Bertone Ritmo Cabrio (1978 bis 1988) Kaufberatung
Seltener als ein SL, praktischer als ein Golf
Das Bertone Ritmo Cabriolet teilt zum Glück nicht das Schickal seines Limousinen-Verwandten. Denn fast alle Fiat Ritmo wurden vom Rost dahingerafft. Bessere Überlebens-Chancen hatten die rund 15.000 Exemplare des teureren, von Bertone gebauten Ritmo Cabriolets. Und die machen heute wieder richtig gute, hitverdächtige Laune.
25.10.2018 Franz-Peter HudekExakt zehn Jahre vor dem Mazda MX-5 verursachte 1979 das neu vorgestellte VW Golf Cabrio eine erste Cabrio-Tsunami-Welle. Bis die anrollte, dauerte es zwar ein wenig – aber dann: Fiat brachte unter Mithilfe von Bertone bereits 1981 das Bertone Ritmo Cabrio. Ford 1983 schob das wie der Golf bei Karmann gebaute Escort Cabrio nach, 1987 kam der Oben-Ohne-Opel-Kadett von Bertone und als Nachzügler 1991 der offene Renault 19 – ebenfalls von Karmann. Die europäische Kompaktklasse gab es jetzt fast komplett auch als viersitzige Cabrios zu kaufen – mit bügelfreiem Verdeck glänzte jedoch nur der spätgeborene Renault.
Bertone-Interieur ist eine rührende Mischung
Der oft gescholtene Bügel des Bertone Ritmo Cabrio entzieht sich den Blicken von Fahrer und Beifahrer, die oberhalb der relativ steil stehenden Windschutzscheibe nur den freien Himmel genießen. Man sitzt im Bertone Ritmo Cabrio nah und hoch an einem leicht nach vorn gekippten Lenkrad, was an einen Austin Mini erinnert. Natürlich gibt es im Bertone Ritmo Cabrio mehr Platz für Arme und Schultern, die nur gelegentlich in Kontakt mit der noblen, stoffbespannten Türverkleidung geraten.
Die betont kantig gestaltete, vom Bertone Ritmo Super 85 übernommene Anzeigentafel besitzt sogar eine grafisch opulent inszenierte Check-Control: Die schematische Seitenansicht der Fiat Ritmo Limousine mit roten Lämpchen an Heck und Bug sowie an den Rädern informiert über defekte Leuchten und verschlissene Bremsbeläge, die Motordarstellung über zu geringen Kühlwasser- und Ölinhalt.
Eine kreisrunde, von Grün über Orange zu Rot wechselnde Verbrauchsanzeige ermahnte den Bertone Ritmo Cabrio-Lenker bereits 1986 zur züchtigen, umwelt- und budgetschonenden Fahrweise. Insgesamt zeigt das Interieur des Bertone Ritmo Cabrio eine rührende Mischung aus behaglichem Baumwoll- Plüsch und einer Anzeigen-Orgie mit feinen Zahlen und Symbolen auf mattschwarzem Grund. Ein weiteres Ausstattungs-Glanzlicht im Bertone Ritmo Cabrio ist die im Handschuhfach integrierte, herausnehmbare Handleuchte mit Kabelanschluss am Zigarettenanzünder. Damit setzte sich der offene Ritmo endgültig um Längen von der deutschen Cabrio-Konkurrenz ab.
Leichtbau: Kein Mehrgewicht gegenüber der Limousine
Der Bertone Ritmo Cabrio hat gegenüber dem Golf Cabrio noch weitere Vorteile, die damals sogar die Testmannschaft von auto motor würdigte. So wiegt das Bertone Ritmo Cabrio gleich viel wie die zweitürige Limousine, während der offene Golf gegenüber der Limousine zwei Zentner mehr auf die Waage bringt. Die verstärkte Bertone Ritmo-Karosserie mache dennoch „einen vergleichsweise soliden Eindruck“. Ebenso positiv vermerkten die Tester das im Kofferraum versenkbare Faltdach, während es sich beim Golf über dem Heck auftürmt.
Entsprechend großartig ist die Rundumsicht im Italiener. Der Bertone Ritmo Cabrio-Fahrer sieht im Rückspiegel die Landschaft davonzischen und kann beim Rangieren nach hinten auf die Straße blicken. Das Bertone Ritmo Cabrio ist straff abgestimmt und lässt sich mit der etwas schwergängigen Lenkung flott und präzise bewegen. Schnelle Gangwechsel mag das hakelig zu schaltende Getriebe weniger. Ein kugelrunder Schalthebelknauf aus grauschwarzem Kunststoff trübt ebenso die Fahrlaune, die der durchzugskräftige 1,5-Liter-Vierzylinder wieder anhebt.
Echtes Cabrio-Feeling: Ab 100 km/h tobt's im offenen Ritmo
Die kantige Karosserie des Bertone Ritmo Cabrio bietet bis 100 km/h auch ohne Windschott noch einen akzeptablen Windschutz, doch darüber hinaus zieht es ziemlich. Immerhin lief das Bertone Ritmo Cabrio der ersten Generation im Testbericht von auto motor und sport offen zügige 160 km/h, geschlossen sogar 169 km/h – und war damit fast gleich schnell wie die Ritmo-Limousine.
Und noch ein Plus des Bertone Ritmo Cabrios gegenüber dem Golf Cabrio: Mit geschlossenem Dach genießt der Ritmo die Vorteile einer Heckklappen-Limousine und transportiert im vergrößerten Kofferraum bei Bedarf auch Kühlschränke und Farbfernseher. Hierzu werden die Kofferraumlade nach unten und die durch zwei Reißverschlüsse vom Dach befreite Glas-Heckscheibe nach oben geklappt. Im Verbund mit den einzeln umlegbaren Rücksitzen entsteht so ein geräumiger Transportraum im Bertone Ritmo Cabrio. Allerdings müssen auch bei jedem Öffnen und Schließen des Verdecks die beiden Reißverschlüsse neben der Heckscheibe gezippt werden. Außerdem sollte das Zurückklappen des Verdecks laut Handbuch „lieber zu zweit“ erfolgen. Schließlich ist das Bertone Ritmo Cabrio-Stoffdach sorgfältig in den Kofferraum zu falten, bis es heißt: „Kofferraum schließen und dabei aufpassen, dass die Verdeckteile nicht zusammengedrückt werden.“ Das Bertone Ritmo Cabrio-Dach erfordert also viel Sorgfalt und bestenfalls sogar zwei geübte Packer, die in einem plötzlich herabprasselnden Platzregen so schnell wie möglich eine regendichte Tankstelle oder Brücke aufsuchen sollten, um dort das Zeltdach in Ruhe aufzustellen.
Viel seltener als ein Pagoden-SL
Trotzdem ist das von Bertone konzipierte und gebaute Bertone Ritmo Cabrio ein technisch anspruchsvolles Automobil mit hohem Spaß- und Aufmerksamkeitspotenzial, das einem etablierten Klassiker aus den 60er- oder 70er-Jahren kaum nachsteht. Bertone Ritmo Cabrio-Besitzer Boris Baz: „Die Leute finden mein neuwertiges Bertone Ritmo Cabrio mindestens so interessant wie einen Pagoden-SL von Mercedes. Von denen sind in Deutschland deutlich mehr unterwegs als alle überlebenden Ritmo zusammen.“
Der glückliche Bertone Ritmo Cabrio-Fahrer Baz entdeckte das Cabriolet vor acht Jahren bei einem Fiat-Händler in Datteln, der es im Auftrag eines älteren Herrn verkaufte. „Der meldete das Bertone Ritmo Cabrio immer nur im Sommer an, um damit nach Sylt zu fahren und dort seinen Urlaub zu verbringen.“ Deshalb stehen auch nur 27.800 Kilometer auf dem Tacho. Das rare Stück wurde seither selten, aber ständig und nur bei schönem Wetter bewegt, was der Technik und dem makellosem Zustand der Bertone Ritmo Cabrio-Karosserie eindeutig zugute kam. Nur so kann ein kleiner, leicht bekleideter Italiener das raue nordische Klima ohne Rost-Grippe überleben.
Karosserie-Check
Besonders die Ritmo-Modelle der ersten, bis 1982 gebauten Serie neigen trotz ihres hohen Kunststoffanteils an der Karosserie zu starkem Rostbefall. Gefährdet sind vor allem die Radläufe, Radhäuser, Seitenschweller, Fahrwerksdome hinten, das Heckabschlussblech, der Fußraum, die A-Säule, der Windschutzscheibenrahmen, Türen-Unterkanten, der Kofferraum und der Auspuff. Weitere typische Rostnester entstehen auch bei den Serie 2-Modellen an den Nahtstellen von Kunststoff und lackierter Karosserie, wo sich bisweilen folgenschwere Feuchtigkeitsnester bilden.
Beim Bertone Cabriolet ist das knapp geschnittene, dreilagige Kunststoffdach auf nachlässige Reparaturen und Risse zu überprüfen. Es wird ziemlich eng gefaltet und neigt bei nicht sorgfältigem Umgang zu Rissen an den Faltkanten. Die beiden Reißverschlüsse zum Loslösen der Heckscheibe sollten ohne großen Widerstand funktionieren, die Heckscheibe aus Glas keine Kratzer oder Verunreinigungen aufweisen.
Das Interieur des Italieners einschließlich Sitze und Türverkleidungen sollte in einem gepflegten Zustand sein. Dazu zählt auch eine bestenfalls noch stramme Polsterung der nicht besonders bequemen Sitze. Die Bedienungselemente und Drucktasten, für die es ebenso keinen Ersatz gibt, müssen einwandfrei funktionieren und dürfen keine Gebrauchsspuren aufweisen.
Technik-Check
Die Technik des Ritmo basiert auf dem Vorgänger-Modell Fiat 128 und gilt als sehr zuverlässig. Einziger Schwachpunkt der modernen Vierzylinder-Motoren sind die mäßigen Kaltlaufeigenschaften. Davon abgesehen erreichen die bewährten Triebwerke bei regelmäßiger Wartung, zu der auch der Wechsel des Zahnriemens für den Nockenwellenantrieb zählt, Laufleistungen von bis zu 300.000 Kilometer.
Der Zahnriemenwechsel ist alle 60.000 Kilometer fällig und macht im großzügig dimensionierten Ritmo-Motorraum keine Probleme. Das hakelig zu schaltende Getriebe mitsamt Kupplung kann bei nicht exakter Einstellung ziemlich nerven. Kratzgeräusche beim Einlegen des zweiten Gangs machen auf ein ausgeschlagenes oder verstelltes Schaltgestänge aufmerksam. Vorderachsgeräusche in Linkskurven und bei Lastwechsel sind Anzeichen einer verschlissenen Lenkung. Die gesamte Bord-Elektrik, ein typischer Fiat- (und "Italiener"-) Schwachpunkt, sollte einer strengen Prüfung unterzogen werden. Besonders die zahlreichen Kontroll-Lämpchen und -Anzeigen neigen zu nervigen Fehlfunktionen und Dauer-Warnlichtern.
Preise
Das Fiat Ritmo Cabrio made by Bertone war bereits bei seiner Markteinführung kein Schnäppchen, sondern kostete etwa 40 Prozent mehr als die vergleichbare Limousine. Entsprechend gering waren die Verkäufe, die meistens an Liebhaber der italienischen Marke erfolgten. In der Regel verblieben die raren Stücke deshalb über Jahre hinweg in guten Händen. Dadurch sind die Chancen, ein ordentliches Ritmo-Cabrio zu erstehen, größer als der Erwerb einer intakten Ritmo-Limousine. Für Cabrios in gepflegtem Zustand notiert Classic Analytics Preise zwischen 5.600 und 7.600 Euro. Mäßige Exemplare kosten 1.400 bis 1.800 Euro.
- Bei Einführung 1981 (Bertone Ritmo Cabriolet) :
- 20.890 Mark
- Bei Produktionsende 1987 (Bertone Ritmo Cabriolet) :
- 23.980 Mark
Ersatzteile
Die Ersatzteillage für die Standard-Ritmo ist unproblematisch, wenn es um Verschleißteile wie Bremsen, Kupplungen, Stoßdämpfer und Lager geht. Vieles ist noch vorhanden oder kann von anderen Fiat-Modellen (Uno, Panda, 128) übernommen werden. Zündkerzen, Filter oder Scheibenwischer gibt es meistens sogar noch im KFZ-Zubehörhandel.
Schwieriger gestaltet sich die Suche nach Blechen, Glas, Kunststoff-Teilen und Interieur- Elementen. Während über Fiat nichts mehr zu bekommen ist, sind Blechteile teilweise noch über freie Anbieter lieferbar, wobei auch hier die Verfügbarkeit einiger Türen (Dreitürer TC und Cabrio) stetig abnimmt; weiterhin gelten auch Heckklappen schon seit den späten 80ern in rostfreiem Zustand als schwer zu beschaffen. Das Verdeck kann von Spezialisten nachgefertigt werden und verursacht dann höhere Kosten als der Marktwert des Fahrzeugs.
Schwachpunkte
- Rost an Radläufen und in den Radhäusern
- Rost Schweller
- Rost Kofferraumboden
- Rost Stoßdämpfer-Dome
- Auspuffanlage
- Lenkung
- Schaltgestänge
- Anzeigeninstrumente
- Hakelige Türschlösser
- Schlaffe Sitzpolster
- Risse im Verdeck
Wertungen
Fazit
Das pfiffig konstruierte, viersitzige Cabriolet ist inzwischen eine Automobil-Rarität. Die überschaubare Großsereintechnik, gute Fahrleistungen und viele originelle Karosseriedetails sprechen für das Fiat-Derivat. Rost- und Elektrikprobleme trüben dagegen den Kauf- und Fahrspaß. Die positive Preisentwicklung der letzten Jahre zeigt, dass der Cabrio-Außenseiter aus Italien durchaus seine Fan-Gemeinde gefunden hat. Wer also ein ordentliches Fahrzeug angeboten bekommt, der sollte zugreifen. Mit dem seltenen Ritmo Cabrio macht man auf jeden Fall bei Oldtimer-Rallyes mit Youngtimer-Beteiligung eine extrem gute Figur.