BMW 502, Mercedes 300, Opel Kapitän

Wirtschaftswunder-Luxuswagen der 50er

Die Oberklasse des Wirtschaftswunders kannte eine klare Hierarchie. Der Opel Kapitän galt als preiswerter Emporkömmling, der BMW V8 als ehrgeiziger Karrierist - ganz oben thronte der Mercedes 300.

BMW 502, Mercedes 300, Opel Kapitän, Gruppenbild Foto: Arturo Rivas 49 Bilder

Der Opel Kapitän L kostete mit rund 10.000 Mark nur grob die Hälfte des BMW 502 oder des Mercedes 300. Er beförderte das kleine Wirtschaftswunder, das der Handwerksbetriebe oder der Einzelhandelsgeschäfte. BMW 502 und Mercedes 300 waren für die große Welt zuständig, die der Unternehmer, der Direktoren und der Politiker. Hinter Käfer und Rekord stand der Kapitän in den 50er-Jahren stets auf Platz drei der Zulassungsstatistik. So populär war die damals gern von VW- und DKW-Fahrern neidisch als "Metzger-Auto" titulierte Sechszylinder-Limousine, auf die Taxifahrer trotz des höheren Verbrauchs schworen und die den Slogan "Opel, der Zuverlässige" maßgeblich geprägt hatte.

"Opel, der Zuverlässige" - der Kapitän-Motor läuft seidig und ewig

Die vielen Modellwechsel des Opel Kapitän störten nicht, vor allem das 56er-Modell traf den amerikanisch diktierten Zeitgeschmack in Sachen Automode voll: Eine moderne Pontonform mit hübschen Heckflossen garniert, dazu ein lächelndes Gesicht; Länge, die läuft, und große Fensterflächen machen ihn attraktiv. Ein riesiger Kofferraum und ein so üppiges Raumgefühl, dass man glaubt, Leute mitnehmen zu müssen, um sich nicht verloren zu fühlen, begeistern. Das Metzger-Auto verfügt über deutlich mehr Innenbreite als Barockengel und Adenauer. Ein Plus der neuen übersichtlichen Zweckform, die mit rostanfälliger selbsttragender Karosserie einhergeht und Produktionskosten spart.

Unser Opel Kapitän von 1957 in üppig dekorierter Luxusversion hat sogar ungeschweißt überlebt. Auf dem Instrumentenblech prangt eine ehrenvolle 100.000-km-Plakette. Geschont wurde er also nicht, der Schwarz-Rote mit den sofaweichen hellgrauen Stoffsitzen. Ein Zündschlüsseldreh, und der Zweieinhalbliter-Sechszylinder fällt ganz ohne Choke-Hilfe in einen stoischen, heiseren Leerlauf.

Der Opel Kapitän wollte immer nur so gut wie nötig sein

Der Motor ist eine Vorkriegskonstruktion, brav, aber gänzlich ohne Höhepunkte. Pures Gusseisen, quadratische Auslegung, nur vier Kurbelwellenlager, Stirnradantrieb, fertig. Aber die Ventile hängen schon im Kopf, und für die beinahe jährlichen Leistungszuwächse wird einfach die Verdichtung erhöht. Beim 56er-Opel Kapitän sind es 75 PS, nicht viel für einen großen Wagen von 1,3 Tonnen, aber sie fühlen sich wuchtiger an, weil das maximale Drehmoment schon ab 1.700/min kommt. Drei Gänge genügen deshalb. Sie werden über eine erstaunlich exakte Lenkradschaltung sortiert, der Erste liegt links unten. Spätestens ab 50 km/h ist in der Ebene der Dritte drin, der Motor fällt in ein kehliges Nuscheln. Es ist der typische Opel-Klang.

Ein paar Altertümlichkeiten leistet sich auch der scheinbar so moderne Opel Kapitän. Die Pedale wachsen stehend aus dem Boden, seine mit hübschem Augenaufschlag modellierten Scheinwerfer blinzeln mit Sechs-Volt-Lampen. Die Stockhandbremse zielt auf das Knie des Fahrers, und das riesige Lenkrad erfordert trotz "neuer, direkter Kugelumlauflenkung im 56er-Kapitän" energisches Zupacken, ohne dass es dem Kapitän-Novizen gelänge, auf Anhieb einen sauberen Strich zu fahren. Das blattgefederte Starrachs-Fahrwerk des Kapitäns kann keine Wunder vollbringen. Es hat sich für schaukeligen Sänftenkomfort entschieden statt für Straßenlage. Der Opel untersteuert heftig, seine kleinen 13-Zoll-Reifen schmatzen und quietschen früh in engen Kurven.

BMW mit dem ersten Nachkriegs-Achtzylinder

Ein Opel Kapitän hatte stets die Absicht, nur so gut wie nötig zu sein, das machte ihn preiswert und zuverlässig. Ganz anders der ehrgeizige BMW 502, der alle Technik-Register zieht. Heute würde man ihn wegen seiner ausgeprägten Harmonie von Motor und Fahrwerk als Archetyp des fahraktiven Luxusautos bezeichnen. Schließlich liefert er, der Unscheinbare, der Unterbewertete, die technische Blaupause für die Sportwagen-Ikonen 503 und 507.

Der erste und ein ganzes Jahrzehnt lang vor dem Mercedes 600 einzige deutsche Nachkriegsachtzylinder verkörpert außerdem Karosseriebau in Manufakturqualität. Dem BMW 502 gelingt schon 1954, was der Urtyp 501 mit seinem kleinen Vorkriegssechszylinder nicht schaffte. Endlich trifft das aufwendige Fahrwerk mit eleganter Drehstabfederung an allen vier Rädern und einer nicht nur dank Wattgestänge sorgfältig geführten hinteren Starrachse auf einen adäquaten Motor.

BMW 502 mit betörendem Sound und geschmeidiger Leistungsentfaltung

Ja mehr noch, mit dem 100 PS starken, gänzlich neu konstruierten 2,6-Liter-Alu-Achtzylinder wurde der BMW 502 zur ersten ernst zu nehmenden Alternative zum Mercedes 300. Dank betörendem Sound und geschmeidiger Leistungsentfaltung in den Motoreigenschaften dem Adenauer klar überlegen, kann er im Katalogwert erst ab 1955 als 3,2-Liter mit zuerst 120, dann 140 und zuletzt 160 PS gleichziehen. Doch bereits die 100-PS-Version liefert bessere Fahrleistungen als der durch sein 300 Kilogramm höheres Gewicht gehandicapte Mercedes. Er trägt auch noch steife Vorkriegsgarderobe, was die konservative Mercedes-Kundschaft begrüßt statt kritisiert.

Leider wird dem fortschrittlichen BMW 502 der traditionelle rundliche Anzug trotz eleganten Schnitts, großen Fensterflächen und günstiger Aerodynamik zum Verhängnis. Früh wird seine Rubens-Figur vom Publikum als veraltet empfunden. Als Staffage für die Mannequins in der Modezeitschrift "Film & Frau" wird oft ein 300er gewählt, nie ein V8. Der Verkauf läuft schleppend, am Ende seines zwölfjährigen Lebens sind gerade 20.000 Barockengel entstanden.

Der BMW 502 liegt straff und sicher

Der späte 62er-BMW 2600 L leistet 110 PS, hinter dem elfenbeinfarbigen Vierspeichenlenkrad lässt sich die einstige fahrdynamische Überlegenheit auch heute noch deutlich spüren. Vor allem der Opel Kapitän-Umsteiger merkt den Unterschied in der Straßenlage, im Lenk- und Bremsverhalten. Der große BMW liegt straff und sicher, auch in schnell gefahrenen Kurven, seine Bremsen geben einem nicht das Gefühl, schnell ans Limit der Verzögerung zu kommen.

Die Federung des V8 gibt sich deutlich angenehmer als beim schwingungsfreudigen Opel, was in erster Linie ein Verdienst der besseren Dämpfung ist. Seine unorthodoxe Kegelradlenkung arbeitet viel direkter, ohne schwergängig zu wirken. Der BMW 502 ist eben ganz und gar als schneller Reisewagen konzipiert – vor allem für damalige Landstraßen, die Fahrer und Auto viel mehr fordern.

Vielleicht ist es auch der Widerspruch zwischen dem gemütlichen Design des Barockengels und seinem sportlichen Charakter, der ihn erfolglos machte. Der holzfurnierte, mit Cordsamt ausgeschlagene BMW 502 wirkt wie ein rollender Salon für Zigarrenraucher. Seine gegenläufig öffnenden Portaltüren passen in dieses betuliche Bild.

Der Mercedes 300 - perfekte Gediegenheit

Solch ein Identitätsproblem kennt der Mercedes 300 nicht. Er gibt mit Leib und Seele die erstklassige Luxuslimousine mit enormem Beinraum im Fond. Gern wird eine Trennscheibe geordert, und die großen Aschenbecher sind extra für Zigarren ausgelegt. Die schmalen Fensterflächen gewähren diskrete Distanz zur Umwelt, man hat das Gefühl, alle 300er, vor allem die frühen mit dem markanten Rundheck, wurden in autoritärem Schwarz ausgeliefert.

Seine Grundform entstand schon vor dem Krieg für einen neuen, vom Schell-Plan vereitelten, größeren Typ 230. Auch die enorm schwere und aufwendig gebaute Doppelgelenk-Pendelachse des Mercedes 300 mit gleich zwei Schraubenfedern pro Rad fand sich schon in den legendären Kompressorwagen 500 und 540 K. Vor Erfindung der Hydropneumatik gilt sie als komfortabelste Radaufhängung überhaupt.

Keine Frage, der Mercedes 300 flößt einem mächtig Respekt ein. Man steht quasi stramm vor dem Einsteigen, sitzt hoch hinter dem steilen großen Lenkrad, vor einem die mächtige Motorhaube, ein endloses Hochplateau hinter der schmalen Windschutzscheibe mit dem großen Stern als Leuchtturm vor dem Horizont. Die Leichtigkeit des Fahrens verblüfft angesichts seiner einschüchternden Erscheinung. Gestartet wird per Anlasserknopf, stehende Pedale, groß wie bei einem Lastwagen, für Kupplung und Bremse. Die Lenkung geht nur beim Rangieren schwer, und die Viergang-Lenkradschaltung lässt sich mit zwei Fingern betätigen.

Der Mercede 300 federt göttlich

Der damals neu konstruierte, sogar siebenfach gelagerte Reihen-Sechszylinder mit obenliegender Nockenwelle klingt so typisch nach Mercedes wie all seine Verwandten bis zum Pagoden-Motor. Sein Temperament genügt, seine Elastizität begeistert, schon ab 30 km/h kann man im Vierten ruckfrei beschleunigen. Der Mercedes 300 federt geradezu göttlich, unterstützt von den mächtigen 15-Zoll-Superballon-Diagonalreifen.

Obwohl das Fahrwerk mit dem des Flügeltürers identisch ist, mag es der Mercedes 300 so gar nicht sportlich. Gegen schnelles Kurvenfahren wehrt er sich zunächst untersteuernd, mehr wollen wir nicht riskieren. Die alte Pendelachse gilt als sehr launisch. Ihre Stimmung kann schnell ins schwer kontrollierbare Übersteuern umkippen.

Mehr noch als der BMW 502 fühlt sich der Mercedes 300 wie ein unzerstörbares, den Zeitläuften trotzendes Manufaktur-Automobil an. Vieles ist aus dem Vollen gefräst und fasst sich unheimlich gut an, vom Türgriff bis zum Blinkerring im Lenkrad. Das Auto fürs Leben muss kein Rolls-Royce sein.