BMW M3 3.0 E36 und Maserati Ghibli II 2.0
Zwei Sechzylinder-Coupés mit unterschiedlichem Charakter
Bayerischer Mainstream trifft italienische Grandezza oder: Warum der BMW M3 das bessere Sportcoupé ist, der Maserati Ghibli dich aber mit seinem herrlich unperfekten Wesen tiefer berührt.
20.08.2020 Michael HarnischfegerKurz summt der Anlasser, dann verfällt der famose S50-Sechszylinder des M3 in einen stabilen Leerlauf. Da dreht sich kein Passant neugierig um. Ein altes Auto, ja gut.
Der Ghibli gibt da ein eher operettenhaftes Kontrastprogramm zum Besten. Wenn der kleine Schlüssel im Schloss steckt, wartet der Kenner drei Sekunden, bis die Warnlampen Betriebsbereitschaft signalisiert haben und mehrheitlich erloschen sind. Dann noch einen Dreh weiter: Mit kehligem Raspeln tut der Anlasser seinen Job und bringt die sechs Miniaturzylinder des Zweiliters auf Tempo. Die machen dann auch bereitwillig mit und verfallen in einen dumpf brodelnden Leerlauf, dessen Basso continuo der für einen V8 suboptimale Zylinderwinkel von 90 Grad vorgibt.
Denn – bei Maserati war man ja geübt im Verwalten des finanziellen Mangels – der V6 ist abgeleitet vom 3,2-Liter-V8 des Quattroporte und des Shamal, dessen Formensprache sich abgesoftet auch im Ghibli wiederfindet. Vor dem Einsteigen hat meist noch ein Unwissender gefragt, was das denn wohl für ein Auto sei? Kein Maserati-Schriftzug, kein Ghibli-Schild am Heck. Nur der Dreizack im Kühlergrill und an den C-Säulen gibt Kennern einen Hinweis.
Ja zur Leistung hier wie da
So unterschiedlich wie beim Start geht es weiter mit den zwei Zeitgenossen, die auf ganz eigene Art das Thema Hochleistungs-Coupé interpretieren. Beim M3 E36 hat BMW auf die dicken Backen des M-Vorgängers verzichtet. Eine schlanke, fast unscheinbare Schönheit ist der M3 E36, dessen Dreiliter-Sauger die Drehzahlen liebt und mit 95 PS Literleistung dicke Pflöcke einschlägt.
Darüber kann der Ghibli nur lachen. Zwei wassergekühlte IHI-Turbolader pushen ihn auf 153 PS Literleistung. Für die Exportmärkte gab es von 1993 an zum ähnlichen Preis einen 2,8-Liter mit 284 PS. Doch wenn schon Ghibli, dann das für den italienischen Markt gebaute Zweiliter-Original, oder? Zumal dem manche rohen, unfertig wirkenden Charakterzüge einen ganz eigenen Reiz verleihen.
Der BMW reagiert feinnervig, spritzig und kräftig aus dem Leerlauf heraus auf jeden Millimeter Gaspedal. Mit steigender Drehzahl wird er immer wacher und bissiger, trompetet kultiviert und dreht locker über 7.000 Touren hinaus, wenn es pressiert. Klack, mit zwei Fingern den nächsten Gang rein, und weiter geht es. Der Ghibli verlangt selbst beim normalen Anfahren ein genaues Dosieren von Gas (sehr langer Pedalweg) und Kupplung (langer Pedalweg, dann hysterischer Druckpunkt mit allen Chancen, sich durch Abwürgen oder viel zu hohe Drehzahl zu blamieren), um dann nahezu gelangweilt aus den Puschen zu kommen.
Die Kraft ist schon zu spüren, doch der Hammer fällt erst, wenn die Ladedruckanzeige irgendwo bei 2.500/min erste Signale gibt und wuchtiger Schub einsetzt. Kein Schreien oder Kreischen, keine Nervosität, nur Druck und noch mehr Druck. Steigungen werden planiert mit der Souveränität einer Dampframme, während der kleine Motor da vorn etwas grollt und unrhythmischer, rauer klingt, als er sich anfühlt. Vibrationen? Minimalst. Jenseits der 6.000 sind leichte Schwingungen spürbar, doch so hoch muss man ja nie drehen, um anderen mit diesem Undercover-Sportler große Fragezeichen ins Gesicht zu malen.
Erstaunlich vor allem beim Ghibli, dessen Türen deutlich dünner sind als die des M3, sind die moderaten Windgeräusche. Reisetempo 200? Geht. Mit Musik aus dem Radio oder auch Gesprächen ohne strapazierte Stimmbänder. Und wer die serienmäßigen Verstelldämpfer auf die zweite von vier Stufen stellt, erfährt über den Straßenzustand nicht mehr, als fürs kommode Cruisen nötig ist. Bis weit über jene 250 hinaus, wo der M3 serienmäßig abgeriegelt ist, lässt sich der Ghibli treiben, doch gehören in Kurven dann sehr wohl Balls of Steel und eine große Portion Vertrauen dazu, dass der Ghibli die Kurve kriegt. Denn irgendwie wirkt er jetzt kopflastig-untersteuernd, leicht verzögert, eckig auf die Lenkung ansprechend.
Runter vom Gas kann da genau die falsche Entscheidung sein, denn der kurze Radstand trägt nicht sonderlich viel dazu bei, den Geradeauslauf bei Lastwechseln so bombensicher zu gestalten wie im M3. Der tut einfach genau das, was man von ihm erwartet.
Souveränität oder Spektakel
Und natürlich sitzt es sich im BMW, diesem teutonisch-penibel konstruierten Musterschüler, auch besser. Hier passt einfach alles, während der Maserati seinem Fahrer schon Zugeständnisse abverlangt. Das wunderschöne Holzlenkrad steht zu flach, um es perfekt greifen zu können, der Sitz lässt sich für lange Kerls nicht weit genug zurückschieben. Immerhin: Serienmäßig ist die Lehnenneigung elektrisch zu verstellen, und unter dem schmusigen Connolly-Leder, dessen Softheit auf der massigen Mittelarmlehne seinen Höhepunkt erreicht, nehmen kommode Polster den Fahrer in Empfang.
Sie sind längst nicht so straff gepolstert und körpergerecht geformt wie die des M3, wirken eher wie eine Sitzgarnitur in einem edlen Club in Portofino oder Rom. Seitenhalt gibt es auch weniger als im M3, doch die Ambientewertung geht mit großem Vorsprung an Italien. Der M3 ist Meister der Effizienz, korrekt durchdacht und gemacht bis in die kleinste Ziernaht.
Der Ghibli wiederum betört beim ersten Hinsehen durch Opulenz und Stilsicherheit, leistet sich dann aber mit der matten Beleuchtung der schönen Veglia-Instrumente, versteckt angebrachten Schaltern und schiefen Nähten Abzüge in der Qualitätswertung. Er setzt auf die Eleganz der Idee und weniger auf die Präzision der Ausführung, und so in etwa gilt dies auch fürs Fahren. Der M3 ist die domestizierte Rennmaschine, der Ghibli kann durchaus sportlich, sieht seinen Daseinszweck aber nicht im Gewinnen möglichst vieler Rennen.
Lieber macht er äußerlich einen auf böser Junge mit den ausgestellten Radhäusern, dem hohen Heck und dem grimmig dreinblickenden Bug. Marcello Gandini – Stichwort Lamborghini Countach und Uracco, Lancia Stratos – hat mit geringem finanziellen Aufwand aus dem unscheinbaren Maserati 222 ein Coupé entwickelt, dem die Steroide trotz aller ruhigen Eleganz aus allen Karosseriefugen schießen. Diese Spannung aus Schmuse-Interieur und fein dosiertem Spektakel-Exterieur klingt mit jeder Fahrt stärker nach und lässt den M3 (hei, das wird erzürnte Leserbriefe geben!) emotional etwas blasser wirken.
Täglich Freude, selten Ärger
Wenn es ein schnelles Coupé aus den 90ern sein soll, fällt jedem der M3 E36 ein. Er funktioniert so verlässlich wie ein 318i, hat hinten tatsächlich Platz für zwei Mitfahrer und eignet sich auch für schnelle, sorglose Runden auf der Nordschleife.
Ersatzteile? Null problemo bis aufs Interieur. Beim Ghibli landet man hingegen schnell in der Ersatzteilhölle, weil Maserati wichtige Teile nicht mehr nachfertigt und angesichts nur 2.273 gebauter Exemplare (davon 1.305 Zweiliter) Gebrauchtteile auch rar und teuer sind. Findige Bastler bieten zum Beispiel Plexiglaskappen an, die ein gesprungenes Scheinwerferglas ersetzen können. Das tun sie auch überraschend gut, doch – natürlich – ohne Zulassung. Neue Scheinwerfer sind nämlich seit Jahren nicht mehr zu bekommen, und hintere Bremsscheiben sind nun auch aus. Ob mal welche nachgefertigt werden, weiß niemand.
Aaaber: Der Ghibli ist das emotional wuchtigere Auto. Er lässt das Herz des mutigen Käufers allein deshalb schneller schlagen, weil er entgegen allen Unkenrufen tatsächlich zuverlässig funktioniert. On top kommen dann das Fahrerlebnis, das Design, der Charme des Unbekannten. Beim M3 erhöht sich nach der Gewöhnungsphase der Herzschlag nur noch, wenn etwas mal nicht funktioniert. Auf diesen Tag lässt ein gutes Exemplar lange warten.