Ford Sierra Kaufberatung
Ab 100 Euro geht´s los - aber will man das?
Der Taunus verkaufte sich nur noch zäh. Der Ford Sierra kam 1982 also wirklich nicht zu früh. Gute Exemplare sind heute selten – und haben ihren Preis, schlechte gibt's schon für 100 Euro.
28.09.2017 Michael HarnischfegerWo sind sie geblieben? Da baut Ford von 1982 bis 1993 rund 2,7 Millionen Sierra. Und die Suche in den bekannten Online-Börsen spuckt gerade mal 100 Treffer aus. Nicht in Deutschland, nein: in ganz Europa. Vor dem geistigen Auge spielen sich Dramen ab, laufen Filme von zu Tode gerittenen Ford, die irgendwann einfach stehen gelassen, verschenkt, dem Schrotthändler oder einem Menschen verkauft wurden, der den braven Sierra 2.0 L Turnier mit den durchgegammelten Schwellern, den verschlissenen Sitzpolstern und dem ölenden Getriebe ins Ausland brachte.
Wo sind die Ford Sierra geblieben?
Typische Schicksale eines Gebrauchsautos ohne große Chancen auf Liebhaber- oder gar Kultstatus. Eines Autos, das wie viele aus dieser Zeit nicht wirklich ambitioniert gegen Korrosion geschützt war. Das aber durchaus Ambitionen zeigte und den Willen, die Marke Ford voranzubringen und Schluss zu machen mit dem biederen Image des Vorgängers.
43 Jahre lang hieß die Ford-Mittelklasse Taunus, und zuletzt war der Verkauf dieses schlichten, gleichwohl sympathischen Autos mit dem einfachen Fahrwerk dramatisch eingebrochen: 1982 gingen dessen Verkäufe um rund 20 Prozent zurück – und das nicht etwa, weil die Ford-Klientel so sehnsüchtig auf den Sierra gewartet hätte, dessen in Erlkönig-Bildern erkennbar progressives Design viele von ihnen mehr irritiert als neugierig gemacht hatte.
Aus Taunus wird Ford Sierra
Der Taunus war am Ende, allein der Name klang muffig. Ford traute sich also etwas mit dem Neuen, der anfangs nur als Fließheck-Viertürer verkauft wurde, ehe Ende 1982 auch der Turnier in die Schauräume rollte. Denn bei sehr ähnlichen Abmessungen wie beim Taunus wies der Sierra eine betont rundliche Form auf, die den Erfordernissen der Aerodynamik besondere Recnung trug und prompt gescholten wurde: Die Sonne heizte den Innenraum durch die flach stehenden Front- und Heckscheiben stark auf.
Von den Dachrinnen wollten sich die Gestalter um Uwe Bahnsen zwar nicht trennen wegen der wichtigen Dachgepäckträger-Tauglichkeit. Doch nahezu bündig eingeklebte Scheiben, die sanfte Keilform bis zur Abrisskante am Heck mit der großen Kofferraumklappe und der rundlich abfallende Bug, der bei den Ghia-Modellen nur einen statt drei Lüftungsschlitze hat, drückten den Luftwiderstandsbeiwert des Ford Sierra auf 0,34. Besser war 1982 in dieser Klasse keiner.
Niedriger Verbrauch dank aerodynamischer Karosserie
Der Übersichtlichkeit war die strömungsgünstige Form zwar nicht gerade zuträglich, doch sie half, den Verbrauch der Motoren in Grenzen zu halten. Die stammten beim Ford Sierra allesamt aus dem Vorgänger Taunus, und schon in dem hatten sie sich nicht um Fortschrittlichkeitsmedaillen beworben.
Zum Verkaufsstart konnte der Kunde zwischen zwei Vergaser-OHC-Vierzylindern mit 1,6 und 2,0 Litern Hubraum wählen, die mit 75 und 105 PS aufwarteten. Antriebsluxus brachten die 2,0- und 2,3-Liter-V-Sechszylinder mit 90 und 114 PS, die den besseren Ausstattungen des Ford Sierra vorbehalten waren.
Der Dieselmotor kommt von Peugeot
Dieselfreunde griffen zum Ford Sierra 2.3 D und machten sich mit den 67 PS des bei Peugeot zugekauften Selbstzünders auf zur Entdeckung der Langsamkeit. Zu erkennen ist dieser Diesel am kleinen Buckel auf der Motorhaube und dem Rußfähnchen am Heck.
Ein Fall für Kaltblüter schon vor der Fahrt, denn das Vorglühen dauerte je nach Außentemperatur bis zu eine Minute. Immerhin: Beim Ford Sierra Diesel war das Fünfganggetriebe, das sonst 485 Mark extra kostete, ebenso serienmäßig wie die Servolenkung für 866 Mark.
Freude am Fahren
Die auf der Vorderachse leichteren Ford Sierra-Benziner sind auch ohne Lenkhilfe keine schwer zu rangierenden Klötze. Vielmehr zeigt sich in ihnen schnell der Fortschritt, den der Sierra gegenüber dem Taunus bot. Denn allein bei der aerodynamisch optimierten Karosserie hatte es Ford in der Sierra-Entwicklung ja nicht bewenden lassen.
So schickten sie die Starrachse des Taunus in Rente und spendierten dem Ford Sierra einzeln aufgehängte Räder, deren Schräglenker an einem U-förmigen Hilfsrahmen befestigt sind. Gemeinsam mit den McPherson-Federbeinen vorn und der sehr ausgeglichenen Achslastverteilung beschert dieses Layout dem Sierra ein gleichermaßen agiles wie sicheres Fahrverhalten, das auch BMW-Umsteigern Lob abrang.
Zum Glück mit Hinterradantrieb!
Ja, der Sierra fährt sich leichtfüßig und präzise. Und da Ford am Hinterradantrieb festhielt, während wichtige Konkurrenten schon lange die Kosten- und Package-Vorteile des Vorderradantriebs entdeckt hatten, war und ist es ein vergnügliches Fahren ohne Antriebseinflüsse im Lenkrad und, wenn man es mag, einem lebendigen Heck.
Da das Fahrwerk des Ford Sierra nicht auf Krawall gebürstet wurde, kommt auch der Komfort nicht zu kurz, trotz der nicht eben geringen Motor- und Windgeräusche bei schneller Fahrt.
Stufenheck ab 1987
Das gilt auch für den Innenraum des Ford Sierra, der mit seinem dem Fahrer zugewandten Hartplastik-Cockpit auf modern macht und mit vielen Ablagen und markentypisch kuscheligen Sitzen den Wellness-Faktor nicht vernachlässigt. Okay, in den Basisversionen sitzt der Hupknopf noch im Lenkradhebel, und Drehzahlmesser, asymmetrisch geteilte Rücksitzlehne, Scheibenwischer-Intervallschaltung oder Uhr kosten extra.
Doch die Basis-Sierra der ersten Serie, bis 1987 das Stufenheck und das Bug- und Heckdesign im Stil des Scorpio kamen, sind heute verschwunden, weil aufgebraucht. Den Markt dominieren die L-, GL- und Ghia-Versionen mit bürgerlicher Motorisierung, eher selten steht einmal ein XR4i mit dem doppelten Heckgeflügel und dem zusätzlichen hinteren Seitenfenster zum Verkauf. Der forderte von 1983 bis 1985 die schnellen BMW heraus mit den 150 PS seines 2,8-Liter-Grauguss-V6, ehe 1985 die weniger fahraktiven 4x4-Modelle wie der XR4-Allrad mit gleicher Leistung kamen – mit serienmäßigem ABS übrigens.
Der böse Sierra RS Cosworth
Doch diese Power-Sierra sind, wie auch der böse RS Cosworth mit dem bei den britischen Motorenspezialisten optimierten Zweiliter-Turbo, selten, teuer und vor allem nicht typisch für die Mittelklasse der 80er-Jahre aus Köln. Am nächsten kommt man ihr – dem Leben ihrer Käufer und ihrem Mittelstands-Milieu der Kohl-Ära – am Steuer der braveren Modelle.
Sanft murmeln die wenig drehfreudigen V6, etwas rauer, aber spritziger gehen die Zweiliter-Vierzylinder ans Werk, die trotz obenliegender Nockenwelle kein Ausbund an Drehfreude sind, sondern ihre Stärken im Mittelfeld des Drehzahlmessers haben. Dessen Skala ist übrigens nicht kreisrund, obwohl dafür Platz wäre. Sondern erstreckt sich über einen großen Viertelkreis und ist damit so typisch Sierra wie der dünne Zündschlüssel, der mit seinen vielen Ecken und Kanten gern die Hosentaschen aufschlitzt.
Es gibt kaum noch gute Sierra
Präzise rasten die Gänge auf nicht sonderlich kurzen Wegen, sanft wiegt die Karosserie des Ford Sierra über Fugen und Schlaglöcher hinweg, und den Oberkörper umfassen plüschige Sitze, in denen sich durchaus mehrere hundert Kilometer am Stück aushalten lassen. Ideal für Langstrecken mit Freunden und Gepäck wäre ein Turnier, in dessen Kombiheck viel mehr Kram passt als in das 408-Liter-Abteil der Fließheckmodelle (unter denen die Zweitürer heute besonders skurril erscheinen).
Doch die Ford Sierra Turnier waren ja wie fast alle Kombis dieser Zeit in der Mehrzahl nicht für die Freizeit angeschafft worden, sondern fürs Geschäft. Entsprechend desaströs ist ihr Zustand heute, zumal bei Vierzylinder- Leergewichten von kaum mehr als einer Tonne naturgemäß nicht sonderlich viel Rostschutz im Spiel war.
Die Suche nach der Perle
Natürlich gibt es Glück und Zufälle, die einem einen Ford Sierra vor die Flinte jagen, der als Familienauto normal altern durfte, anstatt Farbeimer zur Baustelle zu bringen oder später die Dorfjugend zur Disco. Doch die Frage ist ja, ob – und wozu – man ihn haben will, diesen Ford unserer Eltern, der 1990 noch einmal leicht an Grill, Scheinwerfern und Heckleuchten geliftet wurde.
Die Ersatzteilversorgung ist – abgesehen von Karosserie- und Interieurteilen – anständig, die Benziner sind mit ein wenig Aufmerksamkeit gut für viele Erdumrundungen, und die Preise sind günstig. Wie viele Autos aus dieser Zeit fühlt sich der Ford Sierra nicht wirklich alt an, aber doch älter als Konstruktionen der 90er-Jahre.
Cosworth-Sierra im Vergleich zum BMW M3 Sonderangebot
Ford Sierra XR4i und RS Cosworth haben es geschafft, sie sind gesuchte Sammlerautos mit entsprechenden Preisen (wobei der Cossie im Vergleich zum BMW M3 E30 noch als Discount-Angebot gelten muss). Doch was könnte sonst reizen unter den vielen Sierra- Varianten aus der Zeit zwischen dem Taunus und Mondeo? Ein zweitüriger 2.0i S wäre irgendwie cool als leichter, wendiger Daily Driver ohne Allüren. Oder ein später V6 2.9i mit Steuerkette statt Stirnrädern?
33.600 Mark kostete der GL 1989, 145 katalysatorgereinigte PS inklusive. Mehr Zylinder und mehr Hubraum in einer Limousine gab es damals nicht, auch nicht aus Japan. Den zackigen Schlüssel ins Schloss, den alten Grauguss-Bären vorn wecken, Kassette einschieben und raus aus der Stadt. Klingt doch irgendwie reizvoll, oder?
So viel kostet ein Ford Sierra
Fangen wir mal bei dem günstigsten an, dem zweitürigen Sierra 1.6 L. Ihn gibt es in gutem Zustand ab etwa 1.200 Euro (Zustand 4: 100 Euro). Am teuersten sind die Sechszylinder, die rund 2.100 (Ford Sierra 2.3 V6 GL Turnier) und 2.700 Euro (2.9 GL Viertürer) kosten.
Sonderfälle sind die Sierra XR4i und der Sierra RS Cosworth. Letzterer kostet in Zustand 2 rund 21.100 Euro (Zustand 4: 7.600 Euro). Die XR4i sind für etwa 6.200 Euro (Zustand 4: 1.600 Euro) zu haben. Der Allradler Sierra XR4x4 ist günstig: 2.900 respektive 400 Euro gibt Classic-Analytics an.