Warum der Spiegel falsch liegt

H-Kennzeichen zur Umgehung von Fahrverboten?

Sind zu viele Autos mit H-Kennzeichen in schlechtem Zustand? Spiegel Online meint, ja. Fakten und Zahlen sprechen dagegen.

H-Kennzeichen Saison 2017 Foto: Patrick Lang 17 Bilder

"Gammelklage" schreibt Spiegel Online über einen Artikel zum Thema H-Kennzeichen. Die These: "auffällig viele Rostlauben" erhielten das H-Kennzeichen. Um es klar zu sagen: Oldtimer in einem schlechten Zustand entsprechen nicht der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV). In der Szene sorgen manche Oldtimer mit H-Kennzeichen bei dem ein oder anderen für Stirnrunzeln. Doch ein Massenphänomen sind Gammel-Oldtimer sicher nicht. Frank Wilke, der mit seinem Classic-Analytics-Team bei Szenetreffs von Amelia Island bis Techno Classica unterwegs ist und dessen Job das Beobachten des Marktes ist, fragt sich: "warum von unserem Team keiner diese tausenden von Gammelkisten, die angeblich überall herumstehen, je sieht?" und ergänzt: "Ich hab das Gefühl, daß es Einzelfälle sind."

Bedingung: frische HU, nur leichte Gebrauchsspuren

Die Fahrzeug-Zulassungsverordnung verlangt für eine Zulassung mit historischem Kennzeichen einen "guten Erhaltungszustand" (§2, Nr. 22). Was das ist, konkretisiert der TÜV SÜD in seinem Anforderungskatalog: Um ein H-Gutachten zu bekommen, das Voraussetzung für ein historisches Kennzeichen ist, muss ein Auto zunächst einmal die Hauptuntersuchung bestehen, darf also keine erkennbaren technischen Mängel aufwiesen. Korrosion an tragenden Teilen wäre ein KO-Kriterium wie bei jedem anderen Auto auch. Das wird regelmäßig überprüft: Auch Oldtimer müssen alle zwei Jahre zur HU. Eine weitere Bedingung nennt der TÜV in seinem Anforderungskatalog: "nur leichte für kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut angemessene Gebrauchsspuren" darf der H-Kandidat haben. Autos in schlechtem Zustand entsprechen nicht den H-Kriterien der Sachverständigenorganisationen. Doch wie viele Autos betrifft das überhaupt?

Steuervorteile? Saisonkennzeichen kann günstiger sein

Hier hilft ein Blick in die Statistik: Am 1. Januar 2018 waren in der Bundesrepublik 422.213 Autos mit einem H-Kennzeichen zugelassen. Das sind 0,9 Prozent des Bestandes. Der Anteil von Autos, die älter als 30 Jahre sind, liegt jedoch erheblich höher: Das sind 1,6 Prozent. Offensichtlich lässt bei weitem nicht jeder Pkw-Halter sein Auto auf die H-Zulassung umschreiben. Steuerlich ist das auch nicht bei jedem Auto sinnvoll, ein Kleinwagen mit Katalysator und 1,2 Litern Hubraum kostet weniger Steuern, wenn er keine H-Kennzeichen-Zulassung hat. Schon für einen Mazda-MX-5 ist ein Saisonkennzeichen günstiger als die Zulassung mit H-Kennzeichen.

Vorteile bei Fahrverboten? Nicht unbedingt

Zumindest bei Benzinern mit Kat bringt das H-Kennzeichen auch bei Fahrverboten nur in wenigen Fällen Vorteile: Außer in Köln und Frankfurt dürfen Benziner mit grüner Plakette in Umweltzonen und Innenstädte fahren. Seit 1989 ist der Dreiwege-Katalysator übrigens Pflicht für alle neu zugelassenen Benziner in Deutschland. Dass sich Schlaumeier jetzt ein Auto mit H-Kennzeichen besorgen und damit durch die Stadt fahren, glaubt zumindest die Bunderegierung nicht. Die beantwortet eine Kleine Anfrage zweier Abgeordneter recht eindeutig: "Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass mehr Oldtimer mit H-Kennzeichen gefahren werden" und nennt als Grund "unter anderem die in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung geregelten Anforderungen an die Zuteilung des Kennzeichens." Der Anteil von Autos mit H-Zulassung ist ohnehin gering, was anhander der Zahlen für Stuttgart deutlich wird: 4.483 von 303.231 der dort zugelassenen Autos haben ein H-Kennzeichen. Das sind 1,48% des Pkw-Bestandes.

Der Vorsitzende des Parlamentskreises Automobiles Kulturgut im Bundestag, Carsten Müller (CDU), hält er für wenig realistisch, dass massenhaft Auto mit historischer Zilassung durch die Feinstaubzonen der Republik fahren: "Diese Grundannahme ist grundfalsch", sagt Müller. Den größten Zuwachs habe es zuletzt bei Autos von Mitte der 60er bis Mitte der 70er-Jahre gegeben. Zur Zeit würden Oldtimer im Schnitt 1.250 Kilometer im Jahr gefahren.

Massenhafte Zunahme an H-Kennzeichen? Naja

Schauen wir zum Schluss noch einmal in die Statistik. Die belegt, was viele Kenner der Materie ahnen: Zwischen 20 und 30 Jahren sterben viele Autos, weil ihr Betrieb unwirtschaftlich wird. Sind vor einigen Jahren noch die Karossen weggerostet und mussten teuer geschweißt werden, sind es heute Elektronikprobleme oder Ersatzteilsorgen, die Besitzer aufgeben lassen. Der gesunkene Restwert liegt gerade bei ehemaligen Alltagsfahrzeugen oft gefährlich nahe an den Summen für Erhaltungsreparaturen.

Dazu kommt, dass gerade in diesem Alter manche Teile genau dann an Altersschwäche sterben, wenn sich gerade zusätzlich der Reparaturstau eines nachlässigen Vorbesitzers bemerkbar macht. Denn auch wenn es der Restwert längst nichts mehr mit dem Neupreis zu tun hat: Die Teilepreise bleiben meist auf einem Neuwagen-ähnlichen Niveau. Das alles führt dazu, dass am 1. Oktober 2018 zwar noch fast zwei Millionen Autos zwischen 20 und 24 Jahren alt waren, aber die Altersgruppe von 25 bis 29 Jahren nur etwa ein Drittel so groß ist: knapp 700.000 Autos rollen in Richtung rettendes H-Kennzeichen. Nicht alle werden ankommen.