BMW 3.0S (E3) und Mercedes 300 SEL (W 108)
Vorläufer von S-Klasse und 7er im direkten Vergleich
Mit dem "Großwagen" definierte BMW 1968 die Werte in der Oberklasse neu. Mercedes gab sich repräsentativ und komfortabel. BMW schuf dagegen ein Luxusauto, das auf Fahrdynamik und Kompaktheit setzte.
31.05.2020 Alf CremersBeide Wagen stehen auf dem Hof des Händlers zur Übernahme bereit. Seit ein paar Minuten finden die Motoren, ein Sechs- und ein Achtzylinder, nach längerer Winterpause in einen gleichmäßigen, niedrigen Leerlauf. Genügend Öldruck baut sich auf, ein warmer dünner Schmierfilm erreicht die Nockenwellen oben in den Zylinderköpfen. Der silbergraue Mercedes 300 SEL 3.5 lockt mit seiner vertrauten Frontpartie, die aufrechte Kühlerattrappe steht samt Stern stolz im Wind, sechs Leuchten reflektieren die Sonnenstrahlen, davon zwei gelbe Nebelscheinwerfer, die der Front eine besondere Note verleihen. Der zierlich wirkende BMW 3.0 S verströmt nicht den Habitus des großen Wagens, er ist die luxuriöse Interpretation des Basistyps 2500. Zwei Welten treffen in der Oberklasse aufeinander: repräsentative Opulenz contra sportliche Eleganz.
Vertrauter W 108
Wer, wie ich, vor Kurzem lange und intensiv Mercedes Strich-Acht fuhr, der fühlt sich vom artverwandten 300er besonders angezogen, der will sofort einsteigen, Grobstoff gegen Leder tauschen, Dieselmotor gegen V8 und den Wechsel vom Kleinbürgertraum zum Chefwagen genießen. Umgewöhnen muss er sich dabei kaum, unter dem Stern ist vieles gleich, das beginnt beim Türgriff und hört bei den Instrumenten auf.
Fast alles ist im 300 SEL 3.5 wie im 200 D, die Pedale, die vorderen Dreiecksfenster, viele Bedienelemente und die stoischen Schmetterlings-Scheibenwischer. Die werden wir heute nicht brauchen. Es wird ein göttlicher Tag vor sakraler Kulisse werden, blauer Himmel über weißem Barock. Ich habe den Mercedes-Schlüssel schon in der Hand, aber offen gestanden sehne ich mich plötzlich nach dem BMW. Der sienabraune 3.0 S kriegt mich in Sekundenschnelle rum mit seinem strengen Doppelscheinwerfer-Augenaufschlag und mit dem kühlen, provokanten Blick, der Autorität und Entschlossenheit ausstrahlt. Motto: Der V8 ist mit einem brillanten Sechser zu schlagen. "Martin, nimm du den Benz", rufe ich meinem verdutzten Freund zu, bevor ich den Schlüssel werfe, "später tauschen wir."
Flugs erobere ich freudig lächelnd den BMW, lande in typisch hoher Sitzposition hinter dem großen Vierspeichenlenkrad mit Prallplatte. Es weist den intern E3 genannten "großen BMW" klar als spätes Exemplar der dritten Serie aus. Erst jetzt, beim Losfahren, registriere ich den Automatik-Wählhebel für drei Fahrstufen. Beim luxuriösen 3.0 S sehe ich darin keinen Verrat an der reinen BMW-Lehre von der Freude am Fahren. Schon auf den ersten Kilometern ist mir der BMW enorm sympathisch, sein Zweivergaser-Sechszylinder reagiert spontan auf jede Gaspedalbewegung, dreht freudig hoch und klingt dabei kraftvoll aus tiefer Kehle. Die sehr gut abgestimmte Borg-Warner-Automatik schaltet spät genug, um dem kräftigen Motor nicht den Biss zu nehmen.
Funktionelles BMW-Interieur
Das Ambiente im 3.0 S ist zwar weniger auf Luxus getrimmt als das im Detail sehr hochwertig dekorierte Holz- und Lederinterieur des Mercedes, aber ich fühle mich trotzdem gut aufgehoben. Es wirkt durch die großen blendfreien Instrumente samt Drehzahlmesser und dank der integrierten Mittelkonsole mit feiner Holzfurnier-Ablage moderner und funktioneller als die gediegene Armaturentafel des 300 SEL. Der BMW sitzt wie ein knapp geschnittener Maßanzug und lässt sich mit spielerischer Leichtigkeit bewegen. Stets liefert der auch optisch eindrucksvolle Sechszylinder genügend Kraft, seine ausgeprägte Elastizität im unteren Drehzahlbereich erspart der Automatik viele Schaltvorgänge. Sie mag zwar für viele nicht so recht zur damals noch viel ausgeprägteren BMW-Philosophie vitaler Fahrdynamik passen. Aber sie unterstreicht zusammen mit der gefühlvollen, nicht zu leichtgängigen und exakten Servolenkung sowie den gut dosierbaren und kräftig zupackenden Bremsen das ausgezeichnete Handling des immerhin gut 1,4 Tonnen schweren Wagens. Ich habe das Gefühl, ihn auch bei forciertem Tempo mit dem kleinen Finger zu lenken. Das aufwendige Fahrwerk mit vorderer Federbein- und hinterer Schräglenkerachse ist komfortabel genug und sorgt für hohe Fahrsicherheit.
Leichtes Übersteuern in schnell gefahrenen Kurven macht ihn willig, er muss nicht hineingezwungen werden. Intuitives Zurücknehmen des Lenkradeinschlags hält den großen BMW sicher auf Kurs. Später überholt mich Martin in einer kontemplativen Fahrphase, in der ich über das attraktive Design des 3.0 S nachdenke, und signalisiert mir gestenreich den fälligen Fahrerwechsel. Eher zögerlich steige ich in den Mercedes, ein wehmütiger Blick folgt dem davonfahrenden Sienabraunen.
Unerreichter Komfort beim 3.5
Der Mercedes empfängt mich mit vertrauter Geborgenheit, hier kann ich es laufen lassen. Wie von selbst gleitet der Wählhebel durch die gezackte Chromkulisse der Viergangautomatik. Ich sitze viel tiefer, blicke durch die Windschutzscheibe über die herrliche, kurvenreiche, sterngekrönte Motorhauben-Landschaft auf die Straße. Mit dem dünnen, elfenbeinfarbenen Lenkrad dirigiere ich den schweren Wagen über die Straßen rund um das Franziskanerkloster Lechfeld. Trotz des langen Radstands fühlt sich der 300 SEL 3.5 für seine Größe erstaunlich handlich an.
Der imposante V8 vorne unter der Haube bleibt bei langsamem Tempo, das ich bisweilen wie einen Staatsakt zelebriere, fast unhörbar. Erst bei höheren Drehzahlen ertönt seine kraftvolle Stakkato-Stimme. Trotz des für Achtzylinder-Verhältnisse relativ kleinen Hubraums von 3,5 Litern und nicht gerade übermütiger 200 PS in Relation zum Wagengewicht von 1.760 Kilo hinterlässt er den Eindruck souveräner Motorisierung.
Die nicht ganz ruckfreie Viergangautomatik mit der eigenwilligen Hydrokupplung sorgt für ein geringeres Drehzahlniveau als im BMW. Zusammen mit der samtpfotigen Luftfederung entsteht im Mercedes der Eindruck erstklassigen Fahrkomforts, der zum beinahe lautlosen Schweben bei mittlerem Tempo animiert. Da fühlt sich auch die antiquierte Pendelachse am wohlsten. Lust auf sportliches Fahren kommt einem im langen 300er gar nicht in den Sinn, dafür gibt es einen handgeschalteten 280 SE 3.5 mit Stahlfederung oder eben einen BMW E3.
Obwohl der große BMW bei fast allen Katalogwerten selbst in seinen Langversionen 3.0 L und 3.3 L hinter dem Mercedes 300 SEL 3.5 bleibt, ist er das modernere Auto mit größerem Potenzial. Der geschmeidige und kraftvolle Sechszylinder ist dem V8 fast ebenbürtig, das Fahrwerk zeigt sich deutlich kurvenwilliger. Es scheint, als lägen nicht nur Welten im Charakter, sondern ein ganzes Jahrzehnt zwischen den beiden.