Big Red Ford
Verschollener Turbinen-Riese wieder da?
Nach Jahrzehnten taucht der verschollen geglaubte Turbinen-Riesen-Lkw wieder auf – allerdings ausschließlich die Zugmaschine. Von den Anhängern fehlt jede Spur.
10.04.2021 Marcel SommerDie Besucher der 1964 New Yorker Weltausstellung trauten ihren Augen nicht, als Ford neben seinem Mustang den "Big Red" enthüllte. Dem einen oder anderen dürften Bilder des 30 Jahre zuvor präsentieren GM Futurliners wieder in Erinnerung gekommen sein. Doch schaffte es der Big Red seinen alten GM-Konkurrenten in nahezu allen Belangen zu übertreffen. Der große Unterschied fällt direkt auf den ersten Blick auf: Der Big Red bestand aus einer Zugmaschine und zwei je zwölf Meter langen Fruehauf-Anhängern. Bestand? Ja, denn außer der kürzlich erst wieder gesichteten, aber immer noch von einem anonymen Besitzer verborgenen Zugmaschine ist vom Rest des Prototyps nichts mehr aufzufinden.
Die Zugmaschine selbst ist 6,02 Meter lang, 3,96 Meter hoch und 2,44 Meter hoch. Der Radstand beträgt 3,02 Meter, der Wendekreis 12,8 Meter und die Bodenfreiheit 20 Zentimeter. Im vollen Zugbetrieb rangierte der Fahrer ein 29,26 Meter langes und bis zu 77 Tonnen schweres Gefährt mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 126 Kilometern pro Stunde. Dank seines 1.060 Liter großen Diesel-Tanks schafft der Big Red eine Reichweite von 966 Kilometern.
PR-Ableger für Militärprojekt
Doch das Besondere ist nicht seine Reichweite, sondern der gesamte Antrieb. Denn der Big Red verfügt über eine 600 PS starke Diesel-Turbine des Typs 705. Eine Turbine, die Ford ursprünglich für das US-Militär entwickelte. Die Idee dahinter war, ein gutes Triebwerk für Panzer, Minensuchboote und kleine Schiffe zu haben. Der Big Red war sozusagen ein günstiger PR-Ableger des Militärprojektes.
Dazu muss man anmerken, dass das Turbinentriebwerk aufgrund seiner extrem hohen Drehzahlen und – wie man jetzt weiß – des hohen Kraftstoffverbrauchs, schlecht für einen Sattelzug geeignet ist. Wenn man jedoch ein Turbinentriebwerk mit preiswerten Kraftstoffen wie Diesel nutzten könnte, hätte man einen Motor mit hohem Drehmoment, der billig zu betreiben sowie leiser und weitaus ruhiger als jeder Dieselmotor ist. Das war zumindest die Theorie. Sowohl Ford als auch GM hatten Jahre damit verbracht, ihre Turbinentriebwerke ab Ende der 1940er Jahre zu entwickeln. Mitte der 60er Jahre war letztendlich Ford der erste Hersteller in der Lkw-Szene mit einem funktionalen Prototyp namens Big Red.
1,92 Meter Stehhöhe im Cockpit
Ford kombinierte die Turbine mit einem Allison-Fünfgang-Automatikgetriebe, um die Tandemachsen anzutreiben. Gleichzeitig sorgte der Big Red mit seiner Luftfederung für Aufsehen, da er der erste Semitruck der USA mit solch einer Dämpfung war. Neben der mechanischen Innovation war auch der Innenraum sehr interessant. Big Red war für den Transport von Fracht über große Entfernungen vorgesehen, daher konzipierte Ford die Kabine so, dass sie einer Besatzung von zwei Fahrern Platz bot. Das Cockpit war 2,13 Meter breit und 1,92 Meter hoch.
Um die Ermüdung des Fahrers zu vermeiden und die Transitzeiten zu verbessern, verfügt Big Red zudem über eine Küche mit Getränkespendern, einen Kühlschrank sowie einen Warmhalteofen. Sogar eine Toilette ist mit an Bord. Während eine Person fährt, kann die andere im Innenraum herumlungern, ein Nickerchen machen oder sogar in den Fernseher schauen, der nur vom Beifahrersitz aus sichtbar ist.
Traum ohne Chance der Realisierung
Wie damals üblich, nahm Ford den Big Red mit auf eine Tour durch das Land und besuchte mehrere große Städte, darunter Boston, Philadelphia, Washington DC, Dallas, Chicago, Denver, Oklahoma City und Los Angeles. Ford pries den Turbinen-Lkw als Zukunftstechnik an und ging so weit, Big Red in Anzeigen neben den heißen Ford Mustang zu setzen. Der Traum, dass sich solvente Mustang-Kunden auch gleich einen Big Red vor ihr Haus stellen, sollte jedoch nie Realität werden.
Obwohl Ford äußerlich optimistisch in Bezug auf Turbinen-Lkw war und bis in die 1970er Jahre mit der Idee experimentierte, wusste der Automobilhersteller, dass das Big Red-Projekt aufgrund der Kosten- und Effizienzprobleme, die Turbinenautos zum Scheitern verurteilten, für die Produktion nicht realisierbar war. Ford hatte nicht einmal Verwendung für den Prototypen, nachdem seine Cross-Country-Promo-Tour beendet war.
Vielleicht demnächst in Pebble Beach?
Wie die meisten abgelaufenen Konzepte sollten ihn die Ingenieure daher zu diesem Zeitpunkt eigentlich wieder zerlegen. Durch eine nicht mehr nachvollziehbare Reihe von Ereignissen gelangte Big Red Ende der 1960er Jahre jedoch in die Hände von Holman Moody, Fords werksseitig unterstütztem Rennteam. Fotos zeigen, dass er mindestens ein Jahrzehnt lang im Lagerhangar von Holman Moody in North Carolina geparkt war, bevor sich das Rennteam 1978 im Rahmen eines Inventarverkaufs von ihm trennte.
Danach verläuft sich die Spur. Bis auf ein paar Kommentare in den Sozialen Medien und dem einen oder anderen Bild ist weiterhin nichts von Big Red zu sehen. Man vermutet jedoch, dass er in naher Zukunft auf einer großen Autoschau wie Pebble Beach unter den Hammer kommen könnte. Es bleibt spannend.