BMW M5 E34, Lancia Thema 8.32, Mercedes 500E W124
90er-Limousinen mit mächtig Power im Vergleich
Sie hatten spektakuläre Motoren und sahen brav aus: BMW M5, Lancia Thema 8.32 und Mercedes 500E kombinieren Sportwagen-Fahrleistungen mit Platz wie im Taxi. Doch wie fahren die Sport-Limos heute im Vergleich?
18.01.2020 Alf CremersNoch ist alles unspektakulär, so, als wäre es die Ruhe vor dem Sturm. Drei exklusive Limousinen mit dem Aussehen gutbürgerlicher Mittelklassemodelle aus tuningfreudiger fünfter Hand rollen langsam auf den großen Parkplatz eines verlassenen Einkaufscenters. Was neben den breiten Alurädern, den voluminösen Auspuffrohren und den behutsam tiefergelegten Karosserien ein bisschen stutzig macht, ist der sonore Klang ihrer Motoren. Selbst knapp über der Leerlaufdrehzahl hört man ein bedrohliches Summen in der Luft, das die eingeschlagenen Scheiben des maroden Supermarkts vibrieren lässt. Ein satter Dreiklang, der viel Hubraum, reichlich Zylinder und noch mehr Leistung ahnen lässt. Dass sich hier nicht etwa aufgebrezelte BMW 520i, Lancia Thema 2000 i.e. und Mercedes 230 E mit ein paar Youngstern zum Kräftemessen auf der großen Plattform zwischen Warenannahme und Ausfahrrampe treffen, wird schnell klar.
Lancia und Mercedes mit V8, BMW mit 6-Zylinder
Und dass zwei Achtzylinder mit von der Partie sind, hört der kundige Betrachter dieses unauffälligen Ereignisses, das sich „Aufstellung für die Titelgeschichte“ nennt, zweifelsfrei heraus. Kommandos werden gerufen, Fahrsituationen besprochen, aber noch ist Zeit, bevor der Fotograf loslegt. Der Betrachter ist eingeladen, nun wird er zum Teilnehmer, er darf sich den Autos nähern, ihre Motorhauben öffnen und Sitzproben nehmen. Das macht den unscheinbaren Mann aus dem Hintergrund, den der Zufall so beschenkt hat, glücklich.
M5 oder: Kennt mich denn keiner?
Als Erstes nähert er sich dem BMW M5. Eine Handvoll ziviler BMW E34 hat er schon besessen, vom 524td bis zum Achtzylindertyp 530i. Der daytonaviolette M5 kann seine wahre Identität nicht verleugnen, obwohl er sich größte Mühe gibt. Schon der erste M5 im E28-Format kokettierte mit seiner Unscheinbarkeit. Zuerst fallen die großen geschmiedeten 17-Zoll-Räder im Exklusivdesign auf, dann die silbern lackierten Schweller. Der Stoßfänger vorn ist etwas tiefer heruntergezogen. Doch wie beim gewöhnlichen 520i bleibt der Saum der Seitenscheiben in Chrom, von wegen Shadow Line.
Drehzahlgrenze 7.300/min
Vorsichtig und beinahe ehrfürchtig öffnet der Betrachter die Fahrertür, langsam fädelt er sich in den zu niedrig eingestellten ledernen Sportsitz. Er umfasst das große, lederbezogene Airbag-Lenkrad, das er genauso klobig aus seinem Alltags-525i mit 192 PS kennt, der wie der M5 mit zwei kettengetriebenen Nockenwellen und 24 Ventilen aufwartet. Er lässt das unspektakuläre M-Ambiente auf sich wirken. Die Nähte des Lenkrads zitieren raffiniert die drei M-Farben, die Tachoskala reicht bis 300 km/h. Anstelle der Verbrauchsanzeige wohnt ein Ölthermometer im Souterrain des Drehzahlmessers. Wenn der Zeiger senkrecht auf 90 Grad steht, dann darf der Sechszylinder hemmungslos loslegen und sich langsam an seine Drehzahlgrenze von 7.300/min herantasten, denkt sich der Betrachter.
Er kann sein Glück, die drei exklusiven Hochleistungs-Limousinen zu erleben, immer noch nicht fassen. Doch als sein Blick nach unten auf den Schalthebel sinkt, ist er enttäuscht. Der nachts rot beleuchtete und aus Leder genähte Knauf zeigt ein ganz normales H-Schema. Zu einem M5 würde doch die Sportkulisse mit dem ersten Gang links hinten viel besser passen.
Sechszylinder stärker als V8
Der Blick unter die nach vorn öffnende Motorhaube stimmt dann wieder mehr als versöhnlich. Hier residiert das bayerische Motorenwunder vom Typ S38, dezent mit mattschwarzem Kräusellack geschminkt und von einem Ansaugbrückengeweih aus sechs Einzeldrosselklappen gekrönt. Der S38 ist die zivilisierte und obendrein auch noch 63 PS stärkere Weiterentwicklung des urwilden M88 aus dem Rennsportwagen M1. Mit den 340 PS seiner finalen 3,8-Liter-Vollendung ist der Jahrhundert-Sechszylinder der Leistungsprimus des Trios, die beiden Konkurrenten Mercedes 500 E und Lancia Thema 8.32 setzen auf nicht minder hochgezüchtete V8-Motoren. Beim Lancia führte dies zu der kryptischen Bezeichnung: 8 Zylinder, 32 Ventile.
Unscheinbarer Lancia in Marrone Metallizzato
Der Betrachter wendet sich dem Lancia in Marrone Metallizzato zu, einem bräunlichen Anthrazit-Ton, während der M5 zügig im ersten und zweiten Gang hochbeschleunigt und den betongrauen Platz verlässt. Die italienische Limousine mit dem charakteristischen Tipo-4-Profil von Fiat Croma und Saab 9000 ist das unscheinbarste der drei Autos, was vor allem an ihrer schmalen Silhouette liegt. Nur ein paar gelbe Zierelemente an der Karosserie und den Campagnolo-Rädern deuten auf das Topmodell hin, das einst doppelt so viel kostete wie ein Thema Turbo i.e. mit 165 PS. Sein Grundcharakter als agiler Fronttriebler mit Quermotor blieb dabei gleich. Den Heckspoiler in der Kofferraumklappe, der über einen dünnen Hebel am Lenkrad aktiviert wird, lässt man am liebsten drin, um das Understatement-Flair des Wagens nicht zu konterkarieren.
Der Thema 8.32 empfängt den Beobachter in einem nicht allzu geräumigen, eher maßgeschneiderten edlen Abteil, das mit Alcantara, Leder und Wurzelholzfurnier ausgeschmückt ist. Acht einzeln gefasste Rundinstrumente, die unter anderem über Öldruck und Öltemperatur informieren, erfreuen das Herz. Auf ihren Zifferblättern erscheint wieder das Ferrari-Gelb, das den Top-Thema so diskret etikettiert, weil nur auf den Radnaben das Cavallino Rampante vorkommt, das Pferd aus Maranello.
Thema: Ferrari-V8 und Frontantrieb
Der Betrachter öffnet die Haube, er gerät beim Anblick des mächtigen Triebwerks in Verzückung. Die Querlage des Ferrari-signierten Viernockenwellen-V8 ist nicht ungewöhnlich, er nimmt sie auch im Mittelmotor-Sportwagen Ferrari 328 GTB ein. Dort leistet der attraktiv drapierte kurzhubige 32-Ventiler 270 PS bei 7.000/min aus 3,2 Litern Hubraum. Die 2,9-Liter-Variante für den Thema bringt es nur auf 215 PS bei 6.750/min. Der Leichtmetall-V8 wurde für die vornehme Limousine domestiziert, was vor allem durch eine 90-Grad-Kurbelwelle anstelle der üblichen 180-Grad-Ausführung geschah. Geringere Zündabstände sorgen für einen kultivierteren Lauf. Bleibt man unter 2.000/min, wie in diesem Moment beim Verlassen des Betons, intoniert der Doppelrohrauspuff nur ein dumpfes Brabbeln.
500E oder Bolide im Taxi-Look
Der Mercedes 500E bleibt stehen, er kommt für die Einzelfotos als Letzter dran. Der Beobachter, der Zaungast war und längst Teilnehmer ist, genießt das Vertrauen der Truppe. Er darf den astralsilbernen V8-Boliden im Taxi-Kleid auf Mobilfunk-Zuruf mitbringen. Doch statt gierig den Zündschlüssel rumzudrehen und mit dem Wagen, der unter dem Blech ein 500 SL ist, unbeobachtet ein paar euphorische Gummistriche über den grauen Asphalt zu legen, zieht der Betrachter die kontemplative Annäherung an das kongenial von Mercedes und Porsche geschaffene Meisterwerk vor.
Dabei kommt ihm sein eigener 300E-24 in den Sinn, der 1992 mit 70.000 Mark exakt halb so teuer war, dessen Tacho auch bis 260 reicht, der schon serienmäßig auf Achtloch-Alus rollt und der als Sonderausstattung alles auffährt, was der 500er serienmäßig hat: Metallic-Lack, Viergangautomatik, Scheinwerferwischer, Niveauregulierung, vier Fensterheber, Wurzelnussfurnier, Tempomat und Kopfstützen im Fond.
Die Lederpolsterung kostet selbst beim 500E extra, sonst droht ultraspießiges „Stoff-Karo“. So groß ist der Unterschied zum König der 124er, der außen eine Spur zu grell ist, also nicht. Oder doch? Innen nicht, da sitzt der Betrachter genauso gut auf stärker profiliertem Leder, da wartet die selbe Wählhebelkulisse auf den „D“-Befehl fürs Losfahren, und das gleiche Kombi-Instrument signalisiert mit emporschnellenden orangen Ziffern das Wohlbefinden des Motors, der optisch enttäuscht, vor allem im Vergleich zu M5 und 8.32. Im 300E-24 zeigt der Sechszylinder noch seine stählernen Nockenwellenmuskeln, beim V8 verschwinden sie unter einer banalen Plastikabdeckung mit Stern.
Bisschen halbstark: 18-Zoll-OZ-Räder
Der Betrachter fährt vorsichtig los, er gibt sich Mühe, das Gaspedal nur zu streicheln. Machtvoll setzt sich das schwere Auto in Bewegung, das sich im moderaten Fahrmodus sanft anfühlt, nur der Fahrkomfort leidet unter dem sportlich ausgelegten Fahrwerk, verstärkt durch die extrabreiten Bridgestone Potenza der Größe 245/35 ZR 18 auf vielspeichigen OZ-Racing-Felgen. Es sind noch zwölf Kilometer bis zum Treffpunkt, die Strecke folgt kurvenreichen Straßen, mitten im Wald taucht plötzlich eine lange Gerade auf, die es dem Beobachter vielleicht möglich macht, vom V8 zu kosten, von den famosen 326 PS und den brachialen 480 Nm. Der Schüchterne geht vorsichtig um mit teurem, fremdem Gut. Aber er spürt, dass jetzt der Sturm losbricht und die Ruhe vorbei ist.
Der Wählhebel auf „D“ wird nicht angerührt, das Gaspedal halb durchgetreten, es bleibt noch vor dem Kick-down-Impuls. Die Drehzahlmessernadel schnellt auf 3.500/min, und der schwere, aber recht kurz übersetzte Wagen schießt auch in der vierten Fahrstufe vehement davon, seine Tonlage schlägt von Gelassen auf Aggressiv um. Vor den Kurven reicht leichtes Bremsen, satt und sicher wiegt sich der breitspurige 500E auch in schnell gefahrenen Kurven. Er ist viel mehr SL als nur E, eher 129 als 124.
Die Offenbarung heißt Thema
Der Betrachter stößt zu den anderen. Mit dankbarem Lächeln streicht er vorn über den Stern und stellt ihn gerade. Der Betrachter ist nun mehr denn je Teilnehmer, er ist eingeladen, auch den Lancia zu fahren, und später sogar den BMW. Der Thema 8.32 fühlt sich im Vergleich zum erzsoliden Mercedes filigran an, alles an ihm ist klein und zierlich. Der Betrachter fühlt sich an seinen Alfa Romeo 164 erinnert, der dem gleichen Tipo-4-Baumuster folgt. Die Sitzposition passt hinter dem flachen Lenkrad nicht so ganz, und in der langwegigen Schaltung des sportlich gestuften Fünfganggetriebes steckt jener Hauch von Elastizität, die Präzision vereitelt.
Doch diese Unvollkommenheit, dieses Gefühl, mit dem Wagen gut umgehen zu müssen, weil er nicht so belastbar ist, mit seinen fragilen Zahnriemen und den anderen kleinen Wehwehchen, macht den Lancia zum König der Herzen. Mehr noch als jeder andere dieses Trios lebt er vom übergroßen Motor. Sein grandioser Ferrari-V8 klingt in jedem Drehzahlbereich betörend.
Er dreht so wunderbar linear hoch, als gäbe es am Ende keinen Begrenzer für dieses akustische Feuerwerk, das man in dieser konfektionierten Karosserie niemals vermutet. Das respektable Frontantriebsfahrwerk scheint trotz der sauber geführten Hinterachse nicht die richtige Basis für so viel Leistung, es kommt zu Lastwechselreaktionen in schnell gefahrenen Kurven. Sie zeigen die Grenzen der Konstruktion auf.
Der unschlagbare M5
Das kann dem BMW M5 nicht passieren. Der kundige Betrachter darf ihn als Letzten fahren, und er kommt zu dem Entschluss, das sich eine Sportlimousine mit Hochleistungsmotor genau so anfühlen muss: Leistung ohne Grenzen, die man fahrwerkseitig unbedenklich auskosten kann. Ein knackig zu schaltendes Fünfganggetriebe mit bester Abstufung, das süchtig macht. Gegen die spielerische Leichtigkeit des Seins in dieser hyperagilen und extrem fahrfreudigen Limousine kommt der spürbar trägere 500E nicht an, der sicher mit den besseren Reisewagen- Qualitäten auftrumpft. Aber der extrem gut liegende BMW kann nicht nur vehement davonstürmen, sein genialer Sechszylinder erlaubt auch schaltfaules Bummeln um 2.000/min, ohne zu murren. Er ist das, was man sich wünscht: eine sehr gute, unauffällige Limousine mit einem brillanten Motor