Borgward RS 1500
Rennsilber mit Elektron-Karosserie aus Bremen
Sein DOHC-Vierzylinder-Vierventiler wäre auch Formel-1-tauglich gewesen, seine Erfolgsliste ist beeindruckend – trotzdem geriet der Borgward RS 1500 weitgehend in Vergessenheit. Fahrbericht des letzten Exemplars von 1958 – den einzigen mit Elektron-Karosserie.
17.10.2015 Hans-Jörg GötzlManche Gelegenheiten muss man beim Schopf packen, und wenn einem die Knie auch noch so schlottern – erst recht, wenn sich die Möglichkeit bietet, einen von nur drei gebauten Borgward RS 1500 auf der Rennstrecke zu bewegen. Und das kam so: Kurz vor dem AvD-Oldtimer-Grand-Prix auf dem Nürburgring 2015rief Hubertus Graf Dönhoff an, der Erfinder und Spiritus Rector der Veranstaltung, und fragte, ob im Motor Klassik-Zelt noch Raum für ein besonderes Auto wäre. „Es handelt sich um den letzten gebauten Borgward RS 1500 von 1958, den einzigen mit Elektron-Karosserie, so ein Auto darf man doch den Zuschauern nicht vorenthalten, nicht wahr?“
Pace-Car beim OGP-Abendrennen
Keinesfalls, entgegnete ich und versprach, Platz zu schaffen. Gesagt, getan, die kundigen Oldtimer-GP-Besucher freuten sich. Am Samstagnachmittag tauchte der Graf dann nochmals im Zelt auf, im Gefolge Tom Fischer, der den Borgward RS 1500 betreut, und der damalige Besitzer. Eigentlich, so Graf Dönhoff, eigentlich müsse man das Auto ja den Zuschauern in voller Fahrt zeigen. Völlig richtig, meinte ich. „Nun haben wir uns überlegt, dass man den Borgward heute beim Abendrennen in der Einführungsrunde vor dem Feld als Pace-Car einsetzt“, klärte Graf Dönhoff. Sehr gute Idee, pflichtete ich bei.
„Ja, und nun suchen wir noch einen Fahrer“, sagte Dönhoff. Alle drei schauten mich erwartungsvoll an. Das war der Moment, in dem meine Knie anfingen zu schlottern: Den Borgward RS 1500 – ein Auto, mit dem ich noch nie gefahren bin -, als Pace-Car in der Einführungsrunde zu bewegen, hinter mir gut 40 übermotivierte Rennfahrer, die mit mindestens 85 Prozent Renntempo fahren wollen, um ihre Autos und Reifen auf Temperatur zu bringen – das klingt nicht nach großem Vergnügen. „Klar, mach' ich, kein Problem“, würgte ich hervor.
Der letzte Borgward RS 1500
Nun möchte man natürlich jedes Auto nach dem Einsatz auf der Rennstrecke wieder so im Fahrerlager abstellen, wie man es vorgefunden hat. Bei diesem Borgward RS 1500 aber gilt der Ehrenkodex ganz besonders: Nicht auszudenken, wenn der einzigartigen Karosserie aus dem exotischen Elektron (einer besonders leichten Magnesiumlegierung) etwas passieren oder das Juwel von einem Motor beschädigt würde.
Um das zu verstehen, muss man sich ein wenig näher mit der Historie des Borgward RS 1500 befassen – denn während die frühe Nachkriegs- Renngeschichte von Mercedes, Porsche und selbst Veritas allen Enthusiasten wohlvertraut ist, sind die Silberpfeile aus Bremen heute weitgehend unbekannt. Und das sehr zu Unrecht.
Inka holt 12 Weltrekorde mit Borgward
Die Geschichte der Rennsportwagen von Borgward beginnt bereits auf dem Genfer Automobilsalon 1949, wo der ehemalige Auto-Union-Konstrukteur August Momberger den Firmenpatriarchen Carl F. W. Borgward überredet, ihm und seinem Konstruktionsbüro Inka (Ingenieur-Konstruktions-Arbeitsgemeinschaft) ein Fahrgestell samt Antrieb des neuen Hansa 1500 für Weltrekordfahrten zur Verfügung zu stellen. Borgward sagte zu, und die Inka-Mannschaft kehrte im August 1950 mit zwölf internationalen Rekorden im Gepäck aus dem französischen Montlhéry zurück zu einem triumphalen Empfang nach Bremen.
Darauf ließ sich aufbauen. Für 1951 entwickelte Borgward einen eigenen Rennsportwagen mit einem Rohrrahmen-Fahrgestell, Aluminiumaufbau und dem nun auf 90 PS gesteigerten 1500er-Stoßstangenmotor. Dieses Paket wurde immer weiter verfeinert, man feierte einige Podestplätze, und 1953 hätte Hans-Hugo Hartmann beinahe seine Klasse bei der Carrera Panamericana gewonnen: Kurz vor dem Ziel lag er weit in Führung, als eine Kipphebelwelle brach, er auf zwei Zylindern ins Ziel kroch und die Sollzeit um sieben Sekunden überschritt – Wertungsausschluss. Die Weltpresse aber feierte ihn als moralischen Sieger.
Spätestens damit war klar, dass die Entwicklungsfähigkeit des Hansa-Motors begrenzt war – wobei Borgward-Motorenchef Karl Ludwig Brandt dem Stoßstangenaggregat für 1954 zunächst eine Einspritzanlage verordnete. Erste Erfahrungen damit hatte der geniale Motorenkonstrukteur bereits vor dem Krieg gesammelt, als er bei BMW Versuche mit Einspritzanlagen am 328-Sechszylinder vorgenommen hatte.
Reinrassiger Rennmotor
Für 1955 aber zog der gebürtige Bremer dann alle Register seines Könnens und zeichnete einen hochmodernen reinrassigen Rennmotor: einen kurzhubigen Reihenvierzylinder mit geschmiedeter Kurbelwelle, 60-mm-Hauptlager und 50-mm-Pleuellager (Dimensionen wie im Hansa 2400) und einem weit heruntergezogenen, sehr steifen Gehäuse aus Leichtmetall.
Im dachförmigen Brennraum saßen vier Ventile, direkt betätigt über zwei obenliegende Nockenwellen, die wiederum durch eine per kurzer Kette angetriebene Zwischenwelle und eine weitere, ebenfalls recht kurze Kette in Rotation versetzt wurden. Im Dachfirst reihten sich je zwei Zündkerzen, dazwischen die Einspritzdüse. Laut Autor Karl Ludvigsen, der eben diesen Borgward RS 1500 übrigens in den Sechzigern eine Zeitlang besaß, ist der intern 4M 1,5 III RSD genannte Motor übrigens der einzige damalige Rennmotor, der niemals, auch nicht im Versuch, mit Vergasern betrieben wurde.
„Als ich zum ersten Mal unter die Haube geschaut und mich dann näher mit dem Borgward RS 1500-Motor befasst habe, habe ich nur gestaunt“, erzählt Spezialist Tom Fischer – und der hat schon vielen hoch komplizierten Aggregaten wieder das Laufen beigebracht.
Drehzahlfest bis über 8.500/min
Von der Konstruktion war der RS-Motor locker bis 8.500 Touren drehzahlfest, lieferte bald mehr als 100 PS Leistung pro Liter Hubraum und gehörte damit sofort zu den kräftigsten Antrieben der 1,5-Liter-Klasse. Borgward war auf einen Schlag konkurrenzfähig. Nur mit dem Siegen klappte es nicht ganz so, und oft war Pech im Spiel: In der Europa-Bergmeisterschaft etwa – wofür der Drehmomentverlauf des Motors übrigens durch variable Ansaugwege auf mehr Dampf im unteren Bereich angepasst wurde – war der ab Juli 1957 verpflichtete Hans Herrmann eigentlich der schnellste Mann, aber der Schwabe hatte leider oft wenig Fortune.
Seinen spektakulärsten Auftritt hatte der Borgward RS 1500, nun mit 25 Kilogramm leichterer Elektron-Karosserie und einem von Flugzeugkonstrukteur Henrich Focke entwickelten Kammheck, 1958 auf der Avus: Nach einem epischen Rennen wurde Joakim Bonnier nach 332 Kilometern mit 15 Metern Abstand Zweiter hinter Jean Behra im Porsche Spyder. Richard von Frankenberg nannte es in auto motor und sport „das schönste Rennen des Jahres“ und jubelte: „Deutlicher ist nie demonstriert worden, dass zwischen Borgward und Porsche nur noch minimalste Leistungsunterschiede bestehen.“
Stirling Moss gewann mit Borgward-Motoren vier Rennen
Tatsächlich war der Antrieb längst kein Problem mehr, sondern das Drumherum: Im Vergleich zur Konkurrenz schleppte der Borgward bis zu 90 kg mehr mit sich herum, und das Rohrrahmen-Chassis stammte im Prinzip noch von 1951. Es zeigte sich bei hohen Geschwindigkeiten wenig verwindungssteif und erschreckte die Fahrer mit zum Teil haarsträubendem Fahrverhalten, wechselte etwa gerne schlagartig vom Unter- ins Übersteuern. Es fehlte eben bei Borgward auf der Fahrwerksseite ein ebenso genialer Mann wie Brandt bei den Motoren, zudem wurde aus finanziellen Gründen viel zu wenig getestet und weiterentwickelt.
Ende 1958 beendete Carl F. W. Borgward das Abenteuer Renneinsätze, zumindest der Motor aber durfte noch weiteren Lorbeer einfahren: 1959 setzten British Racing Partnership und das Team von Rob Walker den nun auf 160 PS erstarkten Vierzylinder in der Formel 2 ein. Stirling Moss gewann vier Läufe, Chris Bristow zwei weitere, am Jahresende feierte Cooper-Borgward den Coup des Constructeurs der Formel 2.
Renntriebwerk mit Potenzial
Später, nach dem Konkurs der Borgward-Gruppe im Herbst 1961, gab es sogar private Versuche, mit dem Motor in der Formel 1 (damals auf 1,5 Liter beschränkt) Fuß zu fassen: Das deutsche Kuhnke-Racing-Team hatte die Leistung auf 173 PS gesteigert und setzte zwei Lotus F1 ein, kam aber über einen sechsten Rang nicht hinaus. Das schönste Kompliment für den RS-Motor stammt von Motorenpapst Helmut Hütten: „Es war ein Triebwerk, dessen Möglichkeiten nicht einmal halb ausgeschöpft waren.“
Dieses technische Wunderwerk läuft nun vor dem Motor Klassik-Zelt warm. Rennanzug an, feuerfeste Haube, Helm, Handschuhe, noch wenige Minuten bis zum Start. Erster Gang, nach 200 Metern geht es durch ein Tor auf die Rennstrecke und dann quer durch die Startaufstellung ganz nach vorne. Die Knie schlottern immer noch, das Adrenalin ist kurz vorm Siedepunkt, die Instrumente im Borgward RS 1500 signalisieren Betriebstemperatur. Nur die Reifen sind kalt.
Der Borgward-Motor ist ein Gedicht
Dann das Startzeichen. Hinter mir brüllt eine Herde wütender Dinosaurier, ich mache, dass ich wegkomme. Erster, zweiter, dritter Gang, das Fünfganggetriebe des Borgward RS 1500 schaltet recht weich. Es ist ab dem zweiten Gang synchronisiert, dankt aber Doppelkuppeln und Zwischengas beim Runterschalten. Dann die Schikane am Ende der Startgeraden, Vorsicht, die Dunlop Racing sind immer noch kalt. Die Trommelbremsen, vorne Duplex, beißen beruhigend energisch zu.
Kräftig herausbeschleunigen, noch zwei Ecken, und dann mit Vollgas zur Dunlop-Kehre hinunter. Der Vierzylinder-Vierventiler ist in der Tat ein Gedicht, jubelt ekstatisch über 7.000, hängt feinfühlig am Gas und treibt den Borgward RS 1500 wirklich kräftig voran – vor den damaligen Konkurrenten von Maserati, Porsche oder OSCA muss er sich wahrlich nicht verstecken.
Nur noch 3 Borgward RS 1500 existieren
Fahrwerk und Lenkung dagegen hinterlassen einen zwiespältigeren Eindruck, alles fühlt sich im Vergleich zu den genannten Konkurrenten ein wenig hölzerner an, weniger geschmeidig. Eben nicht ausentwickelt. Trotzdem: Das Knieschlottern hat sich längst erledigt, und ich bedaure es nun sehr, am Ende der Einführungsrunde im Borgward RS 1500 in die Boxengasse abzubiegen und den anderen hinter mir das Spielfeld zu überlassen.
Wenige Minuten später steht der Borgward RS 1500 wieder im Motor Klassik-Zelt und tut so, als wäre nichts. Graf Dönhoff, Tom Fischer und der Besitzer lächeln zufrieden. Neben diesem letzten RS existieren übrigens auch noch die beiden anderen Borgward RS, alle drei befinden sich in Deutschland, zwei davon sogar in einer Sammlung. In Aktion auf der Rennstrecke aber wird man sie wohl nur selten erleben.