Zwölf neue Blower in der Continuation Series
Bentley zeigt den ersten Prototyp
Im Rahmen seiner Continuation Series baut Bentley zwölf 4,5-Litre Blower von 1929 nach. Inzwischen hat der Hersteller den ersten Prototyp mit Namen Car Zero fertiggestellt. Die Besitzer der Originale sind von der Neuauflage nicht begeistert.
10.12.2020 Andreas Of-Allinger, Thomas Harloff, Marcel SommerDer Bentley 4 ½ Litre Blower gehört fest zur 100-jährigen Geschichte von Bentley, ist Teil der Bentley-Boys-Legende und eines der teuersten britischen Autos. Mit etwa vier Millionen Euro ist zu rechnen, wenn einer der gewaltigen Kompressor-Vorkriegs-Rennwagen auf den Markt kommt. Damit ist der Renner aktuell der wohl wertvollste Bentley-Klassiker überhaupt. Denn viele gibt es nicht – nur vier waren um 1930 für das Team Blower unterwegs.
Zerlegt, vermessen und geklont
Ein Exemplar des Quartetts gehört Bentley. Die Marke setzt ihn unter anderem bei der Mille Miglia ein oder lässt das Auto mit der Chassis-Nummer HB 3403 während des Goodwood Festival of Speed den Hügel hochfahren. Seit dem Frühjahr wurde HB 3403 zerlegt, jedes der 1.846 einzelne Teil digitalisiert und katalogisiert. Mittels Laser-Abtastung, Präzisions-Messung und CAD-Technik entstand in 1.200 Arbeitsstunden ein 3D-Modell des Autos, das nun in einen Prototyp transformiert wurde. Das "Auto Null" (Car Zero) ist nun nach 40.000 Arbeitsstunden fertig.
Ziel der Übung: Insgesamt zwölf Bentley Blower neu aufzubauen – der Urahn wird sozusagen geklont. Das komplette Dutzend ist bereits verkauft: Zwölf Bentley-Kunden erhalten die Gelegenheit, ein Stück Firmengeschichte zu erwerben und ein Auto zu besitzen, das sich eher zum Fahren eignet als ein wertvolles Original. Sie können sich ihre Autos übrigens nach eigenen Vorstellungen konfigurieren, zum Beispiel eine individuelle Lackierung wählen oder sich Materialien für den Innenraum aussuchen. Dadurch sollen die Replikas sofort als solche identifiziert und vom Original unterschieden werden können.
Mechanisch eine fast originalgetreue Kopie
Bis auf kleine, nicht sichtbare sowie sicherheitsrelevante Änderungen entsprechen die Blower aus der Continuation Series in puncto Mechanik vollständig dem Original. Der Blower hat einen 4,4-Liter-Vierzylindermotor mit 16-Ventil-Kopf, Aluminiumkolben, obenliegender Nockenwelle und Doppelzündung. Markant ist der vorn montierte Kompressor vom Typ Amherst Villiers Mk IV. Mit dem Roots-Gebläse kommt der Motor auf 243 PS bei 4.200/min – damals eine gewaltige Leistung.
Der Rahmen der Blower-Neuauflage, auf den die Karosserie aufgeschlagen wird, besteht aus Eschenholz. Das Fahrgestell wird dagegen aus schwerem gepressten Stahl gefertigt. Das Fahrwerk konstruiert Bentley aus einer halbelliptischen Blattfeder-Aufhängung und Kopien der Original-Dämpfer. Auch bei den 40 Zentimeter großen mechanischen Trommelbremsen sowie der Lenkung mit Schneckengetriebe greifen die Briten auf Nachbauten zurück. Die Autos baut Bentleys Individualisierungs- und Klassik-Abteilung Mulliner unter Verwendung historischer Formen und Werkzeuge. Wie beim Original befinden sich zehn Kilogramm echtes Pferdehaar in den Sitzen. Preise verrät Bentley nicht.
Kleinserie von 55 Kompressor-Bentley
Die Idee zum originalen Vorkriegs-Blower kam von Tim Birkin. Der Rennfahrer war fasziniert von der Kompressor-Technik und überredete Bentley-Chef Woolf Barnato zu einer Kleinserie von 55 Kompressor-Bentley. Davon sollten fünf bei Rennen eingesetzt werden. Das Auto aus der historischen Bentley-Flotte gehörte Birkin selbst und wurde erstmals 1930 beim Irish Grand Prix eingesetzt. Bernard Rubin wurde damit Achter, Tim Birkin im zweiten Auto wurde Dritter. Nach einem Überschlag beim Ulster TT im August desselben Jahres bekam das Auto eine Vanden-Plas-Karosserie.
Das spektakulärste Rennen waren jedoch die 24 Stunden von Le Mans, bei denen die Bentley Blower auf den Mercedes SSK trafen. Rudolf Carraciola und Christian Werner fuhren im Siebenliter-Kompressor-Mercedes gegen Birkin, Benjafiel und Chassagne in einem von zwei Blower-Rennwagen. Beide Blower fielen aus, dafür gewann Barnato im Bentley Speed Six Number One vor einem weiteren Bentley Speed Six. Carraciola fiel ebenfalls aus.
Kritik an der Blower-Neuauflage
Nun lässt Bentley den alten Blower also als Neuwagen wiederaufleben. Von dem Projekt ist jedoch nicht jeder begeistert. Einige Sammler, von denen manche ein Original besitzen (darunter Mode-Designer Ralph Lauren), schlossen sich amerikanischen Medienberichten zufolge zusammen und schrieben Bentley-Chef Adrian Hallmark einen Beschwerdebrief. Darin wird Bentley vorgeworfen, den originalen Blower zu entwerten und "diese besondere Bewunderung und Ehrfurcht zu verwässern, die nur durch das Original hervorgerufen werden kann". Bentley berichtet dagegen von einer überwiegend positiven Resonanz auf das eigene Vorhaben und treibt es folgerichtig wie geplant voran.