Ford Escort RS 2000, Opel Kadett GT/E, VW Golf GTI
Die Kompakt-Raketen von damals
Sportliche Kompaktautos mit doppelt so viel PS wie ihre Basisversionen lieferten sich nicht nur auf der Rennstrecke heiße Duelle. Sie hießen Ford Escort RS 2000, Opel Kadett GT/E und VW Golf GTI. Heute sind sie wieder so begehrt wie damals.
09.07.2016 Franz-Peter HudekIm heutigen Straßenbild hat sich eine neue Farbe etabliert, die im Begriff ist, das inzwischen veraltete Silber abzulösen: Grau. Gerne auch Anthrazit, ein dunkles, warmes, fast schon freundliches Grau. Bei leistungsstarken grauen Autos fehlen am Heck oft die Hinweise auf Modell und Motorisierung. Spoiler besitzen sie, wenn überhaupt, nur im Verborgenen. Die Aerodynamik-Hilfen zeigen sich erst, wenn sie gebraucht werden. Diese Autos und ihre Fahrer geben sich cool und distinguiert. Nur ein gelegentliches, oft elektronisch erzeugtes Auspuff-Bollern lässt erahnen, welche Kraft in ihnen steckt.
Ohne Spoiler geht hier nichts
Ganz anders unsere drei Klassiker, die Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre eher maßvoll die Straßen bevölkerten. Sie heißen Ford Escort RS 2000, Opel Kadett GT/E und VW Golf GTI. Das zeigen sie auch gerne an ihren Karosserien, an denen die magischen zwei oder drei Buchstaben am Heck, an den Flanken oder sogar im Kühlergrill nicht zu übersehen sind. Ebenfalls nicht zu übersehen sind die schwarzen Spoiler und Stoßstangen, die sich deutlich von der Karosserie abheben. Die Aerodynamik-Hilfen am Heck und unter der Frontstoßstange sind offenbar notwendig, um die Kleinwagen-Karosserien bei ihren hohen Endgeschwindigkeiten von bis zu 190 km/h am Abheben zu hindern.
Escort RS, Kadett GT/E und Golf GTI sind mit ihren jeweils 110, 115 und 112 PS starken Motoren die sportlichen Topmodelle von eher braven Alltagsautos. Deren Basisversionen hatten im Schnitt etwa 50 PS unter der Haube und schafften auf der Autobahn bergab mit etwas Rückenwind immerhin 140 km/h. Ford verpasste seinem Escort RS der zweiten Generation sogar eine vollkommen neu geformte, um 16 Zentimeter verlängerte Fahrzeugnase mit zwei markanten Doppelscheinwerfern. Für die Autotester gab es hierzu ebenso markante Zahlen: Reduktion des Luftwiderstandsbeiwertes um 16 Prozent, Reduktion des Auftriebs an der Vorderachse um 25 Prozent. An der Hinterachse verringerte der RS-Heckspoiler den Auftrieb sogar um sagenhafte 60 Prozent. Da kann ja nichts mehr schiefgehen.
VW Golf GTI vergleichsweise zurückhaltend
Die Farben Grau und Schwarz waren damals noch nicht in Mode, Silber erst gerade so im Kommen. Das zeigt unser silberner Golf GTI von 1983 in der Pirelli-Sonderversion, gut erkennbar an den Felgen mit den neun „P“. Der VW wirkt daher mit seinen seitlichen Rallye-Streifen, schwarzen Kotflügelverbreiterungen und der roten Kühlerumrandung im Vergleich zum Ford und Opel eher zurückhaltend.
Den Escort RS 2000 gab es dagegen nur in den Farben Gelb, Weiß und Rot, den Kadett GT/E 2.0 anfangs nur in Gelb-Weiß, den 1,9-Liter-Vorgänger sogar in noch auffälligerem Schwarz-Gelb. Und so sollte es auch sein. Im normalen Alltagsbetrieb war der mehr oder minder martialische Auftritt unserer drei Kompaktsportler ganz klar eine deutliche Kampfansage an die normal motorisierten Verkehrsteilnehmer: Man möge doch einfach ein bisschen Platz machen oder kurz vom Gas gehen, wenn der engagierte Hobby-Rennfahrer im Rückspiegel auftaucht.
Der Lenker eines Mercedes 280 S konnte es auch leichter verkraften, wenn ihm auf der Autobahn ein deutlich erkennbarer RS 2000, GTI oder GT/E bei 180 km/h an der Stoßstange hing und nicht etwa die harmlose Standardversion. Dank der drei Kraftwagen gehörte jetzt die linke Autobahnspur auch jenen Autofahrern, die dafür nur etwa 15.000 Mark investieren konnten: Freiheit, Gleichheit, Sportlichkeit! Und deshalb lieben wir diese kleinen, verrückten Raketen heute so innig wie damals.
Kadett GT/E und Escort RS 2000 oft als Rennauto-Basis
Der indiskrete Macho-Auftritt unserer drei Helden diente nicht nur der Fahrsicherheit und dem Überholprestige, sondern war tatsächlich ernst gemeint. Vor allem Escort und Kadett kamen häufig bei nationalen Rennen zum Einsatz, bevorzugt bei Slalom- und Rallye-Wettbewerben. Auf internationaler Ebene gingen bei Ford und Opel jedoch fast ausschließlich der kurze Escort RS 1800 mit Cosworth-BDE-Motor beziehungsweise der größere Ascona 400 an den Start.Heute sind originale Exemplare der drei Musketiere höchst selten anzutreffen. Fast alle wurden nämlich für den Renneinsatz oder für noch mehr Fahrspaß auf der Straße umgebaut und mit größeren Rädern, anderen Vergasern und mehr ausgestattet.
So auch unser weißer RS 2000 aus dem Jahr 1976. Der Wagen mit breiter 205er-Bereifung auf dreiteiligen BBS-Rennfelgen und gepolstertem Überrollkäfig gehört Hans Julius Berger. Der damalige Besitzer einer traditionsreichen Ford-Werkstatt in Remagen plante von Anfang an den Renneinsatz seines Escort im Slalom-Sport. Auch für Serien-Tourenwagen der Gruppe eins waren maßvolle Verbesserungen erlaubt. Zwei Weber-Doppelvergaser sowie ein Fünfgang-Schaltgetriebe aus dem späteren Ford Sierra und das stark modifizierte Fahrwerk machten aus dem weißen RS 2000 einen gefährlichen Slalom-Gegner, für den Berger sogar einen damals namhaften Sponsor fand. Mit breiten, seitlichen hell- und dunkelblauen Streifen warb der weiße Escort bei seinen Sport-Einsätzen für Sinziger Mineralbrunnen, musste sich aber oft von den flinkeren Opel Kadett GT/E schlagen lassen. „Die kamen mit ihren Einspritzmotoren einfach besser aus den engen Ecken heraus“, erklärt der einstige Rennfahrer, „da kam der Vergasermotor des Ford manchmal ins Stottern.“
Ford Escort RS 2000 im Slalom-Trim deutlich wilder als die Serie
Dafür produziert der im Serienzustand eher handzahm und drehzahlscheu agierende OHC-Vierzylinder mit nachgerüsteten Weber-Vergasern und Sportauspuff einen herrlichen Stereo-Sound: tiefes, bösartiges Ansaug-Grollen von vorn und eine etwas fröhlicher klingende Auspuff-Fanfare von hinten. Ist der Fahrer dank Schalensitz und Sechspunktgurt mit dem nur 925 Kilogramm leichten Limousinchen fest verzurrt, kennt das ungefilterte Fahrvergnügen fast keine Grenzen. Ab 3.000/min zieht die gut 140 PS starke Maschine energisch an und knurrt dabei wie ein Dobermann hinterm Maschendraht.
Enge Kurven meistert der einstige Slalom-Escort, der bis 1990 im Einsatz war, so knackig und beflissen wie die „Wilde Maus“-Achterbahn auf dem Münchner Oktoberfest. Kein Untersteuern, kein Einfedern. Nur einlenken, zack! – und ab um die Ecke. Geht es mal geradeaus, finden wir auch Zeit, das freundlich eingerichtete Cockpit zu genießen: die übersichtlichen Instrumente, die mit Chromleisten aufgewerteten Türverkleidungen und die vom Fahrer etwas abseits platzierte Zeituhr, die schräg zu uns herüberschaut. Doch wie geht denn ein normaler, nur 110 PS starker Escort RS 2000? Hierzu die Erfahrungen der auto motor und sport-Tester aus dem Jahr 1976. So ist der „eher biedere Charakter des Ford-Motors kein Nachteil“, sondern gefällt durch kräftigen Durchzug bei niederen Drehzahlen, nervt aber durch ein rau klingendes Brummen bei hohen Drehzahlen, denn „6.500/min werden leicht erreicht“. Dass bei gemessenen 178,2 km/h, die auf dem Tacho wohl als 190 und am Stammtisch als 200 km/h in Erscheinung traten, kein Angstschweiß ausbrach, lag nicht nur an den bereits erwähnten Spoilern. Das um 20 Millimeter tiefergelegte Fahrwerk, die um zwei Längslenker bereicherte hintere Blattfeder-Starrachse sowie eine deutlich straffere Fahrwerksabstimmung verbesserten spürbar die Fahrsicherheit, „die sich durchaus sehen lassen kann“. Gilt das auch für den konzeptionell ähnlich gestrickten Kadett GT/E?
Opel Kadett GT/E zelebriert die spartanische Sportlichkeit
Bis auf den montierten Überrollkäfig entspricht unser Kadett Coupé der Serienspezifikation. Und das bedeutet im Vergleich zum Escort vor allem einen deutlich spartanischer eingerichteten Innenraum mit sichtbarem Karosserieblech an den Türen, mit schwer ablesbaren Zusatzinstrumenten auf der Mittelkonsole, mit einer gut versteckten Heizungsregelung im Geländewagenstil, zu der auch der lange, nach hinten gekröpfte Schalthebel gut passt. Als Gipfel der wohl zum sportlichen Auftritt gehörenden Sparmaßnahmen hat man zwischen Tachometer und Drehzahlmesser stets eine Uhr ohne Zeiger und Uhrwerk im Blick. Geschätzte Gewichtsersparnis: 100 Gramm. Trotzdem ist der GT/E nicht leichter als der RS 2000, was vor allem an den massiven Fahrwerksverstärkungen des Opel liegt, die von den vorderen Querlenkern bis zum Hinterachs-Deichselrohr reichen. Auch das ZF-Fünfganggetriebe wirkt sehr solide und lässt sich wie in einem Krupp-Muldenkipper schalten: lange, widerstandslose Wege – und dann das deutlich spürbare Einrasten wie das Zuschnappen einer Bärenfalle.
Zum Glück bilden der durchzugskräftige Zweilitermotor und die relativ kurze Achsübersetzung eine sehr glückliche Kombination, die Autobahnetappen in Temporegionen von 100 bis 180 km/h ohne Gangwechsel im Fünften erlauben. Bei 4.000/min und mit 140 km/h auf dem Tacho erklimmt der kleine Kadett jede Autobahnsteigung so stoisch wie ein Güterzug den Gotthard-Anstieg. Der dabei produzierte Lärm ist auch ohne Ansaug-Grollen wie im Escort im Vergleich mit modernen Autos einfach sagenhaft und zeugt von einer sympathischen Direktheit und Frische. Es heult, malt und zischt derart eindrucksvoll, dass man zunächst kaum wagt, die 140 km/h Reisetempo anzupeilen. Da aber der Geradeauslauf stimmt und Spurwechsel sich absolut zielgenau absolvieren lassen, wächst das Vertrauen in den schnellen kleinen Opel. Mehr noch: Es macht richtig Spaß, in einem immerhin fast 40 Jahre alten, für heutige Verhältnisse winzigen Oldtimer auf der linken Autobahnspur voll mitzuschwimmen.
Und wie packt der GT/E Kurven? Einfach perfekt, wie auch die Kollegen von sport auto befanden. Sie unterzogen 1976 die drei Kompaktsportler einem Vergleichstest. Bei den Rundenzeiten auf dem Kleinen Kurs des Hockenheimrings ergab sich die Rangfolge Opel vor VW und Ford. Der Kadett GT/E – noch mit 1,9-Liter-Motor und nur 105 PS – profitierte dabei von seiner gut geführten, schraubengefederten Hinterachse, dem straff abgestimmten Fahrwerk und von der präzisen Lenkung. Der Golf GTI schwächelte dagegen aus zwei Gründen: mangelnde Traktion wegen des Frontantriebs und eine speziell für die Hinterachse etwas zu weich gewählte Fahrwerksabstimmung. So weit sport auto.
VW Golf GTI in vielen Details moderner als GT/E und RS
Überhaupt repräsentiert der Golf eine andere Fahrzeuggeneration als Escort und Kadett mit ihren angetriebenen Starrachsen im Heck. Frontantrieb und eine praktische Heckklappe revolutionierten Anfang der 70er-Jahre die Kompakt- und Mittelklasse. Vor allem in Frankreich und Italien waren Modelle wie Renault 16 und Fiat 128 heiß begehrt. Der 1974 vorgestellte Golf nutzte deshalb italienisches Know-how, seine Karosserie entstand bei Italdesign unter der Federführung von Giorgetto Giugiaro.
Mit seinen großen Fensterflächen und der relativ steil stehenden Windschutzscheibe wirkt der kantig gezeichnete GTI lange nicht so sportlich wie seine beiden Konkurrenten. Innen vermissen wir die obligaten „Rallye“-Zusatzinstrumente wie auch ein zünftiges Sportlenkrad. Eine digitale Multifunktionsanzeige informiert wahlweise über Uhrzeit, Verbrauch, Öltemperatur und mehr. Ab Modelljahr 1981 erhielt der GTI das gleiche Cockpit wie der VW Jetta, der stets etwas belächelte Rentner-Sedan. Immerhin: Der Golfball als Schaltknauf hat in unserem späten „Pirelli“-GTI von 1983 überlebt. Offiziell hieß dieser gut ausgestattete, mit Doppelscheinwerfern und markanten Pirelli-Felgen gepimpte Golf einfach nur „GTI-Sondermodell“.
Im Vergleich zu seinen beiden älteren und sparsam ausgestatteten Konkurrenten wirkt der GTI fast schon wie ein Luxus-Kompakter für den täglichen Kindertransport in die Waldorfschule. Doch das täuscht gewaltig. Unter der quadratischen Motorhaube wartet ein von 1,6 auf 1,8 Liter Hubraum angewachsener Vierzylinder darauf, seine 112 PS auf die Vorderachse loszulassen. Weil der GTI mit 870 Kilogramm Leergewicht auch der leichteste unserer drei Kompaktsportler ist, kann er trotz Traktions-Handicaps und Kasten-Karosserie seine beiden Kontrahenten mühelos abhängen: 0 auf 100 km/h in sagenhaften 8,6 Sekunden, Vmax 192 km/h. Der etwas hubraumschwächere Golf offenbart die gleiche Souveränität beim Fahren wie die beiden Zweiliter-Renner. Man dreht am Zündschloss, fährt los und schaltet intuitiv die Gänge durch – immer dann, wenn der Motor sich mit einem rotzigen Röcheln deutlicher zu Gehör meldet. Ein Blick auf den Drehzahlmesser verrät, dass man die 3.000/min nie überschritten hat.
Wer mehr oder gar alles vom Motor verlangt, der freut sich über den konstanten und druckvollen Vortrieb ohne das befürchtete Zickzack-Ausbüxen der Lenkung. Der GTI fährt sich sogar eine Spur sicherer als die beiden Heckschleudern, die vor allem auf Schnee und im Regen einen gefühlvollen Gasfuß erfordern. Was alle drei jedoch vereint, ist ihre fettfreie Fitness, die sie auch ungeniert zeigen dürfen.