Ford Scorpio und Opel Omega im Fahrbericht
Schock für Granada und Rekord-Fans
Mit Rekord respektive Granada sollten Opel Omega und Ford Scorpio große Vorgänger beerben und doch so ganz anders sein als diese. Vor allem was das Image anging. Das war das Problem.
06.11.2014 Michael Orth2 Milliarden Entwicklungskosten für den Opel Omega
Die erste Straße, auf der er fuhr, war die K 130. Sie führt in Rüsselsheim von einer Kehre zur nächsten, immer wieder schnurgeradeaus, und er fuhr dort entlang, noch bevor er die eigenen Räder hatte. Die K 130 war ganz neu vor 30 Jahren, man hatte sie extra für den Opel Omega angelegt. Eine halbe Milliarde Mark hatte das gekostet. Er allerdings war bis zu dem Moment, ab dem sich im Sekundentakt die gelben Arme von 239 Robotern über ihn schwangen, Schweißnähte zogen, Punkte setzten und Profile verbanden, schon um das Vierfache teurer.
Mit einem Budget von zwei Milliarden Mark, weit mehr als für jedes andere Modell bis dahin, beginnt im Herbst 1981 die Entwicklung des Opel Omega. Die Riesensumme kommt nicht von ungefähr. Von Anfang an geht es Opel mit dem Omega nur unter anderem um einen Nachfolger für den Rekord.
Der hatte sich über drei Jahrzehnte millionenfach verkauft, brachte Opel aber zum Ende seiner Laufzeit mehr Kopfzerbrechen als Kapital. Denn der Rekord war alt, und Opel wollte gerne neu sein. Der Rekord stand für Tradition, aber Opel wollte Fortschritt verkörpern. Und der Rekord stand als Modell in einer Palette, die streng hierarchisch gestaffelt war und tradierte gesellschaftliche Ordnungsprinzipien abbildete.
Aber Opel wollte eine neue Ordnung. Und mit dem Omega einen anderen Kunden ansprechen als „das träge Dickerchen, das mit Hut, Zigarre und sichtbaren Hosenträgern am Lenkrad hockt“. So hatte „Der Spiegel“ den typischen Opelfahrer beschrieben. Damit sollte der Omega, der nebenbei auch als Basis für das Flaggschiff Senator und für andere Spitzenmodelle des GM-Konzerns dienen durfte, aufräumen. Mit ihm wollte Opel, was der Marke gerade wieder ein aktuelles Anliegen ist: „umparken im Kopf“.
Ford Scorpio ist erstes Großserienauto mit ABS in Serie
Auch im Ford Scorpio, er basiert auf einer in der Länge angepassten Sierra-Plattform, brauchte es dazu einst einiges an Gekurbel. Ford schien nicht wirklich das richtige Augenmaß gehabt zu haben, um ihn in die Lücke zu platzieren, die der Granada frei machte. 1,8 Milliarden Mark hatte Ford in Konstruktion, Gestaltung und Produktion des Scorpio gesteckt.
Ford rühmte sich, mit dem Scorpio den ersten Großserienwagen in Europa mit ABS anzubieten, jener zukunftsweisenden Besonderheit, deren Funktion man 1985 dem Kunden noch wortreich erläutern musste: „ABS ist ein computergesteuertes Bremssystem, das in der Sekunde bis zu zwölfmal bremst und die Bremsen wieder löst – an allen vier Rädern!“ Klingt ja toll. Weniger toll war allerdings, dass der Vorstandschef Daniel Goeudevert das System in Serie erst gegen den Widerstand von Marketing und Ingenieuren durchboxen musste. „Die hätten“, so erinnert sich der bullige Franzose, „eher ein zweites Gaspedal einbauen lassen.“
Befremdliches Design macht den Scorpio zum Flop
Gebracht hätte es dem Ford Scorpio nichts. Denn der stand ja nicht, weil es ihm an Gaspedalen fehlte, sondern weil er aussah, wie er aussah. Gewöhnungsbedürftig nannten die Zurückhaltenden, was andere als Zumutung bezeichneten. Zwar musste es erst der Scorpio der zweiten Generation hinnehmen, dass seine – vermeintliche! – Hässlichkeit heroisch genannt wurde, doch befremdet waren die meisten bereits von der ersten Version des neuen Ford, weil die Konsequenz seiner Karosserie eine Klientel überforderte, die ja nicht eben als besonders progressiv und der Avantgarde zugeneigt gilt.
So aber hatte man in der Designabteilung den Stift geführt, um den Ford Scorpio, wie zuvor schon den Sierra, optisch auf Zukunft zu trimmen. Es ging um die Erscheinung im Allgemeinen und um das Heck im Besonderen.
Fords Europa-Chef Bob Lutz, der für das neue Auto den Namen „Lugano“ viel schöner gefunden hätte, war ein Risiko eingegangen: Er hatte das sogenannte Aeroheck als Synthese aus Stufe und Kombi favorisiert, um statt drei Varianten zunächst nur diese eine präsentieren zu müssen. Die Rechnung ging nicht auf, der Absatz lahmte. Dass die Limousine erst 1990, der Turnier erst zwei Jahre später nachgereicht wurde, halten viele für den Geburtsfehler des Scorpio.
Radikaler Bruch mit den Vorgängern
Der des Opel Omega war ein anderer, nicht weniger schlimmer. Die Rüsselsheimer standen unter Druck, hatten ein gespanntes Verhältnis zur Konzernmutter und Marktanteile eingebüßt, als der Omega radikal mit dem Vorgänger brach – und auch mit der Art, wie man bei Opel sonst oft von einem Modell zum nächsten wechselte, ohne mehr als nötig zu wechseln nämlich.
Der Opel Omega behielt vom Rekord so gut wie nichts. Fast 6.400 Teile wurden entwickelt, konstruiert und getestet, um in der oberen Mittelklasse einen automobilen Fortschritt auf die Räder zu stellen, der jede Klorollen-Assoziation verbot und ein für alle Mal die Pepita-Hütchen von den Köpfen pustete. „Omega soll dokumentieren, dass es der Käufer rundum mit neuer Technik eines komplett neuen Autos zu tun bekommt“, erklärte Opel, warum selbst der Name ein anderer werden musste.
Neues Modell, neuer Name, neues Image, neue Technik, neue Zielgruppen und außerdem noch neue Produktionsverfahren: Das war einigen zu viel auf einmal. Vor allem dem Opel Omega selbst. Er litt am Start darunter, dass seine Stromlinie manchem missfiel, der eben doch nicht von den Hosenträgern lassen wollte. Aber noch viel mehr krankte er an komischen Macken wie etwa einer Zentralverriegelung, die die Türen verschloss, wenn man über eine Bodenwelle fuhr.
Mit Traumlenkerachse der Konkurrenz voraus
Dabei war – und ist – der Opel Omega im Prinzip ein fantastisches Auto, das vor allem wegen seines Fahrwerks der Konkurrenz voraus war. Lange hatte Opel vorgemacht, wie sich die Hinterräder auch an starrer Achse vorbildlich führen lassen. Nun zeigte man, wie es noch besser geht. Auf seinem DSA-Fahrwerk, wie die Techniker kurz für „Dynamic Safety Action“ sagten, rollt der Omega gleichsam selbststabilisierend durch Kurven und über Untergründe unterschiedlicher Reibwerte, weil die Kinematik der Aufhängung stets eine entsprechende Spurveränderung bewirkt.
In Anspielung auf die Begrifflichkeiten der Mitbewerber meinte lapidar Herbert Oberhaus, Direktor Produktentwicklung und Konstruktion: „Das macht unsere neue Traumlenkerachse.“ Sie macht das freilich auch heute noch. Weshalb sich der Opel Omega erstaunlich leichtfüßig und präzise lenkt, nicht allein für seine Größe. Die unterstreicht auf langer Strecke den Komfort, der 2,6-Liter-Sechszylinder begleitet schnelles Reisen mit der angenehmen, grummeligen Opel-Melodie der CIH-Motoren. Zum Bulligen seiner Kraftentfaltung – kurz über Leerlaufdrehzahl baut sich die Drehmomentwelle auf – kommen Drehfreude, Elastizität und Laufkultur.
Das bringt nichts, was in Zahlen gegen die aufgeladenen, kleinvolumigen Vierzylinder von heute anstinken kann. Aber ein Gefühl, das die nackten Zahlen sowieso vergessen macht. Und dieses Gefühl – ein Auto, ein Motor, ein Fahrer – sorgt auch dafür, dass die selbst in der CD-Diamant-Version eher bescheidene Innenraumgestaltung des Opel Omega nicht als kärglich empfunden werden muss. Sie passt zum nüchternen Stil der Karosserie, ist übersichtlich und funktional.
Nobel ausgestatter Scorpio verleitet zum Gleiten
Aber nicht so wohnlich wie das Interieur des auch von außen üppigeren Ford Scorpio, unter dessen Blech prinzipiell Granada-Technik weiter ihren Dienst tut. Wenn das Ghia-Emblem auf die nobelste Ausstattungsvariante hinweist, sind die Sitze mit echtem Kaschmir-Velours bezogen und auch hinten in der Neigung der Lehnen zu verstellen. Das ist sehr gemütlich und trifft damit auch die Art, wie der Scorpio sich am besten bewegen lässt. Vor allem mit dem kleinen Vierzylinder und Automatik.
Man sollte gar nicht erst versuchen, dem Ford Scorpio Dynamik abzuzwingen. Aber man wird es schnell auch nicht mehr wollen, so sehr beruhigt der große Ford mit seinem Schunkeln und dem sanften Nachlegen der Fahrstufen. Andere mögen schneller sein als der Vierzylinder-Scorpio, gemütlicher sind sie nicht.
Fazit von Michael Orth zu Ford Scorpio und Opel Omega
Der Opel Omega zum Fahren, der Ford Scorpio zum Verwöhnen, das bringt es auf den Punkt. Immer noch wirkt der Omega aus dem einstigen technischen Anspruch heraus, der Scorpio hingegen rückt gefühlsmäßig mit jedem Jahr näher an den Granada: groß, gediegen, gelassen. Wie unterschiedlich Autos mal waren, nicht nur hinsichtlich der Gestalt, auch im Charakter.