Bentley Blower & Mercedes Super Sport

Elefantentreffen der Vorkriegs-Rennwagen

In Le Mans 1930 lieferten sich Mercedes-Fahrer Caracciola und Bentley-Pilot Birken ein Duell um die Spitze. Heute treffen die gigantischen Vorkriegs-Rennwagen noch mal aufeinander.

Bentley 4,5 Litre Blower, Mercedes 27/180/250 Typ 710 SS, Doppeldecker Foto: Hans-Dieter Seufert 32 Bilder

Die Legende vom Elefanten-Rennen erlebt ihren Höhepunkt: Rudolf Caracciola und sein Teamkollege Christian Werner fordern mit einem Mercedes- Benz SS (Super Sport) beim Grand Prix d'Endurance de 24 Heures du Mans 1930 heraus. Sowohl der Kompressor-Mercedes als auch der Blower-Bentley werden zum ersten Mal bei dem Marathonrennen eingesetzt. Bentley startet als Titelverteidiger in Le Mans: insgesamt vier Siege, von 1927 bis 1929 sogar drei Mal in Folge.

Walter Owen Bentley wehrt sich

Der Zweikampf zwischen dem englischen und dem deutschen Kompressor-Rennsportwagen hat eine Vorgeschichte: 1929 gewann Rudolf Caracciola mit dem Mercedes die Tourist Trophy, die im irischen Distrikt Ards ausgetragen wurde. Bentley Boy Sir Tim Birkin erlitt als Zweiter im Gesamtklassement und Elfter in der Handicapwertung ausgerechnet beim prestigeträchtigen Rennen in seiner Heimat eine empfindliche Niederlage. Im Glaubenskrieg, der im Bentley-Lager um den Einsatz eines Kompressors zur Leistungssteigerung ausgebrochen war, schwächt dieses Ergebnis Birkins Position. Firmenchef Walter Owen Bentley ist ohnehin strikt gegen die Aufladung seiner Motoren.

Bentley setzt zur Leistungssteigerung auf die Erhöhung des Hubraums statt auf die Lader, wie sie die Konkurrenten von Alfa Romeo, Bugatti oder Mercedes verwenden: Die Aufladung "verdirbt die Konstruktion und verschlechtert die Ausdauerleistung" seines Motors, bemängelt der Konstrukteur und Firmengründer. Sein Financier Woolf Barnato aber, der mit seiner Finanzmacht das Sagen in der Firma übernommen hat, ist von Tim Birkins Initiative beeindruckt. Er erteilt seinem Bentley-Freund die Freigabe, 50 Blower-Bentleys in Eigenregie zu bauen. So viele Autos sind erforderlich, um die Zulassung für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans zu erlangen. Daneben entstehen ebenfalls in Birkins eigener Werkstatt in Welwyn Garden City fünf Team Cars, die unter der Bewerbung seiner Mäzenin Hon. Dorothy Paget eingesetzt werden.

Ferdinand Porsche entwickelt den Kompressor-Mercedes

Bei Mercedes-Benz hingegen gehört der Kompressor von Anfang an zum Konzept, das unter der Leitung von Ferdinand Porsche entwickelt wurde. Der in Stuttgart lebende Konstrukteur arbeitete von 1923 bis 1928 als Vorstandsmitglied und Leiter des Konstruktionsbüros bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft sowie noch kurze Zeit für die Daimler-Benz AG. Die Rennsportwagen der Typen S, SS, SSK und SSKL werden erfolgreich eingesetzt: Rudolf Caracciola gewinnt zum Beispiel 1927 das Eröffnungsrennen auf dem Nürburgring und 1928 gemeinsam mit Christian Werner den Großen Preis von Deutschland.

Die beiden Mercedes-Fahrer teilen sich als einzige Vertreter der Marke auch den Einsatz beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1930 und stellen sich insgesamt fünf Bentley-Teams: Caracciola führt in den ersten drei Runden, wird aber von Tim Birkin im schnellsten Blower-Bentley überholt. Birkin fährt mit einem Schnitt von 144,3 km/h die schnellste Rennrunde und verbessert mit dem Blower seine Bestzeit aus dem Vorjahr, die er mit dem Werks- Speed-Six erzielte, um über eine halbe Minute. Es entwickelt sich ein spannendes Duell zwischen dem Kompressor-Bentley sowie den Werkswagen in British Racing Green und dem weißen Mercedes, bis Rudolf Caracciola in der Nacht mit leerer Batterie als Folge einer defekten Lichtmaschine vorzeitig ausscheidet: Das damalige Regelwerk untersagte den Austausch des Akkumulators. Aber auch Birkin und sein französischer Teamkollege Jean Chassagne kommen nicht ins Ziel.

Im direkten Duell mit dem Mercedes fällt Birkin zunächst durch einen Reifenschaden auf den vierten Platz zurück, am Sonntagmittag bricht die Kurbelwelle. Der zweite Blower-Bentley mit Dudley Benjafield am Steuer fällt mit einem Kolbenschaden ebenfalls aus.

Begegnung der Kompressorwagen

Motor Klassik lässt das Duell der beiden Kompressor- Rennsportwagen von 1930 wieder aufleben. Dazu haben wir in der Einsamkeit des Westerwaldes zwei der bekanntesten und authentischsten Autos zusammengebracht: Der letzte von 50 für Kunden gebauten Blower-Bentleys trifft auf den Mercedes-Benz SS mit dem englischen Kennzeichen "GP10": Erstbesitzer des weißen Riesen war der englische Fahrer Malcolm Campbell. Sein Mercedes gilt als der im Motorsport meisteingesetzte Mercedes-Benz SS aller Zeiten. Ursprünglich war der bereits mit einem "Elefanten"- Kompressor ausgestattete viersitzige Mercedes in Campbell-Blue lackiert. Noch in den 30er-Jahren wurde er weiß lackiert, wie zum Beispiel auch der Le-Mans-Wagen von Caracciola und Werner.

Im direkten Aufeinandertreffen entfaltet der Bentley seine ganze Wirkung als brachialer Rennsportwagen von altem Schrot und Korn. Er erfüllt die Charakterisierung durch Ettore Bugatti als "schnellster Lastwagen der Welt". Auch im Vergleich der Motorsounds brummt der Blower-Vierzylinder, verglichen mit dem grollenden deutschen Sechszylinder, ein Lied aus einer anderen Zeit. Aber auch wenn kein Blower-Bentley damals ein Rennen gewann: Heute ist sein Nimbus als Klassiker mit dem eines Spitfire-Flugzeugs vergleichbar.

Schwere Dinosaurier mit großen Motoren

Beide Autos stehen als Dinosaurier für die Sportwagen alter Schule: Große Motoren, schwere Rahmen sowie altmodische Karosserieformen mit hohem Schwerpunkt haben sich überlebt. In Le Mans 1930 feiert Bentley schließlich mit zwei Speed Six, die über einen Sechszylinder-Saugmotor mit 6,6 Litern Hubraum verfügen, den vorerst letzten Gesamtsieg, sperrt aber nach diesem insgesamt fünften Le-Mans- Erfolg für die Rennwagen aus Cricklewood seine Rennabteilung zu.

"An diesem Juni-Sonntag 1930 endeten die Tage der Bentleys, aber mit was für einem famosen Abschlusskapitel ihrer Saga", meinte der englische Automobilhistoriker Ditlev Anders Clausager in einem Rückblick auf die Erfolgsjahre der legendären englischen Firma von Walter Owen Bentley. Der Ex-Chef macht die unzuverlässigen Blower-Bentleys, die gegen seinen Willen gebaut wurden, für den Niedergang der Marke mitverantwortlich. Im Jahr darauf übernimmt Rolls-Royce die Marke.

Zweite Chance für Kompressor-Mercedes

Für die Kompressor-Mercedes gab es aber noch eine neue Chance in Le Mans: Im Folgejahr 1931 starten der im französischen Exil lebende, russische Privatfahrer Boris Iwanowski und sein französischer Teamkollege Henri Stoffel mit einem SSK beim Langstreckenrennen in der Sarthe. Im Gegensatz zu ihren Markenkollegen 1930 erreichen sie das Ziel und erkämpfen den zweiten Platz im Gesamtklassement, hinter dem ehemaligen Bentley-Kompressor-Konkurrenten Tim Birkin in einem Alfa Romeo.

Heute haben sich die ehemaligen Kompressor-Kontrahenten Bentley und Mercedes ihren festen Platz in der automobilen Hall of Fame erobert. Zwar war der Mercedes-Benz im Rennsport wesentlich erfolgreicher - aber auch der Bentley zählt zu den Evergreens.