Jaguar XJ 6 - 1 Auto, 2 Geschichten

Britischer Luxus im Spiegel der Zeit

Gert Hack testete 1969 den Jaguar XJ 6 mit dem 4,2-Liter-Reihensechzylinder, Alf Cremers fährt Jahrzehnte später dessen Bruder Daimler Sovereign. Beide Geschichten gibt es hier zu lesen.

Jaguar XJ6, Frontansicht Foto: Frank Herzog 16 Bilder

Sein Hang zu Limousinen dürfte bekannt sein. stets aufs neue fühlt sich Alf Cremers zum Jaguar XJ 6 der ersten Serie hingezogen. die abermalige Begegnung mit dem prächtigen Wagen und seinen kleinen Schwächen dauerte so lange, bis die beiden Tanks fast leer waren.

Charakterstarker Jaguar XJ

Sein Anderssein hat etwas Anziehendes, seine Unzulänglichkeiten gelten als Charakterstärke. Ein Jaguar XJ 6 der ersten Serie fährt sich so typisch und unverwechselbar, wie es charismatische Klassiker so an sich haben. Wem das noch nicht reicht, den kriegt spätestens die wunderschöne Form rum.

So eine Jaguar XJ 6-Limousine steht fast in jeder Traumgarage. Sie spielt in der Klassiker-Szene die beneidenswerte Rolle des Everybody’s Darling. Die Form betört, der Sechszylinder mit den beiden krönenden Nockenwellengehäusen sieht herrlich aus, die leise souveräne Art der Kraftentfaltung fasziniert.

Jaguar XJ mit Wohlfühl-Flair

So ein Jaguar XJ lässt sich spielerisch leicht bewegen und vermittelt ein besonderes Wohlfühl-Flair aus Holz und Leder. Leider hat so ein XJ den Ruf einer kapriziösen Diva, was auf die Sechszylinder-Variante jedoch nur bedingt zutrifft. Auch als Klassenprimus, sprich Vergleichstest-Sieger, taugt er nicht. Solch profane Arithmetik ist ihm zu schnöde, kühle Ratio ist nicht sein Ding. Er punktet emotional.

Die umstrittene 2,8 Liter-Version des Jaguar XJ 6 trug im Sommer 1970, wenn auch nur denkbar knapp, die rote Laterne über den Stoßstangenhörnern des sinnlich geformten Hecks. Nur im Komfortkapitel des Oberklasse-Vergleichstests von auto motor und sport verwies er Mercedes, BMW und Co. deutlich auf die Plätze. Emotion statt ratio.

Der ein Jahr zuvor im Test von Gert Hack noch hoch geschätzte Jaguar XJ 6, leidet als 2.8er mit nur 149 PS und sedierender Borg-Warner-Dreigang-Automatik unter eklatanter Leistungsschwäche. Auch die hinreißend elegante Form mit flachem Karosseriekörper und niedrigem Dachaufbau unterwirft sich nicht gerne reinem Nutz-Aspekt. Elegant und praktisch, das gibt es eben nicht.

Knapp geschnittene Jaguar-Lounge

Unser 4,2-Liter ist innen eher knapp geschnitten, als Raumteiler fungiert eine mehr als üppige Mittelkonsole, der Kofferraum wird von zwei mächtigen Tanks in die Zange genommen. Dafür fühlt man sich auf Anhieb wohl in der holzgetäfelten, lederbezogenen Jaguar-Lounge und fädelt sich gern in den langen, schmalen Fußraum des Jaguar XJ 6 ein.

Langsam nimmt das Connolly-Leder die Körperwärme auf. Die Daimler-Version des Jaguar XJ 6, der Sovereign 4.2, fühlt sich innen noch geschmeidiger an. Schöner wohnen. Die imposante Instrumententafel mit ihrer respektablen Uhrensammlung und den satt klickenden Kippschaltern wärmt das Herz des Antiquitäten-Freunds ebenso wie das dünne Bakelit-Lenkrad mit Hupring und die antiquierte Stockhandbremse. Nur auf den knackigen Stick-Shift mit im Knauf eingelassenem Overdrive-Schalter muss man in unserem Exemplar in Regency Red verzichten.

Geschaltet wird hydraulisch, nach Borg-Warner-Art - sie macht Jaguar fahren noch lässiger. Den zierlichen Wählhebel braucht man nur anzufassen, wenn man zurücksetzt. Die aufrechte Sitzposition hinter dem steilen Lenkrad passt mittelgroßen Menschen wie angegossen. Der Blick schwebt über die schier endlos lange Motorhaube Richtung Horizont. Der Jaguar XJ 6 ist ein Reisewagen, mit dem man gerne das Weite sucht.

Wenig Drehzahl, seltene Gangwechsel

Der Jaguar XJ 6 ließe sich auch mit Schaltgetriebe standesgemäß gelassen bewegen. Will heißen, wenig Drehzahl, seltene Gangwechsel, flüssige Lenkradbewegungen aus dem Handgelenk. Fahren als kontemplatives Erlebnis, der Weg als permanentes Ziel. Kaum ein anderes Auto ist dafür tauglicher als die geschmeidige Jaguar-Limousine.

Der weiße 69er auto motor und sport-Testwagen erwies sich handgeschaltet so temperamentvoll wie ein BMW 2800, null auf Hundert in 10,4 Sekunden, Spitze 203 km/h. Aber das ist für das typische Jaguar-Fahrgefühl nicht entscheidend. Schon während der langen Warmlaufphase, die der üppige Ölvorrat von 8,25 Litern nun einmal verlangt, reicht die vom Getriebe vorgeschlagene Schaltdrehzahl von 2.500/min, um zügig voranzukommen. Das Gaspedal des Jaguar XJ 6 muss dazu nur gestreichelt werden.

Insgesamt ist das Drehzahlniveau des Langhubers so niedrig, dass man kaum über 3.500/min hinauskommt, was laut Tacho in Stufe D immerhin 170 km/h entspricht. Nicht nur die äußere Gestalt des Jaguar XJ 6 ist eine Delikatesse, sondern auch Interieur, Antrieb und Fahrwerk formen sich zum Gesamtkunstwerk auf hohem Niveau.

Fliegender Teppich

Der aus dem Vollen gefräste Doppelnocker kommt aber nicht ohne Widersprüche aus. Der Graugussblock und die langhubige Auslegung passen nicht zum drehzahlfesten Zylinderkopf mit zwei obenliegenden Nockenwellen und einer direkten Ventilmechanik über Tassenstößel. Das Fahrwerk des Jaguar XJ 6, gleich mit zwei Hilfsrahmen und einer extrem aufwendigen Hinterachsaufhängung an doppelten Längslenkern und zwei Schraubenfedern pro Rad, setzt Maßstäbe.

Zur komfortfreundlichen Verringerung der Massen sind die Bremsscheiben innen am Differenzial befestigt und die Bremsbeläge fast unerreichbar. Diese verspielte Komplexität mag übertrieben sein, aber sie erzeugt ganz ohne Hydropneumatik und Luftfederbälge das Gefühl des fliegenden Teppichs. Zudem sorgt sie für hohe Fahrsicherheit. Im Grenzbereich neigt der Jaguar XJ 6 ganz spät zum Übersteuern, das mit der gefühllosen Servolenkung nicht präzise genug pariert werden kann.

Mit H-Kennzeichen für 6.000 Euro

Kein Zweifel, der rote Jaguar XJ 6 macht süchtig, obwohl er kein besonders gutes Exemplar ist. Technisch und strukturell gesund, kann er zwar eine wohlständige Schweizer Pflege nicht verleugnen, aber das Kaminzimmer hat in den letzten 35 Jahren spürbar gelitten. Dafür kostet er auch inklusive H-Abnahme nur 6.000 Euro. Ein Preis, der zwei Dinge widerspiegelt - die Angst vor der kapriziösen Diva, deren aufwendige Technik gut gewartet sein will, und der Drang des Marktes nach Top-Exemplaren. Gut 100 Liter fassen die beiden Tanks, zahm bewegt reicht dies für mehr als 700 km Fahrgenuss, aber zwischendurch das Umschalten nicht vergessen. Für mich bleibt der Umweg das Ziel.

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Auch mit den etwas antiquierten langhubigen Antriebsquellen - es stehen ein 2,8-Liter-Motor mit 150 PS und ein 4,2-Liter-Motor mit 186 PS zur Wahl - ist der Jaguar XJ 6 ein überraschend gutes und abgerundetes Automobil. Die Karosserie des XJ 6 imponiert durch ihr sachliches Styling und ihren Verzicht auf jeden unnötigen Zierrat.

Obwohl der Jaguar XJ 6 länger und breiter als seine Vorgänger ist, wirkt er für ein Auto dieser Größe sehr kompakt. Die gelungenen Proportionen werden durch die geringe Gesamthöhe des Wagens, die sehr breite Spur und die groß dimensionierten, breiten Räder vorteilhaft unterstrichen. Dabei dürfte es kein Leichtes gewesen sein, den hoch bauenden und aufrecht stehenden Sechszylindermotor unter einer so flach wirkenden Haube unterzubringen.

Altenglische Raumgestaltung

Das wohlgestylte Äußere dieses anspruchsvollen Automobils dürfte auch der Hauptgrund dafür sein, dass sich Jaguar zum Verkauf des XJ 6 keine Sorgen zu machen braucht. Im Wageninnern kommen die Liebhaber altenglischer Raumgestaltung voll auf ihre Kosten. Weich gepolsterte Ledersitze, die ihren charakteristischen Gerbduft dezent ausströmen, empfangen die Passagiere. Dabei wird der vordere Innenraum durch eine breite und hohe Konsole geteilt, wodurch für Fahrer und Beifahrer zwei separate Sitznischen entstehen.

Die hintere Sitzbank des Jaguar XJ 6 lässt sich durch eine herausklappbare Mittelarmlehne teilen, doch sind die Platzverhältnisse bei voll zurückgeschobenen Vordersitzen selbst für zwei Personen hinten nicht üppig. Vor Fahrer und Beifahrer entfaltet sich das mit zahlreichen Anzeigen, Uhren und Schaltern bestückte Edelholzinstrumentenbrett in seiner ganzen Pracht.

Bequemes Interieur

Trotz konservativem Innenstyling wurden die Grundsätze der inneren Sicherheit bis auf eine Ausnahme berücksichtigt. Sämtliche Kanten sind gut abgepolstert, Schalter und Hebel des Jaguar XJ 6 sind bis auf die vorstehende Stockhandbremse versenkt untergebracht oder aus weichem Material. Beim Öffnen der hinteren Haube kommt ein mit 356 Litern überraschend geräumiger Kofferraum zum Vorschein, der auch für umfangreiches Urlaubsgepäck ausreicht. Links und rechts wird der Kofferraum durch zwei 52-Liter-Tanks begrenzt.

Unter der Motorhaube des Jaguar XJ 6 stößt man, wie bereits erwähnt, auf einen alten Bekannten. Die 4,2-Liter-Maschine, die in ihrem Grundentwurf in die vierziger Jahre zurückreicht, unterscheidet sich nur unwesentlich von ihrem Vorgänger im 420. Charakteristikum dieses Triebwerkes ist der lange Hub von 106 mm, der ein Ausnutzen des Drehzahlbereiches bis zum roten Bereich bei 5.500/min utopisch erscheinen lässt.

Angenehme Leistungesntfaltung

Dennoch wirkt dieser Motor selbst in der modern konzipierten Jaguar XJ 6-Limousine keineswegs deplatziert, zumal er seine Kraft in ungewöhnlich gepflegter Form entfaltet. Das klassisch konzipierte Zweinockenwellentriebwerk leistet bescheidene 186 PS und gibt sich in jedem Drehzahlbereich äußerst durchzugskräftig.

Man bewegt sich im praktischen Fahrbetrieb weit unterhalb hoher Drehzahlen, und die gute Leistungsabgabe im unteren Drehzahlbereich lässt kaum den Wunsch aufkommen, höher als 4.500/min zu drehen. Mit dieser Drehzahl und zugeschaltetem Overdrive absolviert der Jaguar XJ 6 auch seine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h. Bei Tempo 180 sind nur ungefähr 4.000 Umdrehungen vonnöten.

Jaguar XJ 6 mit Abstand das leiseste Auto

Weitaus beeindruckender als die Leistung ist hingegen die Laufruhe. Im gesamten Betriebsbereich läuft der Reihensechszylinder nahezu unhörbar, weshalb man genau den gut ablesbaren Drehzahlmesser beobachten muss, um ein Überdrehen zu vermeiden. Das Geheimnis der außergewöhnlichen Laufruhe des Jaguar XJ 6 liegt auch in der Art der Motoraufhängung. Fahrschemel dämpfen Abweichend vom üblichen Schema hat man nämlich den Motor nicht in der Karosserie aufgehängt, sondern im Fahrschemel der Vorderradaufhängung.

Auch sonst ist der Jaguar XJ 6 von einer mustergültigen Laufruhe. Getriebe und Antrieb sind kaum hörbar, die Windgeräusche der Karosserie wurden auf ein Minimum reduziert. So ist denn auch der XJ 6 das mit Abstand leiseste Auto, das in den letzten Jahren von auto motor und sport gemessen wurde. Sein Geräuschpegel liegt bei 180 km/h mit 79 Phon niedriger als der anderer vergleichbarer Wagen bei geringeren Geschwindigkeiten.

Immer schneller unterwegs, als man denkt

Dies ist auch der Grund dafür, dass man in dem Jaguar XJ 6 stets schneller fährt, als man denkt. Das handgeschaltete Vierganggetriebe passt gut zu dem kultivierten und elastischen Motor. Es ist sportlich eng abgestuft und schaltet sich leichtgängig und exakt. Eine hervorragende Ergänzung stellt der wahlweise lieferbare Overdrive dar, mit dem sich die Drehzahl im direkten Gang um rund zwanzig Prozent verringern lässt.

Vom Fahrwerk des Jaguar XJ 6 läßt sich wenig Neues berichten. Hinten führt die bekannte Jaguar Doppelgelenkachse, mit den Antriebswellen als Radführungselement, die einzeln aufgehängten Räder. Doppelte Schraubenfedern und vier Gasdruckdämpfer stützen die Radaufhängung ab, die auch in einem Hilfsrahmen untergebracht ist. Durch eine entsprechende Vorderachsauslegung und Anordnung der doppelten Querlenker wurde ein Nickausgleich erreicht, der sich im Fahrbetrieb sehr angenehm bemerkbar macht. Starkes Tauchen oder Ansteigen des Vorderwagens beim Bremsen respektive Beschleunigen kennt der XJ 6 nicht.

Vorherrschender Eindruck beim Fahren des Jaguar XJ 6 sind die Leichtigkeit und Handlichkeit, mit der sich dieses 1.700 Kilo schwere und nicht gerade kleine Auto dirigieren lassen. Dabei nimmt die sehr leichtgängige Servolenkung dem Fahrer im Stadtverkehr zweifellos die meiste Mühe ab. Doch fordern auch die übrigen Bedienungsorgane - bis auf die Bremse - wenig Kraft.

Elastischer Motor, gefühllose Lenkung

Auch das Fahren auf Landstraßen und Autobahnen gestaltet sich ziemlich mühelos, zumal der hochelastische Motor nur selten Gangwechsel verlangt und sich der Overdrive mit einem Fingerdruck betätigen lässt. Neben dieser Mühelosigkeit in der Bedienung prägen die wirklich gute Federung und der niedrige Geräuschpegel den Jaguar XJ 6 zu einem Komfortautomobil der Spitzenklasse.

Weniger gut als Komfort und Handlichkeit gefiel uns seine Straßenlage. Zwar zeigt er unter fast allen Bedingungen ein neutrales, im Grenzbereich leicht übersteuerndes Eigenlenkverhalten, das im Grunde harmlos ist. Doch ist die Grenze der Bodenhaftung besonders unter schwierigen Streckenbedingungen schwer erkennbar, was vor allem an der leichtgängigen, aber gefühllosen Servolenkung des Jaguar XJ 6 liegt, zum Teil aber auch auf die weiche Aufhängung der Radführungselemente in der Karosserie zurückzuführen ist.

Dem hohen Standard, den der Jaguar XJ 6 bezüglich Leistung und Komfort setzt, sind die Bremsen nicht ganz angemessen. Zwar konnten wir spürbares Fading im normalen Fahrbetrieb nicht feststellen, doch wird die begrenzte Belastbarkeit der Bremsanlage schon beim einmaligen Abbremsen aus hohen Geschwindigkeiten deutlich. Die Bremsen rubbeln stark, erfordern hohe Pedalkraft und versetzen die Vorderachse in unangenehme Schwingungen.

Hoher Preis von 28.600 Mark

Der Jaguar XJ 6 wird ein exklusives Auto bleiben. Einer allzu starken Verbreitung steht schon sein hoher Preis von 28.600 Mark im Wege. Doch basiert seine Exklusivität nicht allein auf dem hohen Preis. In seinem ganzen Charakter ist der XJ 6 vom Massenauto so weit entfernt, wie es deutsche Fabrikate nie sein können. Dies dokumentiert sich in der Form, der Innenausstattung und in einigen Unzulänglichkeiten. So reiht sich der Jaguar XJ 6 würdig in die kleine Gruppe elitärer Wagen ein, wobei er seinen englischen Charakter bewahrt.