BMW M3 (E36) und Mercedes C36 AMG (W202)
Welcher Reihensechser kickt heute mehr?
Der C 36 AMG war das Debüt von AMG als Haustuner. Damit sollte der M3 von BMW, den es 1993 bereits in der zweiten Auflage gab, herausgefordert werden. Der Beginn einer bis heute gepflegten Rivalität in der Mittelklasse.
28.11.2019 Daniel EndreßBMW M gegen Mercedes AMG: ein heiß umkämpftes Duell in der Mittelklasse der 90er-Jahre. Auf den ersten Blick scheint es sich allerdings um einen gewöhnlichen Dreier BMW der Baureihe E36 und einen W 202 von Mercedes zu handeln, die hier in Künzelsau auf dem Vorplatz des Würth Museums stehen. Von Weitem lassen sich die beiden Limousinen jedenfalls nicht ansehen, dass ihre Motoren 286 beziehungsweise 280 PS leisten.
Zumindest der M3, mit dem Sebastian Stütz von Raab Automobile zu unserem Treffpunkt gefahren ist, lässt anhand des Raab-Motorsport-Aufklebers vermuten, dass er auch zu mehr fähig ist, als einer vierköpfigen Crew zur entspannten Wochenendausfahrt Platz zu bieten. Der Mercedes outet sich hingegen über die sportlichen Felgen und die verchromte Auspuffblende als Konstruktion aus Affalterbach. Aus der Entfernung könnte man ihn aber auch mit einer gewöhnlichen C-Klasse aus den 90er-Jahren verwechseln. Bei ihrer ersten Kooperation für ein Serienauto mit Mercedes hat sich AMG optisch dezent zurückgehalten.
Doch diese Schlichtheit, diese Wolf-im-Schafspelz-Mentalität, gefällt nicht jedem. Deshalb sieht man viele M3 im Straßenbild, an die ihre Besitzer nachträglich Hand angelegt haben. Tieferlegungen, Custom-Schürzen, größere Spoiler oder knallige Farben – selten lässt sich ein M3 ohne Designmodifikationen finden. Und selbst unseren Foto-M3, der sich optisch noch im Serienzustand befindet, haben die Spezialisten von Raab nachträglich mit einem KW-Gewindefahrwerk und einem Motorsport-Set-up optimiert.
Sechszylinder-Power in Reihe
Was den E36 aber vor allem so normal wirken lässt, ist seine Karosserieform. Als Limousine wirkt er gewöhnlich und unspektakulär. Kein Wunder also, dass er in dieser Form eher selten verkauft wurde – genau 12.435-mal. Fast genauso viele Kunden entschieden sich für die Cabrio-Variante, mit Abstand die meisten kauften das Coupé (46.663). Damit baute BMW aber immer noch mehr als doppelt so viele M3- Limousinen wie Mercedes vom C36 AMG. Nur 5221 Exemplare wurden vom stärksten Serien-W-202 ausgeliefert – es gab ihn ausschließlich als Limousine.
Unter der Haube des M3 arbeitet ein serienmäßiger Reihensechszylinder der M GmbH mit drei Litern Hubraum und 286 PS. Ein kerniger Motor, der mit knurrigem Sound auf sich aufmerksam macht. Als Basis für den intern als S50 bezeichneten Motor verwendete BMW M den M50, den man aus der Dreier-Baureihe E36 und dem Fünfer E34 kennt. Neben dem vergrößerten Hubraum erhielt das Aggregat auch einen Fächerkrümmer, geänderte Tassenstößel, Einzeldrosselklappen-Einspritzung sowie andere Kolben, Pleuel und Nockenwellen. Das Motorsteuergerät passte M ebenfalls an. Ab 1995 konnten Kunden den M3 auch mit 3,2-Liter-Motor ordern, der mit 321 PS noch einmal kräftig an Leistung zulegte.
Auf sechs Töpfe in einer Reihe vertraut auch der Mercedes, allerdings ist der Hubraum mit 3,6 Litern deutlich größer. Als Basis diente AMG der M-104-Benziner, der mit Hubräumen zwischen 2,8 und 3,2 Litern nicht nur in der C-, sondern auch in der E-, und S-Klasse sowie im SL verwendet wurde. Neben der Hubraumerweiterung passte AMG auch den Zylinderkopf an und verbaute schärfere Nockenwellen.
Schalten und Walten
Der C 36 AMG war das erste Auto, das von Mercedes und AMG in Kooperation geplant und in Serie produziert wurde. Wegen des hohen Drehmoments von 385 Nm bei 4000 Umdrehungen pro Minute konnte Mercedes nur ein etwas älteres Viergang-Automatikgetriebe verwenden, das dieser Belastung standhielt. Erst ab 1996 wechselten die Stuttgarter auf eine fünfstufige Automatik, die deutlich zeitgemäßer war. Zwei Kritikpunkte musste sich Mercedes damals gefallen lassen: Zum einen, dass für ein vermeintlich sportliches und kraftvolles Auto wie den C 36 AMG kein Schaltgetriebe angeboten wurde, und zum anderen, dass die Automatik eher etwas gemächlich schaltet und sich vergleichsweise träge anfühlt.
Letzteres können wir unterschreiben. Sitzt man in den gemütlichen Ledersesseln des Mercedes und presst den rechten Fuß auf das Gaspedal, fällt zunächst der hohe Widerstand auf, mit dem es sich dem Fuß entgegenstemmt. Überhaupt legt das Pedal einen weiten Weg zurück, bis es das Bodenblech erreicht. Beim Dosieren stört das gewaltig, und man benötigt viel Gefühl, um mit dem Wagen zügig zu beschleunigen, ohne dass man ihn gleich mit offenen Benzinschleusen an sein Limit tritt.
Kleine Bewegungen quittiert der Motor mit rauem Knurren, ehe der Mercedes sanft und kraftvoll vorwärtsschiebt. Bei moderatem Beschleunigen auf der Autobahn nutzt das Getriebe viel vom verfügbaren Drehzahlband. Teilweise schaltet es erst bei 4000 Touren hoch. Gibt man Vollgas, schaltet es zunächst runter und treibt die Drehzahlnadel jenseits der 5000, bis es erneut die Gänge wechselt. Dabei fühlt sich der AMG stets komfortabel und gut kontrollierbar an. Generell beschleunigt er selbst bei Bleifuß eher zivilisiert und geordnet als wie ein quirliger, ungehobelter Jungspund.
Im BMW verrichtet der linke Fuß die schwere Arbeit, denn er hat es mit dem hohen Widerstand des Kupplungspedals zu tun. Wer das Auto nicht kennt, benötigt eine kurze Eingewöhnungsphase, um ein Gefühl für den Schleifpunkt zu bekommen und den BMW ruckelfrei in Bewegung setzen zu können. Hat man an der Kupplung den Bogen raus, kann man sich dem Gaspedal zuwenden. Dieses zu bedienen fühlt sich allein schon durch das Schaltgetriebe vorhersehbarer an, und es ist leichter, sich daran zu gewöhnen als beim Mercedes.
Es reizt sehr, die einzelnen Gänge vollständig auszufahren – und es macht wahnsinnig viel Spaß. Dabei wirkt der M3 ruppiger und ehrlicher. Er gibt die Straßenverhältnisse viel weniger gefiltert an den Fahrer weiter. Das Feedback der Lenkung ist exakt und unmittelbar spürbar, der Motor reagiert sofort auf jeden Befehl des Gasfußes, während einem das Heulen des Motors ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Das macht Lust darauf, den BMW durch die Kurven einer Rennstrecke zu dreschen. Eine echte Fahrmaschine ohne Kompromisse.
Sport versus Komfort
Kompromisse ist allerdings AMG eingegangen, als sie den C 36 planten. Der Motor verspricht Sportlichkeit und Dynamik, während man versuchte, mit dem gemütlichen und qualitativ hochwertigen Interieur sowie der Automatik auch Kunden anzusprechen, die auf Komfort nicht verzichten wollen. Alles fühlt sich wertig an, und man fühlt sich rundum geborgen. Der Innenraum des BMW kann da längst nicht mithalten. Qualitativ und in puncto Ambiente ist er mehr auf Funktionalität getrimmt als auf Wohlfühlfaktor. Dafür genießt der BMW-Fahrer den rauen Sound aus dem Motorraum, während der Mercedes seine Insassen gut vor lauten Fahrgeräuschen bewahrt. Da ist es eine Frage der persönlichen Präferenzen, was man nun besser findet.
Aber selbst wenn man für sich nun Kritikpunkte ausmacht, weshalb man den einen Straßensportler besser findet als den anderen: Riesigen Spaß machen beide Autos. Das Fahrgefühl könnte unterschiedlicher nicht sein. Rennstreckenkompetenz trifft auf kraftvollen Reisegleiter, wobei jeder der beiden Mittelklasseboliden seinen Job mit Bravour meistert. Was die beiden alten Rivalen eint, ist hingegen die hervorragende Inszenierung eines Reihensechszylinders. Allein die Motoren machen schon so viel Freude, dass man über die eine oder andere Schwäche hinwegsehen kann. Das souveräne Gefühl, das einem die beiden verleihen, und das Wissen, dass man jederzeit eine enorme Kraft abrufen kann, macht sowohl den BMW als auch den Mercedes zu Autos, die jeder mit ein bisschen Benzin im Blut gerne hätte.