Getrag 5-Gang-Getriebe 265 und 275
Dogleg, das Kult-Getriebe der 80er und 90er
Getrag baute für BMW und Mercedes von 1979 bis 1993 ein Sportgetriebe mit dem ersten Gang links hinten. Das hat inzwischen Kultstatus. Es gab auch eine Version für Jaguar und Opel.
21.10.2021 Andreas Of-AllingerErster Gang links hinten: Das ungewöhnliche Schaltschema ist ein Merkmal des Getrag Sport-Getriebes für BMW und Mercedes. Es gab jedoch auch eine länger übersetzte "Schongang"-Variante mit konventionellem Schaltschema, die auch Opel und Jaguar nutzten. Die Sport-Variante mit direkt übersetztem fünftem Gang und dem ersten Gang links hinten setzten BMW und Mercedes in diversen Modellen ein. Gefertigt hat der Zulieferer das Getriebe von 1979 bis 1993. Den Namen "dogleg" (engl. für Hundebein) brachte dem Getriebe das Bild ein, das der Schalthebel abgab, wenn der erste Gang (hinten links) eingelegt war: Mit etwas Phantasie sehen der Balg um den Hebel und dessen nach hinten herausragender Schaltstock mit Knauf aus, wie ein Hund, der ein Bein nach hinten ausstreckt oder – etwa unfeiner – anhebt. Auch scharfe Kurven oder Golfbahnen, deren Fairway nach links oder rechts abnkickt, bezeichnen Briten als "dogleg".
Was waren die Ziele bei der Entwicklung?
Dafür hat man das vom üblichen H mit dem ersten Gang vorn links abweichende Schema freilich nicht erdacht: Vielmehr wollte Getrag, ein leichtes, kompaktes und laufruhiges Getriebe mit einem hohen Wirkungsgrad bauen: "Um bei hoher Leistungsdichte trotzdem den Achsabstand möglichst klein zu halten (kleiner Einbauraum, niedriges Gewicht und dennoch hohe Steifigkeit) wurde eine 3-fach Lagerung der Getriebeabtriebswelle und der Nebenwelle entwickelt", erklärt der Hersteller. Alle Räder und Wellen sind wälzgelagert, das sorgt für einen hohen Wirkungsgrad. Ein Gehäuse aus Aluminium hält das Gewicht niedrig. Der Achsabstand liegt bei 76 Millimetern.
Das Getriebe ist für ein Drehmoment von 380 Newtonmetern ausgelegt. Damit eignet es sich auch für größere Sechszylindermotoren, wie es sie bei BMW, Jaguar, Mercedes und Opel zu jener Zeit gab. Die Sport-Varianten haben den ersten Gang links hinten – dieses Schaltschema gab es zum Beispiel im 190E-16-Ventiler und im 300 CE-24. Ein weiteres Merkmal der Sportvariante sind der direkt übersetzte 5.Gang und der sehr kurz übersetzte erste Gang.
Wie viele Getriebe dieses Typs hat Getrag gebaut?
Die beiden größten Abnehmer waren BMW und Mercedes. Nach München und Dingolfing lieferte Getrag 130.000 Schongang-265 für 5er, 6er und 7er mit dem M30-Sechszylinder sowie 22.000 Sport-265. BMW baute das Getriebe in den 5er E12 und E28, den 6er der Baureihe E24, den 7er (E23) und den E30-M3 ein. An Mercedes gingen 140.000 Getrag 275 in Sport- und Schongangausführung. Dort setzte Mercedes sie in den Baureihen W 201, W 124 und R 129 in Kombination mit Vierventil-Motoren ein. Konkret waren das die Modelle 190E 2.3-16 und 2.5-16 sowie Evo 1 und Evo 2, die Baureihe 124 und der SL (R 129) mit dem M-104-Reihensechszylinder (300-24 und 320) Für Jaguar baute Getrag 12.000 und für Opel 28.000 Fünfgang-265, jeweils in Schongang-Ausführung.
Getrag 265 für BMW, Opel, Jaguar
Jaguar und Opel nutzten ebenso wie BMW den Getriebetyp 265, allerdings mit losem Schiebeflansch am Abtrieb. Die Getrag 265 für BMW hatten einen feststehenden Abtriebsflansch. Das Getriebegehäuse wurde laut Hersteller für BMW "so konzipiert, dass es mit verschiedenen Kupplungsglocken ausgestattet und somit an verschiedene Motorflanschbilder angebaut werden konnte."
Getrag 275 für Mercedes
Das Getrag 275 für Mercedes hat eine integrierte Kupplungsglocke und seitlich liegende Schalteinheiten. Das ist bei den Getrieben für BMW, Jaguar und Opel anders: Hier ist die Kupplungsglocke separat und das Getriebegehäuse verfügt über eine Zentralschaltwelle.
Welchen Vorteil hat der erste Gang links hinten?
Mit dem abweichenden Schaltschema lagen die beim Fahren häufig verwendeten Gänge 2 und 3 sowie 4 und 5 in einer Längsgasse, so dass ein Wechsel zwischen ihnen nur eine einfache Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung nötig machte.Der Weg vom zweiten zum dritten Gang ist kurz. Das passt prima für enge und kurvenreiche Landstraßen: Vor Kurven kann ohne Gassenwechsel schnell heruntergeschaltet und danach fix wieder heraufgeschaltet werden.
Kein Wunder, war eine Rennversion des Getriebes laut Getrag in der DTM der 80er und 90er in fast allen Fahrzeugen mit Hinterradantrieb und Frontmotor eingebaut. Für den Rennsport waren natürlich die Radsätze angepasst, die Spreizung enger. Wer will, kann trotzdem auf seiner Hausstrecke kurz an Roberto Ravaglia oder Johnny Cecotto denken – und die Türklinken-Duelle der damaligen Deutschen Tourenwagen Meisterschaft.
Schaltschema aus dem Motorsport
Der Motorsport ist auch der Grund für das Schaltschema: Auf Rennstrecken wird der erste Gang nur zum Anfahren benötigt. Viel wichtiger ist, schnell und ohne Gassenwechsel zwischen zweitem und drittem Gang oder zwischen Viertem und Fünftem wechseln zu können. Ein Merkmal, das nicht mehr nötig war, als sich im Motorsport sequenzielle und automatisierte Getriebe durchgesetzt haben.
Wie fährt sich das "dogleg"-Getriebe?
Im realen Straßenverkehr von heute kann in einem Mercedes 320 CE mit dem Getrag 5-Gang wegen des direkt übersetzen fünften Gangs auf Autobahnen von Baustellen bis zur Höchstgeschwindigkeit der höchste Gang drin bleiben. Der M-104-Reihensechszylinder zieht schon bei knapp über 1.000/min ruckfrei, linear und mit schönem Klang hoch. Zwischen zweitem und fünftem Gang schaltet sich das Getriebe ohne Hakeln und auf kurzen Wegen. Der Erste ist ohnehin nur zum Anfahren aus dem Stand nötig – wie damals auf der Rennstrecke.
Die extrem kurze Übersetzug des Ersten macht das Anfahren in Verbindung mit einem drehmomentstarken Sechszylinder wie etwa im 320 CE zur Konzentrationsübung. Bei der kurzen Übersetzung und dem drehmomentstarken Motor wird das Spiel im Antriebsstrang schnell spürbar; wer unsauber schaltet, bringt das ganze System in Bewegung.
Damit es beim Wechsel in den zweiten nicht ruckelt, der ganze, schöne Vortrieb nicht zusammenbricht, ist ruhiges Schalten angesagt – und eine kluge Wahl der Drehzahl: Zwischen 2.200 und 2.500/min passt’s am besten. Im Vergleich zu damaligen Schaltgetrieben in anderen Mercedes-Modellen sind die Wege zwischen den Gängen kürzer und definierter, der Kraftaufwand beim Schalten ist dafür etwas höher. Ein echter Vergleich ist jedoch bei Getrieben, die schon rund 30 Jahre in Benutzung sind, nicht ganz einfach: Wartung und Behandlung können hier ebenfalls die Schaltbarkeit beeinflussen.
Im Vergleich zu neueren Schaltgetrieben wirken das "dogleg"-Schema und die Schaltbarkeit etwas antiquiert. Auch die Übersetzung mit sehr kurzem ersten und direktem fünften Gang ist eher ein Anachronismus – und bei einem starken Sechszylinder gar nicht nötig. Die Drehzahlen auf der Autobahn entsprechen im Fall eines Mercedes 320 W 124 denen der Vierstufen-Automatik; bei Höchstgeschwindigkeit dreht der Motor aus. Eine fahraktive Auslegung, die damals bei Mercedes eher ungewöhnlich war und heute dafür sorgt, dass manche Verkehrsteilnehmer gar nicht mit der Rasanz dieses 124er-Modells rechnen. Die Bezeichnung "Sportgetriebe" ist jedenfalls nicht falsch.