupplung langsam kommen. Das Anfahren gelingt geräuschintensiv mit unnötig hoher Drehzahl, aber von Beginn an ruckfrei. Wir sortieren uns in den italienischen Verkehr ein und machen uns auf den Weg zu ruhigeren Straßen. Die ersten Meter auf öffentlicher Straße sind furchterregend. Da die dicken Walzen auf den kleinen 15-Zoll-Felgen im Wählscheiben-Design auf dem schlechten Asphalt jeder noch so kleinen Spurrille folgen, ist man zu Beginn gut damit beschäftigt, geradeaus zu fahren und ein Gefühl für die servolose Lenkung zu bekommen.
Auch die Bremse, die mit einem leichten Druckpunkt überrascht, bringt den Fahrer spätestens bei der ersten stärkeren Verzögerung durch den langen Pedalweg in Verlegenheit. Die eng aneinander liegende, nach rechts versetzte Pedalerie erfordert großfüßigen Piloten etwas Übung ab, um beim Gangwechsel nicht parallel das Bremspedal mitzutreten.
Die Funkverbindung reißt schon nach wenigen Kilometern ab, also heißt es dran bleiben am ersten SUV von Lamborghini, dessen Pilot dem sportlichen Anspruch des Konzernbaukasten-Autos mehr als gerecht wird. Wir durchqueren vielerlei kleinere Orte, in denen die Generation Noise-Cancelling-Kopfhörer dem Countach weniger Beachtung schenkte, als er verdient hätte. Doch alle, die den Wagen bewusst wahrnehmen, bringen ihm nur positive Emotionen entgegen. Mit jedem Kilometer steigt das Vertrauen in den silbernen Mittelmotor-Sportwagen und der Respekt paart sich mit grenzenlosem Fahrspaß.
Ins Schwitzen kommt man hinterm Lenkrad dennoch. Das liegt vor allem an den 35 Grad Celsius Außentemperatur des italienischen Hochsommers, denen die rustikal gestaltete Klimaautomatik hoffnungslos unterlegen ist – aber es liegt auch am Fahren an sich, denn das ist echte körperliche Arbeit. Über die Kraft, die ein Countach dem Fahrer beim Gangwechsel abverlangt, habe ich schon einiges gelesen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn abgesehen von dem stark erhöhten Kraftaufwand sortiert sich der ergonomisch geformte und belederte Schalthebel im 25th Anniversary präzise und direkt durch die wunderschöne offene Schaltkulisse. Dabei ist das Schaltschema zu beachten: Wie beim späteren Dogleg-Getriebe sitzt der erste Gang unten links, um beim sportlichen Fahren möglichst einfach zwischen den intensiv genutzten Gängen zwei und drei wechseln zu können. Damit der Countach-Neuling nicht aus Versehen im Rückwärtsgang landet, gibt es eine manuelle Sperre, die man vor die entsprechende Gasse schieben kann.
Nach ungefähr einer Stunde Fahrt erreichen wir die anvisierten Passstraßen und ich beginne sie mit dem Countach zu erklimmen. Inzwischen fühle ich mich vertraut in den knapp geschnittenen Sitzschalen hinter dem kleinen, absolut runden Lenkrad. Auch während der Fahrt verlangt die Lenkung nach überraschend kräftigen Gliedmaßen. Um mit den schwitzigen Händen nicht über das blaue Leder zu rutschen, empfiehlt es sich, eine der drei Speichen möglichst mit zugreifen.
Die Kurvenkombinationen steigern den Fahrspaß aufs Maximum: Zweiter Gang, beschleunigen, hochschalten, abbremsen, zurückschalten und dann kräftig am Lenkrad drehen. Und dasselbe von vorne. Der Sound ist unbeschreiblich – nur ein 12-Zylinder kann so klingen. Der Motor gibt ein unfassbares Gefühl von Leistung, ganz unabhängig von der Drehzahl, die auf dem herrlichen Rundinstrument im kantigsten aller Armaturenträger angezeigt wird. Bis über 7.500/min. dreht der Motor; es braucht lange, bis ich mich in die Nähe dieser Zahl traue.
Angekommen auf dem Gipfel, gibt es erst einmal eine kurze Verschnaufpause für Fahrer und V12. Das Abschließen des Countach mit dem filigranen Schlüssel scheitert, doch das interessiert hier oben niemanden. Wir kehren in ein kleines Lokal ein, in dem die Fahrer von Lamborghini Stammkunden zu sein scheinen und genießen an der Bar kalte Cola oder heißen Espresso.
Bevor wir den Rückweg zum Werk antreten, starte ich das 48-Ventil-Aggregat erstmals selbst. Der Anlasser braucht lange, um die zwölf Kolben in Bewegung zu setzen und den Motor zum Leben zu erwecken. Wobei dann auch ganz schnell wieder Ruhe ist, denn der 12-Zylinder benötigt nach dem Startvorgang ein paar gezielte Gasstöße, um dann stoisch in einem gleichmäßig hohen Leerlauf zu fallen.
Kurz vor Ende meiner grandiosen Spritztour mit dem Countach zeigt sich noch einmal ein Defizit des ikonischen Designs. Hat man nach vorne durch die große Frontscheibe einen super Überblick, ist die Übersicht nach hinten super schlecht. Die Seitenspiegel sind klein und nicht konvex oder asphärisch ausgeführt, sodass man nur erahnen kann, was hinter einem oder gar im toten Winkel passiert. Bei Letzterem hilft weder ein Schulterblick noch ein Blick in den Innenspiegel, der vor allem die aus Kohlefaser hergestellte Abdeckung des Motors bzw. der sechs Doppelvergaser abbildet.
Und so ist es fast ein glücklicher Zufall, dass ich die Kelle dennoch bemerke, die der italienische Polizist hinter mir aus dem Beifahrerfenster des Subaru hält. Rechts herangefahren, legt sich meine Anspannung schnell, als der perfekt englischsprechende Ordnungshüter mich freundlich nach Führerschein und Papieren fragt. Nach Letzterem will ich bis zum Auftauchen meines Begleitfahrzeuges wenigstens im Handschuhfach suchen. Öffnete sich dieses zu Beginn meiner Fahrt auf schlechtem Untergrund noch mehrfach selbständig, erlaubt es jetzt überhaupt keinen Zugriff mehr. Doch die beiden Kollegen von Lamborghini verstehen sich blendend mit der Polizia Locale und auch mein Führerschein hält der Überprüfung statt.
Zurück auf der Straße überlege ich, wie weit ich mit dem verbleibenden Kraftstoff des 120 Liter Tanks kommen würde. Mailand, Zürich oder gar zurück nach Stuttgart? 1975 verbrauchte die Urversion im Test zwischen 18 und 30 Liter, beim 25 Anniversary wird es nicht weniger sein. Und auch die erfahrene Besatzung im fahrdynamisch überlegenden Urus hätte es leicht, den entflohenen Klassiker wieder einzufangen. So siegt die Vernunft und der bisher wohl eindrucksvollste Arbeitstag in meinem Leben endet wie geplant vor den Werkstoren von Automobili Lamborghini S.p.A.
Die letzte Ausbaustufe des Countach scheint perfekt, um Feierabend oder Wochenende zu genießen, aber durchaus in der Lage auch mal die Brötchen vom Bäcker zu holen. Freunde raten mir zu einem Kit-Car. Doch das einzigartige Design ist nicht alles. Denn ein solches kann nicht abbilden, wie grandios der Countach fährt.