Citroen 11CV, Peugeot 203 und Simca Aronde
3 französische Klassiker im Fahrbericht
Sie sind zwischen 57 und 62 Jahre alt und meistern dennoch mit Bravour den Alltag: Citroën 11CV, Peugeot 203 und Simca Aronde. Wir waren mit ihnen unterwegs und erlebten neben einigen Zeichen der Zeit auch überraschend moderne Qualitäten.
19.10.2017 Kai KlauderAlltag und Oldtimer – für viele Besitzer ist das ein Widerspruch, denn sie wollen ihren mühsam restaurierten Klassiker nicht im anstrengenden Stop-and-goBetrieb verheizen. Zum Glück gibt es aber auch Oldtimerfahrer wie Peter Zell, Ingo Heitel und George Hüttig. „Die Autos muss man doch fahren, denn dafür sind sie gebaut worden – nicht zum Rumstehen in einer dunklen Garage“, sagt der pensionierte Ingenieur Peter Zell, der mit seinem Traction Avant von 1954 nach Strümpfelbach angereist kommt. Erste Auffälligkeit des Citroën 11CV: der Dachgepäckträger.
Die Erklärung folgt prompt: „Das ist keine Show, ich hatte nur keine Lust mehr, jedes Mal beim Bierholen das Reserverad raus- und wieder reinzuhieven.“ Normalerweise steht es nämlich im Kofferraum. Das ist gut im Falle einer Panne, doch schlecht im Alltag beim Einkaufen.
Peter Zell besitzt seinen Citroën 11CV schon seit mehr als 35 Jahren. Gekauft und restauriert in Tunis, im Laufe der Jahrzehnte immer wieder verbessert – wie es sich für einen Maschinenbau-Ingenieur gehört. „Ich wollte, dass der Wagen optimal im Alltag funktioniert, also habe ich mir Gedanken gemacht und bin ans Werk gegangen.“
Verbesserungen für den Alltag
Viele Optimierungen sind in der Traction-Avant-Szene mittlerweile gang und gäbe, so zum Beispiel die Umrüstung auf Antriebswellen mit homokinetischen Gelenken. Die Gleichlaufgelenke nach Rzeppa-Prinzip ersetzen die verschleißfreudigen doppelten Kreuzgelenke. Das erhöht den Fahrkomfort ebenso wie die Umrüstung der rupfigen Dreifingerkupplung auf eine Lamellenkupplung. „Da gibt es seit rund 15 Jahren schon einen Umbausatz auf Basis einer Bulli-Kupplung“, berichtet Zell. „Damit hat dann die elende Rupferei mit der originalen Kupplung ein Ende. Ich habe alles versucht, doch die Dreifingerkupplung habe ich einfach nicht in den Griff bekommen.“
Originalität steht also nicht im Vordergrund, dafür absolute Alltagstauglichkeit. Kein Wunder, dass Peter Zell seinem Traction Avant auch noch eine Heizung spendierte. „Original gibt es nur ein Blechrohr, durch das ein laues Lüftchen aus dem Motorraum den linken Fuß des Fahrers kitzelt. Das kann man vergessen. Ich habe daher eine Heizung maßangefertigt – nicht so einen Bosch-Mief-Quirl, sondern eine im Kühlkreislauf integrierte“, sagt Zell stolz.
Dort, wo früher die Sechs-Volt-Batterie saß, findet sich jetzt der Wärmetauscher, die Elektrik wurde auf nachttaugliche zwölf Volt umgebaut, und mit der selbst angefertigten Lüfterzarge kann der Tüftler seinen 11CV nun auch bei 30 Grad Celsius im Dauerstau laufen lassen: „Selbst in solchen Extremsituationen steigt die Wassertemperatur nicht über 90 Grad.“ Dank ausstellbarer Windschutzscheibe bleibt auch der Kopf des Fahrers in Betriebsbereitschaft. Damit er jederzeit über den Zustand des 1.911-cm³- Motors und der elektrischen Anlage informiert ist, rüstete Zell eine Uhrensammlung im Handschuhfach nach. „Das stört nicht die originale Optik, und ich weiß immer, wie es um mein Schätzchen steht“, so Zell.
11CV mit überraschend guter Straßenlage
Klingt überzeugend. Genauso überzeugend ist das Fahrverhalten des Traction Avant, einer Vorkriegskonstruktion aus den frühen 1930er-Jahren. Wie weit die Entwickler André Lefèbvre und Flaminio Bertoni ihrer Zeit voraus waren, lässt sich schon in der ersten Kurve spüren. „Der 11CV hat eine Straßenlage, da braucht man sich auch heute nicht zu verstecken“, bringt es Zell auf den Punkt. Schon 1934 zeigte der Citroën 11CV die Konstruktionsmerkmale, die noch bis in die 1990er-Jahre Standard vieler Fahrzeuge waren: selbsttragende Karosserie, doppelte Querlenker vorne, Verbundlenkerachse hinten. Drehstabfedern genügten auch einem Porsche 911 noch bis 1989. Der Citroën liegt satt, die Führung der Räder gelingt dank einer Spurweite von 1.370/1.350 Millimetern auch bis in überraschend hohe Kurvengeschwindigkeiten ohne hässliches Quietschen der Reifen, die dem Treiben letztlich ein Ende setzen. Wäre da nicht die typische Vorkriegsform der Karosserie mit ausladenden Kotflügeln, hohen Schwellern und zweiflügliger Motorhaube, wähnte man sich in einem deutlich moderneren Auto der 1960er-Jahre.
Nur der riesige Wendekreis und das Schalten mit dem „Senflöffel“, dem aus dem Armaturenbrett heraushängenden Schaltstock, verlangt nach Übung. Hat man sich einmal daran gewöhnt, geht das Dirigieren durch das Dreiganggetriebe jedoch leicht von der Hand. Laut Peter Zell ist das Getriebe der größte Schwachpunkt: „Dreigang ist eben Dreigang, einer fehlt immer.
Doch wenn man damit vernünftig umgeht, hält es ewig.“ Und wer außerdem das „Salatöl der 30er-Jahre“ nach einer Komplettrevision des Motors durch ein 10W-40-Mehrbereichsöl ersetze, der könne den Antrieb nur noch mutwillig kaputt kriegen, so der Experte mit 35 Jahren Schraubererfahrung.
Peugeot 203 mit größerem Motor
Der Peugeot 203 erinnert wie der 11CV mit seinen voluminösen Kotflügeln ebenfalls an die Vorkriegszeit, dabei handelt es sich bei ihm um eine Neukonstruktion.
Der Innenraum wirkt größer, doch kaum moderner als beim Citroën. Das Armaturenbrett aus lackiertem Blech, ein Kombi-Instrument im Blickfeld des Fahrers (bis 1953 mittig platziert) mit großem Tacho und darum angeordnet Anzeigen für Tankinhalt, Öltemperatur, Blinkerkontrollleuchten, Amperemeter sowie einer elektrischen Uhr, die das Modell als 1959er-Exemplar ausweist. Alles da, alles im Blick. Ingo Heitel erklärt das Startprozedere: „Erst den Schalter für die Zündung betätigen, dann den Choke etwas ziehen, und jetzt den Startknopf drücken.“ Sofort verfällt der Reihenvierzylinder in einen gleichmäßigen Lauf. Auch während der Fahrt zeigt sich, dass der Peugeot 203 topfit ist. Etwas gedopt ist er auch, denn statt des originalen 1,3-LiterMotors wurde ein 1,5-Liter aus dem Peugeot 404 verbaut. Auch hier geht es also nicht nach dem Originalitätsprinzip, sondern nach pragmatischen Gesichtspunkten.
Dass der Peugeot mittlerweile die vierte Farbe aufgelegt hat? Egal. Denn das Grau, das irgendwann in den 1980er-Jahren aufgesprüht wurde, steht ihm sehr gut. „Original war er mal grün – so in etwa ein Reseda-Grün, danach kam ein grelles Türkis und schließlich das Rotmetallic des BMW 323i der Baureihe E21“, weiß Heitel zu berichten – und zeigt auf einige Stellen im Motorraum und auf den Hauben, wo die entsprechenden Farben noch zu sehen sind.
Langstreckentauglicher Peugeot
Beim Fahren kann der stärkere Motor überzeugen. Aus niedrigen Drehzahlen zieht er ohne Verschlucken hoch, der direkt übersetzte dritte Gang kann schon bei rund 30 km/h eingelegt werden und beschleunigt den 920 Kilo schweren 203 ordentlich. „Es ist kein Problem, mit dem Wagen im heutigen Verkehr mitzuschwimmen. Und bei dem idealen Reisetempo von rund 120 km/h komme ich genauso schnell an mein Ziel wie mit einem modernen TDI – nur viel entspannter und besser gelaunt“, freut sich Ingo Heitel, der eine Sammlung von französischen Autos besitzt, die sich alle im Alltag bewähren müssen. Seinen Peugeot 203 nimmt er gerne für längere Strecken, denn der Vierte, der „Schon- und Schnellgang“, passt perfekt für Landstraßen – am liebsten für wenig befahrene französische, auf die man sich sofort wünscht, wenn man mit dem komfortabel gefederten Peugeot unterwegs ist. In solchen Fällen kann der vierte Gang eingelegt bleiben, er deckt die gesamte Geschwindigkeitsspanne ab, die auf einer Landpartie verlangt wird.
Die weichen Vordersitze mit wenig Seitenhalt geben den Fahrstil vor. Dabei kann die Vorderachse mit oberen Dreiecksquerlenkern und unterer Querblattfeder mehr, als man ihr zumuten möchte. Die hinteren Räder werden von einer T-förmigen Deichsel geführt und über eine Schnecke angetrieben. Hier stört kein Jaulen eines angegriffenen Differenzials das Vergnügen. Überhaupt ist das Geräuschniveau im 203 überraschend niedrig. Das passt gut zu dem Wagen, der in dem Trio das Genießerauto für die Langstrecke darstellt. Auch auto motor und sport stellte 1953 die „Verbindung von sehr guten Fahrleistungen und Sparsamkeit im Verbrauch“ heraus und lobte die Ausführung und Ausstattung als „bemerkenswert sauber und gediegen“.
Zölle verhindern Verbreitung
In Deutschland ist der Peugeot 203 eine Rarität – und war es auch zu seiner Produktionszeit, denn durch die hohen Zölle kostete er bei uns so viel wie ein Sechszylinder-Mercedes. Das gleiche Schicksal traf auch den Simca Aronde. In Frankreich war er ein Bestseller, doch nach Deutschland kam er nur in kleinsten Stückzahlen. Bemerkenswert ist die Preisgestaltung des Simca: Die erste Aronde kostete im Jahr 1952 mit 725.000 Franc rund 90.000 Franc mehr als ein Peugeot 203 – und 140.000 Franc mehr als ein Citroën 11CV BL. Die Preisaufschläge gegen- über den Mitbewerbern waren in der Nachkriegszeit eine selbstbewusste Ansage. Schließlich war die Aronde kleiner als 11CV und 203. Zudem betrug das Leistungsdefizit gegenüber dem Traction Avant acht PS.
Simca wird zweitgrößter französischer Hersteller
Doch Simca traf mit dem ersten komplett in Eigenregie entwickelten Modell den Nerv der Zeit.
Die Nachfolger der 9 Aronde wurden noch erfolgreicher – und fanden auch in Übersee (USA und Australien) viele Käufer. Zwischen 1951 und 1964 fertigte die Société Industrielle de Mécanique et Carrosserie Automobile – kurz: Simca – von den drei Generationen der Aronde rund 1,4 Millionen Einheiten und wurde hinter Citroën zweitgrößter französischer Hersteller.
Für einen erneuten Schub sorgte 1955 die Einführung der neuen Motorengeneration. Die Flash-Triebwerke mit 1.290 Kubik und Querstromzylinderkopf senkten den Verbrauch, erhöhten die Leistung und erreichten dank fünffacher Kurbelwellenlagerung nun eine ganz neue Laufruhe, die bei der Probefahrt sofort auffällt. Es kann losgehen, nachdem die avantgardistischen Bediensatelliten fast komplett zugeordnet sind: Der Blinkerhebel sitzt mittig oben auf der Lenksäule, links daneben der Kippschalter für die Scheibenwischer, rechts der Kippschalter, mit dem sich die Hupe von Stadt- auf Land-Tonlage umschalten lässt. Der erste Gang schlupft mit etwas Nachdruck an der Lenkradschaltung hinein und kann nach der geringsten Bewegung durch den zweiten Gang ersetzt werden. Das nutzbare Drehzahlband ist groß, doch schon bei gefühlten 2.000/min will man hochschalten. Dritter, vierter Gang, schon pendelt die Tachonadel bei den dreistelligen Zahlen.
Stilvoller Aronde
In der „Schwalbe“, so die Übersetzung des altfranzösischen Wortes Aronde, ist man ganz nah am Geschehen. Jede Lebensäußerung des Motors bekommt man hautnah mit, durch die schmale Kabine wird man neu zentriert. Ganz klar, hier geht’s ums Wesentliche. Auf der durchgehenden Sitzbank, deren Lehne geteilt und getrennt einstellbar ist, sitzt man nah an der Windschutzscheibe. Durch die schmale Kabine kann man mit ausgestrecktem Arm das Dreiecksfenster der Beifahrerseite öffnen und die Stärke der Klima-Brise regulieren. Umgeben ist man von einer wunderbaren Melange aus dezent gemusterten, edlen Stoffen, Verzierungen sowie Verkleidungen aus grün eingefärbtem Bakelit.
Beim Landstraßengondeln drängt sich sofort die schmale Spur in den Vordergrund des Fahrerlebnisses. Im Vergleich zum 203 ist die der Aronde um 70, zum 11CV um 100 mm schmaler – es fühlt sich gleich nach einer ganzen Fahrzeugklasse an. Die Handlichkeit ist dafür auf Smart-Niveau.
So hat jeder der drei Franzosen sein ideales Revier. Erkenntnis des Fahrtages: Keine Angst vor 60 Jahre alten Autos im Alltag.