Göttinger Ei: Aerodynamik-Wunder der 30er-Jahre
Kein modernes Auto schafft diesen Cw-Wert
Zwei Museen wollen den Schlör-Wagen wieder aufbauen. Der Aerodynamik-Prototyp hatte einen sensationellen Cw-Wert. Das Original ging im Zweiten Weltkrieg verloren, nur technische Zeichnungen existieren noch.
02.04.2021 Andreas Of-AllingerDas "Göttinger Ei" des Ingenieurs Karl Schlör galt lange als verschollen. Jetzt bauen Tüftler gleich zwei Exemplare des Aerodynamik-Prototypen nach. Die Nachbauten des Schlör-Wagens von 1939 entstehen, wie das Original, auf Basis von Fahrgestellen des Heckmotor-Mercedes 130H und sollen in zwei Museen stehen: Ein Schnittmodell ist für die Ausstellung der Mobilen Welten in Hannover vorgesehen und ein komplettes Göttinger Ei baut die Central Garage in Bad Homburg.
"Ende des Jahres soll das Rolling Chassis fertig sein und dann beginnt der Aufbau der Karosserie", erklärt Dieter Dressel von den Freunden der Central Garage. Das fertige Auto soll dann in der Ausstellung gezeigt, aber auch an andere Museen verliehen werden.
Mercedes 170 H als Basis
Zunächst muss jedoch der Zentralrohrrahmen des 170 Heck umgearbeitet werden: Schlör hatte den Rahmenkopf entfernt und durch einen U-förmigen Träger ersetzt. Damit sollte die zentrale Sitzposition des Fahrers ermöglicht werden. Das zog eine Änderung an der Lenkung nach sich, die Dressel so beschreibt: "Es ist eben ein Prototyp."
Die niedrige, zentrale Sitzposition dient der Aerodynamik: Ingenieur Karl Schlör von Westhofen-Dirmstein hatte an der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen geforscht – dem Vorläufer des heutigen Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit seinem Mitarbeiter Hans Becker hatte Schlör seit 1936 an einer windschlüpfigen Form für ein Auto geforscht und war auf die tropfenförmige Einvolumen-Karosserie gekommen.
Cw-Wert 0,186
Modellversuche im Windkanal sollen einen Cw-Wert von 0,113 ergeben haben. Der spätere Versuchsträger soll einen Cw-Wert von 0,186 haben – ein immer noch sehr guter Wert, den heute kein Serienfahrzeug erreicht. Aus gutem Grund: Der Schlörwagen war zwar sehr windschlüpfrig, galt jedoch wegen seiner Form und der Anordnung des schweren Motors im Heck als seitenwindempfindlich. Wegen des Zentralrohrrahmens ging es im Innern auch beengter zu, als vom Konstrukteur geplant: Schlör hatte einen Siebensitzer bauen wollen, der Prototyp hat jedoch nur fünf Plätze. Der Zentralrohrrahmen erforderte hier einen Kompromiss.
Die Karosserie besteht aus einem Holzrahmen, der mit Aluminium beplankt wurde. Die Fenster bestehen aus gebogenem Plexiglas. Konstruktionszeichnungen des DLR helfen den Restauratoren beim Aufbau, eine Herausforderung wird der Wiederaufbau des Schlörwagens dennoch werden. "Ob er zugelassen werden kann, das sehen wir dann", sagt Dieter Dressel. Wichtig sei, das Aerodynamik-Versuchsfahrzeug "möglichst original" nachzubauen, erklärt er weiter.