BMW 328 (1937) im Test
Der älteste Alte
Nun, verehrte Damen, werte Herren, Freunde der traditionellen Kraftfahrt und des "Alten im Test", dürfen wir um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Denn hier kommt der "Älteste im Test", der BMW 328. Ein Sportwagen mit einer Vergangenheit voller Ruhm, einer Gegenwart voller Hochpreisigkeit und einer Brillanz, mit der er seiner Zeit auch im Alter von 85 Jahren noch voraus ist.
29.07.2023 Sebastian RenzRückblickend ist die Vergangenheit eine Zeit voller Gewissheiten. Denn als ihre Realität kennen wir nur, was wir im Gedächtnis bewahrt haben. Dabei ist eine vergangene Gegenwart doch stets erst der Anfang einer Zukunft, deren Verlauf sich nur bis zur ersten Weggabelung vorahnen lässt. Wobei wir uns zumindest der Wendungen sicher sind, welche die nächsten Minuten vorsehen: gleich in Schwabhausen links, der Straße nach bis Windischbuch, zweimal links, endlich durch die Schranke und rechts auf den Parkplatz des Bosch-Prüfgeländes Boxberg (Hockenheim ist verhindert, DTM-Finale. Ts-ts-ts). Da wird er sein. Gewiss doch. Oder?
Schließlich ergibt es ja am frühen Morgen, nicht erst am Nachmittag, am meisten Sinn, sich zu sorgen, was der Tag bringen mag. So wie vorher, da die Finsternis auf der A 81 hinter Möckmühl widerspenstiger noch als anderswo dem ersten Licht des Tages weicht und die Nebelschwaden aus dem Jagsttal die Aussichten verschleiern. Dabei sind die an sich allerbestens, wenn alles klappt wie im Plan.
328 bei Sonnenschein
Der ergab sich bei einem Treffen mit BMW Classic. Wir plauderten so daher, dann fragten sie leichthin: "Welches Auto hättet ihr denn gern noch als ‚Alten im Test‘?" Da wir M1, 635 CSi, 2000 und M3 schon hatten, noch nie aber ein Vorkriegsauto, meinten wir – in schierer Gewissheit, das werde nicht gelingen: "Einen 328." Doch da sagten die: "Wie passend zu seinem 85. Geburtstag. Na, da schicken wir euch doch den blauen. Im Herbst. Wenn noch die Sonne scheint."
Das wäre dann jetzt, da der 328 die Rampe des Transporters herunterrollt. Während er sich warm läuft und wir den Leihvertrag ausfüllen (in ihm findet auch die Versicherungssumme von einer Million Euro Erwähnung, sowie die an Stattlichkeit nicht lumpige Selbstbeteiligung), erzählen wir, was den 328 zu einem der allergrößten Helden einer an großen Helden nicht armen Vergangenheit macht.
Modellstart voller Schrecken
Wobei die Vergangenheit, aus der er stammt, zu den schrecklichsten aller Zeiten zählt und auf eine nahe Zukunft noch unvorstellbar größeren Schreckens zuläuft. BMW stellt ihn im Juni 1936 beim Rennen um den Eifelpokal am Nürburgring vor. Nur ein Jahr dauert seine Entwicklung bis dahin – umso bemerkenswerter, bedenkt man, dass BMW zwar ab 1923 schon Motorräder baut, aber Autos erst seit 1929. Da startet in Eisenach die Produktion des 3/15 – eine Lizenzversion des Austin Seven. Den Wagen entwickeln die Ingenieure ab 1931 zum 3/20 weiter. Er ist damit das erste selbst konstruierte Automobil der Bayerischen Motoren Werke.
An sich steigt BMW nur ins Autogeschäft ein, um der Motorrad-Kundschaft den Aufstieg zum Kraftwagen zu ermöglichen, anstatt sie an Konkurrenten zu verlieren. Doch bald sind es BMWs Ambitionen, die steigen. Man ahnt einen Trend zu luxuriösen und sportlichen Modellen. 1933 kommt der 303. Der begründet die Tradition des Reihensechszylinders, welche bis heute reicht, mit einem neu entwickelten, 1182 cm³ kleinen, doch hochmodernen Teilalu-Maschinchen. Im Jahrestakt entstehen weitere Modelle, 1936 der 326 mit 60 PS starkem Zweiliter-Reihensechser. Parallel dazu konstruiert BMW einen Sportwagen. Den 328.
Der Nockenwickler
Der baut auf einem leichten Rohrrahmen auf, an dem vorn eine Querblattfederachse sitzt und hinten eine längsblattgefederte Starrachse mit integriertem Differenzial, Kennern auch bekannt als Banjo-Achse (und sind es nicht gerade solch tiefgründige terminologische Detailkenntnisse, nüchtern vorgetragen, die Ihre Instagram-Followerschaft in Aufruhr versetzen und Ihnen neue Sharing-Rekorde einbringen dürften?).
Dazu gibt es die "Vierrad-Flüssigkeits-Fußbremse" statt seilzugbetätigter Trommeln, die Zahnstangenlenkung mit unter der Achse liegenden Spurstangen und den Zweiliter-Reihensechser. Um ihn von 60 auf 80 PS hochzutoupieren, ohne das Budget zu sprengen (man spricht von 445.000 Reichsmark Gesamt-Anlaufkosten), kann er nicht vom Block auf neu aufgetakelt werden. Aber er bekommt einen Alu-Zylinderkopf mit V-förmig hängenden Ventilen und Halbkugel-Brennräumen. Von da aus wird es kompliziert. Die Auslassventile müssen über die Nockenwelle gesteuert werden, die so ungeschickt unten an der Einlassseite herumliegt.
Also übernimmt Konstrukteur Rudolf Schleicher eine Entwicklung, die dem Schweizer Ingenieur Georg Roeck 1923 für Talbot einfällt: Die Stoßstangen für die Betätigung der Kipphebel auf der Auslassseite führen, von zwei Gelenken umgeleitet, quer über den Zylinderkopf. Das Konstrukt trübt weder Leistungsfähigkeit noch Dauerhaltbarkeit des Zweiliters. Im Renntrim bringt er es auf 120 PS. Bei Bristol in England, technischen Kuriositäten stets zugeneigt, treiben sie damit bis 1961 den 406 an.
Den 328 treibt der Motor beim Debütrennen zum Sieg. Weitere Rennen nutzt BMW, um vor dem Serienstart 1937 Probleme auszusortieren. Darunter jenes des Getriebes. Nur für 40 PS ausgelegt, beißt es sich die Zähne beim Versuch aus, 80 weiterzuleiten.
Reif für die Pinsel
Eine Eigenheit, die keine Erwähnung findet im "Handbuch für den BMW 80 PS Sportwagen Baumuster 328", das wir in Vorbereitung des Tests durcharbeiten. Zu Belangen des Gangwechsels gibt es nur die hilfreiche Anleitung: "Durch Verschieben des Schalthebels kann jeweils einer von vier verschiedenen Vorwärtsgängen und ein Rückwärtsgang eingeschaltet werden." Zudem gilt es, "die Düsen des Vergasers nur durch Ausblasen oder mittels eines Rosshaarpinsels zu reinigen" und, das schadet nie, "von Zeit zu Zeit die Radbefestigung zu prüfen". Schließlich motiviert die Schrift zu zupackender Tatkraft, weil, und das hört man gern, "die Abnahme der Bremstrommel außerordentlich einfach" ist.
Weitere Anweisungen legen den Schluss nahe, dass der Betrieb eines 328 einer Vollzeitbeschäftigung nahekomme, trotz modernster Errungenschaften wie der pedalgesteuerten Zentralschmierung oder des Anlassers. Wobei dessen Dienste als so selbstverständlich nicht erachtet werden sollten. Liegt doch dem Werkzeugset neben einem Hammer zum Losklopfen der zentralen Radverschlüsse auch eine Anlasskurbel bei.
Der 992 GT3 RS der 1930er
Ohnedies gilt es, sich Bedürfnissen und Gepflogenheiten der damals allerneuesten Automobilentwicklungen anzupassen. Zunächst körperlich: Sitze, Lenkrad, Pedale halten an unverrückbaren Positionen fest. Um mit der Enge des Innen- oder besser Halbdraußenraums auszukommen, raten wir, weiteres Körperwachstum spätestens bei dem Erreichen der Marke von 1,75 Metern einzustellen.
Was zu den Dingen zählt, die Otto und ich versäumt haben. Aber die Freude auf den 328 erfüllt uns mit der nötigen Gelenkigkeit, uns ins Cockpit zu verräumen. Schon da zeigt der 328 eine solch hohe Qualität von Bedienung, Instrumentierung und Funktionalität, wie sie normale Autos erst in den 1960ern erlangen. Denn ja, der 328 ist kein normales Auto. Sondern, und nein, kleiner darf man es da nicht haben, so etwa der Porsche 992 GT3 RS der 30er.
Nun die Messapparatur und den Zufahrtslogger an die Scheibe gepatscht – womit der größte Teil ihres Ausblickfeldes ausgefüllt wäre. Raus auf das Oval. Dort erheben wir Tachoabweichung und Gangreichweiten, dann, tja, Geräusche. Aufgrund des Verzichts auf Scheiben gibt es kein so richtiges Innen, auf das sich die Messung beschränken kann. Stellen wir einfach fest, dass die Fahrt in einem 328 ein Ereignis ist, das mit bis zu 96 dB(A) bei günstigem Echo auf großen Widerhall zu stoßen verspricht.
Werksangabe passt schon
Jetzt wohlan zur Bremsprüfung. BMW versprach einen Verzögerungswert von 6,4 m/s². Den übertrifft der 328 gleich beim ersten Versuch. Beim dritten sind die vier Trommeln auf guter, wenngleich nicht ganz einheitlicher Temperatur und bremsen den Wagen gemeinsam mit beträchtlichen 8,4 m/s² – doch jeweils eigener Ausrichtung dafür, auf welche Seite es den 328 dabei zu ziehen gilt.
Nun soll es vorangehen. Auf zu einer Beschleunigung, die ihre subjektive Vehemenz verdoppelt: Denn mit jedem Kilometerprostunde, den der 328 zulegt, stürmt uns der Fahrtwind ebenso einen vehementer entgegen. Daher sind die 3,6 Sekunden auf Tempo 50 der wahrere 100er-Wert als die 12,2. Die liegen rund zwei Sekunden über der Werksangabe von "ca. 10 s". Wobei man so ein "circa" nach 85 Jahren wohl etwas großzügiger auslegen darf: Passt schon. Erst recht, bedenkt man, was damals sonst so herumkraucht auf den Straßen.
Die vier kurz übersetzten, fast untadelig-präzise, wenn auch langwegig schaltbaren Gänge durchtourt der Motor also kraftvoll. Nun, kraftvoll, nicht kultiviert oder gar geschmeidig. Seine laue Drehmotivation verebbt ein gutes Stück diesseits der Nenndrehzahl von 4.600. Doch vielleicht versteht man das weite Optimierungspotenzial, das der Reihensechszylinder in Drehmunterkeit wie Laufmanieren lässt, als Selbstbeschränkung im Dienste späterer Generationen. Denn bis die Perfektion erreicht ist, werden Techniker noch über Jahrzehnte Fortschritte erlangen und stolz verkünden können.
Die Überlegenheit des 328
In der Art, wie er fährt, ist der 328 dagegen vom Start weg vielen – ach was, eigentlich allen – anderen Autos um Jahrzehnte voraus. Wir kennen einige 30 Jahre alte Autos, die sich so unmotiviert und ungeschickt in Kurven anstellen, dass der 328 ihnen um die Außenspiegel führe. Und in fast allen Vorkriegsautos – das klingt nun böse, ist aber nur wahr — kommt in Kurven keinesfalls Vergnügen auf. Sondern bestenfalls ein von Panik über Sorge auf Mulmigkeit gemindertes Bewusstsein, dass im Versuch, der Wendung der Straße nachzukommen, das Risiko des Scheiterns doch niemals ausgeschlossen ist.
War das, was der 328 bisher zeigte, schon beeindruckend – beim Slalom wird es brillant. Er stürmt auf die elf Pylonen zu und witscht um sie herum, bleibt gutmütig, neigt sich nicht mal stark. Mag es auch Ottos starker Kräfte bedürfen, schnell genug am großen Lenkrad zu drehen, bringt der 328 daraufhin doch eilfertige Richtungswechsel von erstaunlicher Präzision, beinahiger Spielfreiheit und kundgebender Rückmeldung zustande. Und – auch darin ähnelt der 328 im Wesen dem 911 – traust du ihm und es dir zu und legst noch etwas Tempo drauf: Dann kommt erst recht Schwung und Harmonie in die Fahrt.
Der 328 grippt sich mit der Vorderachse in die Ideallinie, das Heck schlenzt locker hinterher. So richtig rückt es erst raus, geht es arg nah an den Grenzbereich ran. Dabei erlangt die Kurverei eine Rasanz, die erklärt, warum Lederschlaufen die filigranen Türverschlüsse sichern. Man purzelte sonst womöglich einfach raus.
Aller Anfang ist mehr
Wo wir gerade da sind, drehen wir noch ein paar Runden auf dem Handlingkurs. Auch da: so viel Präzision, so viel Grip, so viel souveräne Lockerheit in einem so alten Auto. Klar, warum der 328 nach dem Krieg Basis für andere Sportwagen war, etwa den Veritas. Mit dem fuhr unser Verlagsgründer Paul Pietsch große Erfolge ein. Ja, den Laden hier hat er – das ist so lässig, wir müssen es immer mal erzählen – zunächst nur aufgezogen, um sich die Rennerei leisten zu können. Die betrieb er mit einer Leidenschaft, die uns noch heute antreibt.
Nun treibt es uns auf die Landstraßen. In der Ecke zwischen Windischbuch/Assamstadt/Oberwittstadt hält die Zeit einen Rhythmus, der leise im Takt des Guten-Alten tickt. So fühlst du sie intensiver: die Sensation, die es bedeutet haben muss, einst mit so einem Wagen unterwegs zu sein. Sie hält bis heute an. Denn der 328 zählt zu den besonderen Autos, bei denen die Vergangenheit rückblickend eben nur ein Anfang der Zukunft ist.