Chevrolet Corvette C5 und Chevrolet Camaro Z28
Ami-Sportler mit dem gleichen Herz
Mit der 1997 präsentierten Corvette C5 knüpfte Chevrolet an alte Muscle-Car-Zeiten an. Ihr neuer Alu-V8 leistete 350 PS und katapultierte das Coupé bis auf 281 km/h Spitze. Ein Jahr später erhielt auch der Camaro den LS1-Motor. Ist das große, preisgünstige V8-Coupé eine echte Corvette-Alternative?
26.09.2020 Franz-Peter HudekDie magische Zahl, mit der Kenner sofort die Marke Chevrolet in Verbindung bringen, lautet 350. Es ist das Zylindervolumen in Cubic-Inches der am meisten und längsten gebauten Smallblock-V8-Variante und beträgt 5,7 Liter. Der 350er-V8 trat erstmals 1967 mit dem Camaro SS in Erscheinung und blieb bis 2004 in Produktion. Ab 1975 gab es die Corvette ausschließlich mit dem 350er-Smallblock.
Dabei durchlief der Motor einige komplette Neukonstruktionen, wodurch 1997 die Motorleistung aus dem Jammertal der frühen Siebziger mit 165 PS wieder auf kernige 350 PS anstieg. Dies war das Jahr, als Chevrolet die Corvette C5 präsentierte, unter deren flachen Motorhaube der neue LS1-V8 aus Aluminium sein "Let the good Times roll" anstimmte.
Neben der Corvette erhielten dann ein Jahr später auch die Sportcoupés Chevrolet Camaro und Pontiac Firebird in ihren Topvarianten Z28 beziehungsweise Trans Am den kräftigen LS1-Motor mit rund 300 PS und optionalem Sechsgang-Schaltgetriebe. Diese kernigen V8-Bomber schaffen mühelos 250 km/h Spitze, beschleunigen in knapp sechs Sekunden von 0 auf 100 km/h und sind derzeit für rund 8.000 Euro auf dem Gebrauchtwagenmarkt erhältlich. Eine gepflegte Corvette C5 kostet das Doppelte. Ist sie auch doppelt so gut?
Für den direkten Vergleich von Corvette und Camaro sind wir in die Oberpfalz nach Mühlhausen gereist. Dort erwarten uns bereits Vater und Sohn Rindfleisch, die glücklichen Besitzer einer roten C5 mit 350 PS von 2000 und eines schwarzen Z28 mit 310 PS von 1999. Beide besitzen den legendären LS1-Motor und ein Sechsgang-Schaltgetriebe.
Keine Südstaatenflagge
Wer nun zwei wortkarge Jungs in Jeansjacken und Cowboystiefeln sowie eine Südstaatenflagge in der heimischen Garage erwartet, der hat sich getäuscht. Immerhin zeugt ein relativ neuer davor geparkter Dodge Charger SRT Hellcat mit 717 PS unter der Motorhaube von einer gewissen Neigung zur US-amerikanischen Fahrkultur. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass ein gestandener Prüfingenieur des TÜV Süd sich für US-Youngtimer begeistert und seinen Sohn Alexander sogar zum Kauf eines Camaro anstiftete? Ganz einfach: "Der Hausarzt war Schuld."
Tatsächlich war es reiner Zufall, dass der bevorzugt im Außendienst arbeitende TÜV-Prüfer zu einem bekennenden US-Car-Fan wurde. "Mein Hausarzt fuhr einige Jahre lang eine rote Corvette, die er immer draußen parkte", berichtet Andreas Rindfleisch. Als er diese verkaufen wollte, fragte er auch seinen Patienten vom TÜV, ob der einen Interessenten kennen würde. "Der Kaufpreis war dann so günstig", erzählt Andreas, "dass ich nicht nein sagen konnte. Und ich habe es bis heute nicht bereut."
Andreas gefällt an seiner vor fünf Jahren gekauften Corvette neben den guten Fahrleistungen und dem neutral abgestimmten Transaxle-Fahrwerk mit einer 50:50-Achslastverteilung vor allem die solide Technik und Reparaturfreundlichkeit: "Mit etwas Sachverstand ist an der C5 nahezu alles durchschaubar. Und die Ersatzteile, die ich direkt in den USA bestelle, sind erstaunlich günstig."
Weil Sohn Alexander ebenfalls einen US-Sportler mit drehfreudigem LS1-Motor besitzen wollte, ergänzt nun seit einem Jahr ein schwarzer Camaro Z28 den V8-Fuhrpark der Familie Rindfleisch.
Der bei einem Händler in Regensburg gekaufte US-Import zeigt jedoch einige kleinere Modifikationen, die ihn von einem serienmäßigen Camaro unterscheiden: Die Felgen stammen von der Corvette C5, und ein durchsatzfreudiger Luftfilterkasten der Tuning-Marke SLP ersetzt das Serienbauteil.
Jetzt parken beide US-Sportler nebeneinander am Ufer des Rhein-Main-Donau-Kanals. Geschickt tarnt der Camaro durch den schwarzen Originallack seine 4,9 Meter lange Karosserie. Neben der 35 Zentimeter kürzeren roten Corvette sieht das ausladende 2+2-Coupé auf den ersten Blick gleich groß aus. Auf den beiden einzeln ausgeformten Camaro-Rücksitzen mit ihren kurzen Lehnen können wie beim Vorgänger jedoch nur zwei Kinder die Fahrt genießen.
Fiat Punto, oder was?
Wir öffnen jetzt die gut 30 Zentimeter dicke Fahrertür, rutschen unter der flachen Windschutzscheibe auf den weich gepolsterten Velourssitz und knallen die riesige Tür zu. Das typische, leicht hysterische "Dingdingdingding" vom im Schloss steckenden Zündschlüssel verstummt. Der erste Eindruck: Ganz schön eng hier. Ein Fiat Punto bietet mehr Platz. Auch der etwas kürzere direkte Camaro-Vorgänger gönnte seinen Passagieren mehr Bewegungsfreiheit. Schuld daran sind die massive, sich dem Fahrer entgegenstreckende Mittelkonsole und die extrem schräg stehenden A-Säulen des sich an den Seiten nach oben verjüngenden Daches.
Die schlicht gezeichneten Instrumente in einem gemeinsamen Gehäuse gefallen durch ihre Übersichtlichkeit. Dafür bleibt die lange Motorhaube für den Fahrer unsichtbar. Nach dem Dreh am Zündschlüssel sind wir überrascht: Der V8 läuft leise und vibrationsarm, und die relativ leichtgängige Kupplung leugnet gekonnt, dass sie im Ernstfall bis zu 454 Newtonmeter an Drehmoment verkraften muss. Und der Ernstfall tritt jetzt schneller ein, als man denkt.
Wenn man im ersten Gang Vollgas gibt, schlägt der Drehzahlmesser fast so schnell aus wie ein Geigerzähler bei Tschernobyl – und die Tachonadel steht bereits bei 60 km/h. Jetzt hat sich auch der Motor mit einem zornigen hellen Knurren bemerkbar gemacht. Dann drei oder vier Sekunden im zweiten Gang, und wir bewegen uns mit 140 km/h auf der Landstraße außerhalb der Legalität.
Der LS1-V8 überrascht durch seine Drehfreude und zeigt – anders als die Vorgänger – auch jenseits der 5.000er-Marke noch den Biss eines hungrigen Grizzlys. Nur nicht im sechsten Gang, dem lang untersetzten Segelgang zum Spritsparen. Deshalb wird wie bei der Corvette die Vmax im Fünften erzielt.
Und das Fahrverhalten? Noch im grünen Bereich: Lenkung und Bremsen geben ihr Bestes, während das alte Starrachs-Chassis ein bisschen schludert, schaukelt und schwankt. Wie früher eben. Mal sehen, ob die schlanke Corvette das besser kann.
Erster Eindruck hinter dem C5-Lenkrad: Der Gestaltungsdrang zu rundlichen Formen ist nicht so ausgeprägt wie im Camaro. Und alles wirkt einen Tick wertiger – die Schalter, die Knöpfe und vor allem die exzellenten Ledersitze. Erfreulich auch, dass man draußen vor der Windschutzscheibe wenigstens die beiden Kotflügelkanten seines Autos sieht.
Das Raumgefühl unterscheidet sich dagegen kaum vom deutlich größeren Camaro. Auch Kupplung und Sechsgangschaltung fühlen sich identisch an. Sogar der Leistungsunterschied zum nur 100 Kilogramm schwereren Camaro fällt kaum ins Gewicht – so lange es geradeaus geht und die Straße nie aufhört.
Das ändert sich schlagartig, wenn man zügig ums Eck fahren möchte oder beim Überlebenskampf auf der Autobahn schnell die Spur wechseln muss. Während der Camaro hier emotionslos und mehr unter Zwang zur Sache geht, scheint die Corvette dafür geboren zu sein. Sie fährt durch Kurven so sicher wie die Wägelchen der "Wilden Maus"-Achterbahn.
Besitzer Andreas sagt dazu: "Ich bin schon fast jedes Auto gefahren. Aber dass die Amis einen so ausgewogenen und fahrsicheren Sportwagen hinkriegen, das hat mich am meisten überrascht." Dafür bietet der Camaro von Sohnemann Alexander etwas mehr Platz. So kommen die Enkel vielleicht auch mal in den Genuss, den grandiosen LS1-V8 zu erleben.