Cisitalia 202 Gran Sport Fahrbericht

Das Auto, das ein Kunstwerk ist

Wenn ein Automobil seit 1951 im Museum of Modern Art steht, dann hat das einen Grund: Battista „Pinin“ Farinas hat mit dem Sportcoupé Cisitalia 202 von 1947 das Automobildesign revolutioniert.

Cisitalia 202 Gran Sport, Heckansicht Foto: Hans-Dieter Seufert 15 Bilder

Manhattan, New York, 53rd Street: Hier wohnt seit 1951 ein kleines rotes Auto und trägt die Inventarnummer 409.1972. Etwas besser bekannt ist der Wagen allerdings unter der Bezeichnung Cisitalia 202 Gran Sport – und hinter der nüchternen New Yorker Adresse verbirgt sich ein weltweit geschätzter Kulturtempel, der jährlich Millionen Besucher anzieht: das Museum of Modern Art, kurz MoMA. Was aber macht ein schnödes Automobil zwischen den Bildern von Cézanne, van Gogh, Kandinsky, Schiele und Picasso?

Der Cisitalia 202 Gran Sport sei „eine Skulptur in Bewegung“ befand 1951 Arthur Drexler, damals frisch gekürter Kurator des 1929 gegründeten Museums. Der New Yorker Architekt und Publizist hielt das Design des Cisitalia für so wegweisend, dass er ihn nach einer Sonderausstellung in den permanenten Bestand des MoMA übernahm.

Cisitalia revolutionierte das Sportwagendesign

Womit Drexler, der übrigens die Geschicke des Museums noch weitere 35 Jahre mitbestimmen sollte, zweifellos recht hatte. Tatsächlich sollte der 1947 auf der Villa d'Este präsentierte Cisitalia 202 das Sportwagendesign revolutionieren: Während bislang einzelne Komponenten wie Motor, Räder oder Scheinwerfer jeweils für sich in Blech gekleidet wurden, hatte Battista „Pinin“ Farina für den 202 eine völlig neue Linie mit integrierten Kotflügeln, Scheinwerfern und Türgriffen sowie einer nach vorn abfallenden Motorhaube gezeichnet.

„Mir war klar geworden, dass die klassischen Formen überholt waren“, erklärte Farina seinerzeit zu seinem Entwurf des Cisitalia 202 – der den Sportwagendesignern für die kommenden Jahrzehnte als Blaupause diente.

Kein Wunder, dass auch das ZeitHaus in der Autostadt Wolfsburg, das sich zum Ziel gesetzt hat, markenunabhängig alle Meilensteine der Autogeschichte zu zeigen, unbedingt einen Cisitalia haben wollte. 2011 war es endlich so weit: „Wir freuen uns sehr, dass der Cisitalia 202 Gran Sport die Sammlung des ZeitHauses ergänzt“, konnte Autostadt-Geschäftsführer Otto Ferdinand Wachs stolz verkünden, als er den silbernen Wagen mit der Chassisnummer 164 SC in Wolfsburg in Empfang nahm.

Viele Cisitalia gingen nach Argentinien

Dieser Cisitalia 202 Gran Sport kam direkt aus Argentinien, wohin er auch ausgeliefert worden war – wie viele Cisitalia, schließlich unterhielt Firmeninhaber Piero Dusio gute Kontakte nach Südamerika und hatte dorthin auch zeitweise seinen Firmensitz verlegt. Begonnen hatte die Karriere des Italieners eigentlich als Spieler bei Juventus Turin, dann kam er als Textilhersteller zu Geld. 1944 begann sein Consorzio Industriale Sportive Italiana, kurz Cisitalia, mit dem Bau eines Monoposto, des sehr erfolgreichen D46.

Fiat-Technik unter der schönen Leichtmetallhaut

Dessen Technik stammte weitgehend von Fiat, und auch für den neuen Cisitalia 202 übernahm Technikchef Giovanni Savonuzzi den Antrieb sowie beide Achsen vom Fiat 1100. Dessen kreuzbraver Vierzylinder leistete im Cisitalia allerdings dank freier atmendem Zylinderkopf 52 PS – genug für rund 160 km/h und etliche Sporterfolge.

Dennoch hätten sich viele Kunden passend zum herausragenden Design des Cisitalia 202 entsprechend mehr Leistung gewünscht. Auch geriet der in Handarbeit gefertigte 202 sehr teuer – in den USA erhielt man zu Beginn der 50er für den Preis eines Cisitalia fast zwei Jaguar XK 120. Dusio geriet zudem in finanzielle Schwierigkeiten durch sein ehrgeiziges, nie abgeschlossenes Projekt eines Zwölfzylinder-GP-Rennwagens aus der Feder von Ferdinand Porsche.

Cisitalia 202 Gran Sport ist ein anerkanntes Kunstwerk

Ein Verkaufserfolg war der Cisitalia 202 mit 170 Einheiten sicher nicht, doch das Kapitel Fahrspaß gelingt ihm aus heutiger Sicht auch mit 52 PS sehr gut: Der kleine Vierzylinder trompetet nach einem Zug am Anlasserhebel fröhlich los, packt früh kräftig zu und dreht willig hoch. Wer auf kurvigen Passagen oder am Berg flott vorankommen möchte, muss häufig schalten, auf den langen Geraden der Mille Miglia wird es mit dem hochdrehenden Motor vermutlich recht laut.

Fahrwerk und Bremsen des Cisitalia 202 unterstützen jedenfalls die sportlichen Ambitionen des Piloten, der sich bald dabei ertappt, wie er mit dem großen Lenkrad präzise den Kurvenscheitelpunkt anpeilt und die gesamte Straße nutzt, um möglichst wenig Schwung zu verlieren. Das macht Spaß, und wie – mit 400 PS ist ja jeder schnell. Außerdem: Wann kann man schon nach der Fahrt einem offiziell anerkannten Kunstwerk zuprosten, das nach Kraftstoff und Reifenabrieb riecht?