Bristol 412 SII Zagato
Britannias exklusivste Gurke
Ein Ufo für die Straße, dazu noch weiß und von eigenwilligem Charme. Bristol-Fahrer brauchen Geld und Nerven, denn der nur 62 mal gebaute Wagen verlangt ihnen einiges ab. Ein mutiger Selbstversuch.
20.10.2015 Alf Cremers
Was spricht für einen Bristol? Eine Frage, die sich jeder Autokenner irgendwann stellt. Andere Personengruppen nehmen ihn überhaupt nicht wahr. Seine Außenwirkung an der Tankstelle und auf dem Supermarktparkplatz enttäuscht. Wir hatten uns viel mehr vom skurrilen Charme dieses Exoten erhofft. Haben auf Fragen gewartet wie: "Ist das ein Eigenbau?" oder "Wie hässlich ist der denn?", oder noch besser: "Ist der Plastikbausatz von Kamei oder von Zender?
Radikalindividualismus in der Autowelt
Nichts dergleichen. Der Bristol 412 versank völlig in der Anonymität seines neutral-weißen Lacks. Nur zwei Autokenner haben ihn unterwegs geoutet und ihre Begeisterung bekundet: "Bristol? Zagato, nicht wahr?" Aber nur, weil er selten ist und so unglaublich bizarr. Vielleicht auch deshalb, weil die beiden stolz waren, die Rekord-D-Scheinwerfer wiedererkannt zu haben. Die Frage, was für einen Bristol spräche, außer einem mit Snobismus garnierten Radikalindividualismus, konnten auch sie nicht beantworten. "Nichts" wäre naheliegend, wenn man schon so lange drüber nachdenken muss.
Später, in seinen letzten Jahren von 1980 bis 1983, als S3, trug der Bristol 412 den Namen "Beaufighter". Beau heißt schön. Ein ungeheuerlicher Euphemismus sowohl für das Auto als auch für das gleichnamige Kampfflugzeug. Denn Bristol war schließlich royaler Flugzeughersteller, nur die nackte Not und eine Handvoll gratis verwertbarer BMW-Patente brachten die Firma in den 50er-Jahren zum Umlenken.
Autos waren Bristols Rettungsanker, erst kamen welche auf BMW-327/28-Basis, 1961 wurde mit dem Bristol 407 auf Chrysler-Antriebstechnik umgesattelt: V8-Motoren, Torqueflite-Automatik. Der Bristol mutierte zum kommoden Luxusauto, das Chassis mit Kastenrahmen blieb. Nichts am Bristol verdient den Namen "technische Delikatesse". Bristol-Impresario Tony Crook verstand es trotzdem, die Marke im automobilen Hochadel zu positionieren.
Ein Gefühl von Landaulet
Wir cruisen mit dem Beaufighter, pardon Bristol 412 SII durch München. Es ist sonnig und warm, das Targadach klemmt hinter den Vordersitzen, die neckischen Ausstellfenster im Überrollbügel sind geöffnet, das zurückgeklappte hintere Faltdach trägt der stattliche Wagen wie einen lässig übergeworfenen Schal, wie es sich für einen extrovertierten Zagato-Bohemien gehört.
Die nun offene, opulente Karosse suggeriert die aristokratische Note eines Landaulet. Dazu tragen die üppigen, nappaweichen Connolly-Sitze ebenso bei wie das fürstliche Raumgefühl. Der Bristol 412 ist ein großer Wagen, als Viersitzer problemlos tauglich. Auch die entzückend vor dem Fahrer angerichteten Smiths-Instrumente wissen zu gefallen, genauso wie die wurzelnussfurnierte Instrumententafel.
Wild verstreute Schalter
Die Schalter sind wild verstreut, man muss ihre Funktion raten, aber es fällt nicht schwer. Am schönsten ist noch die Klappe des Handschuhfachs, sie wird verziert von einem geflochtenen Lederriemchen. Schöne Details sind beim Bristol 412 die Ausnahme, das meiste sieht zusammengesucht und reingeschnitzt aus.
Das Lenkrad des Bristol 412 stammt aus dem Triumph Stag, der Wählhebel mit eingelassenem Sperrknopf wackelt und kollidiert mit den lieblos druntergenagelten Klima-Ausströmern, und die Türöffner hakeln. Jeder Opel ist besser gemacht als der hemdsärmelige Bristol, und jeder halb so teure Rolls-Royce Silver Shadow verströmt dagegen das Fluidum wahrhaftigen Kunsthandwerks. Trotz mäßiger Talente bleibt der Bristol arrogant, sein Preis war ein Abgrenzungspreis wie bei teuren Hotels oder Clubs: Members only.
Bristol 412 mit Lancia Beta Spider-Linie
Tom Wolfe, der große schriftstellernde Dandy, würde Bristol 412 fahren. Schon Ugo Zagato zuliebe, diesem Design-Exzentriker, der sich neben seinen illustren Seltsamkeiten auch mal in anmutiger Schönheit erging, siehe Aston Martin DB 4 GT. Für den Bristol 412 stand unverkennbar der Lancia Beta Spider Pate, ein zeitgleiches Erzeugnis der Carrozzeria Zagato.
Dachkonstruktion und Heckpartie samt Rückleuchten sind identisch. Auch der konsequent kantige Grundkörper des Bristol 412 erinnert an den Beta, der beim Bristol noch durch die eingebaute Schneehaube vorn verstärkt wird. Auch bei den Proportionen hapert es. Zu viel Radstand wegen der Reserveradkammer zwischen Fahrertür und Vorderachse, aber auch viel zu viel hinterer Überhang.
Die Ausschreibung "billigste Großserien-Stahlfelge" geht an den 412
Die Räder, sonst wie hübsche Schuhe bei Frauen Blickfang und Verstärker bezaubernder Schönheit, sind beim Bristol 412 ein Totalausfall. Sie haben die Ausschreibung "billigste Großserien-Stahlfelge" gewonnen, daran ändern auch die Jaguar-Radkappen nichts. Da tröstet es, dass sich der Bristol weit besser fährt, als er aussieht.
Der 360er-Chrysler-V8 mit knapp sechs Litern Hubraum liefert stets genügend Drehmoment aus dem Keller. Dadurch werden die nominell enttäuschenden 172 PS mächtig gepusht, sie fühlen sich an wie 200. Auf dem Luftfilter des Bristol 412 steht "Lean Fuel Electronic", ein Hinweis auf eine eher illusorische Verbrauchssenkung durch Transistorzündung.
Ein lässiger Cruiser ist er also, der Bristol 412, die Torqueflite-Automatik schaltet weich und träge - eilig passt nicht zum blauen britischen Geblüt. Bei 3.000 Touren brabbelt der V8 zufrieden, die vier Auspuffrohre verleihen ihm die angenehm tiefe Stimmlage, er bollert niemals vulgär. Auch sein Fahrkomfort überrascht, das recht einfache Starrachsfahrwerk zeigt sich ausgesprochen samtpfotig, unterstützt vom hohen Gewicht und vom langen Radstand. Es ist wohl auch ein Bristol-Mysterium, dass die Alukarosserie mit immerhin 1.630 Kilo verblüfft.
Ein Bristol ist eben ein Bristol
Ein weiterer Trumpf des Bristol 412 ist seine Handlichkeit, er wendet praktisch auf der Stelle, und man fragt sich warum. Straßenlage haben wir nicht ausprobiert, gehört sich irgendwie nicht. Wir tippen auf gutmütig untersteuernd, keinesfalls kurvengierig.
Was spricht also für den Bristol 412? Nichts, wie schon eingangs vermutet. Ein Jensen Interceptor betört im Vergleich, und der schon zitierte Silver Shadow kann alles viel besser. Der Bristol ist eben ein Bristol und bleibt ein Mysterium: Wie kann ein so mittelmäßiges Auto so teuer sein? Vielleicht weil auf den Satz "Ich fahre einen Bristol" bei Autokennern immer noch eine Schweigeminute der Ehrfurcht folgt.
So viel kostet ein Bristol 412 von dem nur 62 Exemplare entstanden
Doch trotz allem gibt es noch einige Bristol-Freunde, die die Preise für den nur 62 mal gebauten 412 recht hoch halten. Laut Classic-Analytics kostet ein Bristol 412 im Zustand 2 rund 59.000 Euro. Für mäßig erhaltene Zustand-4-Exemplare sind rund 18.500 Euro fällig. Doch Vorsicht: Die Ersatzteilpreise liegen auf sehr hohem Niveau.