Austin Healey 100 und 3000 MK III
Draufgänger oder Feingeist?
Mit nur vier Zylindern und 91 PS steht der Austin-Healey 100 häufig im Schatten seines stärkeren Sechszylinder-Bruders Austin-Healey 3000. Wahre Roadster-Kenner sehen das differenzierter.
27.02.2015 Franz-Peter HudekWer sich für den Kauf eines Austin-Healey 3000 Mk III entscheidet, hat im Prinzip alles richtig gemacht. Mit den 150 PS eines geschmeidigen Reihensechszylinders ist man heute noch erstaunlich souverän unterwegs, weil der stämmige Brite nur 1.077 Kilogramm wiegt. Im vierten Gang kratzt der beliebte Klassiker bei eingelegtem Overdrive sogar an der 200-km/h-Marke.
Prototyp des maskulinen Roadsters
Viele Austin-Healey-3000-Besitzer sehen in ihrem Fahrzeug auch den Prototypen des kernigen, unverfälschten, maskulinen Roadsters. Sein Echtholz-Armaturenbrett, die kleinen Rennsessel, das große Lenkrad, die niedrige Gürtellinie, das mit 150 PS mächtig geforderte Fahrwerk und der Orkan vom Kopf bis zu den Knien ab Tempo 60 sind in ihrer britischen Urwüchsigkeit eigentlich kaum zu überbieten. Oder etwa doch? Vielleicht sogar vom älteren und schwächeren Urmodell? Finden wir es heraus.
Auf den ersten Blick unterscheiden sich unsere beiden Austin-Healey nur durch die Farbe und die Form ihrer Kühlergrills. Der silbergraue 100 von 1956 (BN2) entspricht mit seinem Fächergrill noch weitgehend dem Ur-Healey von 1952. Donald Healey bestückte seinen Sport-Roadster mit der Antriebstechnik des Austin-A90-Cabriolets, dessen langhubiger 2,7-Liter-Vierzylinder 91 PS bei nur 4.000/min produzierte. Das reicht für eine Höchstgeschwindigkeit von gut 100 Meilen (160 m/h), was auch die Modellbezeichnung "100" erklärt. Dieser bewährte Motor besitzt derart viel Drehmoment, dass der erste unsynchronisierte Gang der Austin-Schaltbox blockiert wurde. Das übrige Dreiganggetriebe erhielt einen zuschaltbaren Overdrive (ab 1955 neues Vierganggetriebe wieder mit Overdrive).
Die Geburt des Austin-Healey
Donald Healey präsentierte 1952 den neuen 100, dessen Karosserie er zusammen mit seinem Designer Gerry Coker entwarf, auf der London Motor Show. Natürlich schaute sich auch Austin-Chef Leonard Lord den neuen Healey-Roadster an, von dessen Existenz er bereits durch die Technik-Verkaufsverhandlungen wusste. Lord war von dem Wagen begeistert und nahm ihn ins offizielle Verkaufsprogramm auf. Der Austin-Healey war geboren.
Unser Austin-Healey 100 in Gunmetal Grey entspricht mit einigen Änderungen dem Ur-Healey von 1952. Er besitzt noch immer die umklappbare Windschutzscheibe, den neben dem Mitteltunnel platzierten Schalthebel, die asymmetrische Armaturentafel, das komplett versenkbare Verdeck, Türen ohne Innenverkleidungen und Griffe sowie jeweils nur eine Türöffnungsleine.
Und genau so mag Besitzer Michael Schlaich seinen Austin-Healey 100: "Der geniale Karosserie-Entwurf kommt in dieser frühen, puristischen Version am besten zur Geltung." Auch die spartanische Ausstattung wäre für einen Sportwagen aus dieser Epoche typisch, "denn man wollte ja damit Geld und Gewicht sparen", was beim Healey 100 mit seinen 980 Kilogramm überzeugend funktionierte. Doch jetzt wollen wir mal ausprobieren, was sich mit 91 PS auf der Straße anstellen lässt.
Mehr Fischkutter als Sportwagen
Ganz im Stil von Vorkriegsrennwagen sitzt man im Austin-Healey 100 ziemlich nah hinter dem Lenkrad. Der nach links versetzt eingebaute Schalthebel kommt uns links sitzenden Kontinentaleuropäern auf angenehme Weise entgegen. Per Knopfdruck startet der Motor, der sich von hinten mit kernigem Großkolben-Brabbeln meldet: mehr Fischkutter als Sportwagen. Knapp über Leerlaufdrehzahl kuppeln wir ein, und der Healey nimmt derart spontan und zügig Fahrt auf, dass man schon nach zehn Metern in den zweiten und dann in den dritten Gang schaltet. Die Lenkung arbeitet mit wenig Spiel und für diesen Auto-Jahrgang erstaunlich direkt. Schnell gewinnt der Fahrer Vertrauen in den flach bauenden Roadster mit der lang gestreckten Motorhaube.
Der Motor hängt lustvoll am Gas und arbeitet bis 4.000/min erfreulich vibrationsarm. Mehr Drehzahl benötigt der Austin-Healey 100 im Alltagsbetrieb sowieso nicht. Werden die Gänge bis etwa 4.800/min voll ausgedreht, schafft der 100 den 60-Meilen-Sprint (96 km/h) in nur 10,9 Sekunden - gerade mal eine Sekunde länger als der Jaguar XK 120 mit mächtigen 160 PS. Damals wie heute ist der Vierzylinder-Healey also bestens motorisiert.
Ab 1956 gab's 2 Notsitze im Austin-Healey 100
Trotzdem betrieb Austin eine intensive Modellpflege, die in vielen Schritten schließlich zum Austin-Healey 3000 Mk III mit 150 PS führte. So löste man 1956 den betagten Vierzylinder durch einen neuen 2,6 Liter großen Sechszylinder mit 102 PS ab. Der 100-Six (BN 4) genannte Roadster war im Prinzip eine komplette Neukonstruktion: längerer Radstand, ein größeres Cockpit mit zwei Notsitzen und längeren Türen. Trotzdem änderte sich an der äußeren Karosserieform fast nichts. Unübersehbar anders sind dagegen der neue ovale Kühlergrill, der vom legendären, heute weit über 500.000 Euro teuren Vierzylinder-Rennsport-Modell Austin-Healey 100 S stammte, und die Lufthutze auf der jetzt hinten angeschlagenen Motorhaube.
Mit der Hubraumvergrößerung auf drei Liter im Jahr 1959 änderte sich die Modellbezeichnung von Austin-Healey 100-Six zu 3000 (Zweisitzer: BN7, 2+2-Sitzer: BT7). Jetzt leistete der Austin-Healey 124 PS. Ab 1961 glänzte der 3000 Mk II mit drei Vergasern und 132 PS. Diese Version erhielt 1963 ein neues, bequemer zu bedienendes Verdeck, das nicht mehr komplett hinter den Notsitzen in der Karosserie Platz fand, sondern darüber hinausragte (BJ7). Hinzu kamen Kurbel- statt Steckfenster, weshalb die Ingenieure den Türausschnitt durch eine aufgesetzte Chromleiste verkleinern mussten.
Reichlich Holz im Cockpit des Austin-Healey 3000 Mk III
Mit dem 1964 eingeführten, 150 PS starken Austin-Healey 3000 Mk III (BJ8) renovierten die Briten nach 13 Jahren das Instrumentenbrett. Es bestand jetzt aus Holz und sah damit richtig edel aus. Ein abschließbares Handschuhfach und ein in die Mittelkonsole integrierter Radiolautsprecher vervollständigten den Wandel zum Komfort-Cabrio. Der anfangs versetzt eingebaute Schalthebel wurde bereits 1961 zentral auf den Mitteltunnel platziert.
Und jetzt betrachten wir den roten Austin-Healey 3000 Mk III von 1966 etwas genauer und erkennen: Er ist gegenüber dem 100 ein doch ziemlich anderes Automobil. Am meisten vermissen wir das wie ausgeschnitten wirkende Cockpit mit seinen herrlichen Rundungen vor der Windschutzscheibe, das integrierte Verdeck und den asymmetrischen Instrumententräger aus Blech. Dafür lässt der ovale Kühlergrill des 3000 den Wagen flacher und aggressiver erscheinen. Doch fährt sich der Sechszylinder-Healey auch so gut, wie es seine 60 Mehr-PS versprechen?
Der 3000 braucht eine stärkere Hand
Erste Überraschung: Nach exakt zehnjähriger Bauzeit ist die Sitzposition nahe dem Lenkrad exakt gleich geblieben. Ansonsten ist das Cockpit jetzt sehr konventionell gestaltet und könnte auch zu einem Jaguar oder Triumph gehören. Doch keine Frage, der Sechszylinder wirkt. Sein im Vergleich zum 100 ruhigerer Lauf animiert mehr zum Hochdrehen bis über 5.000/min. Und es geht deutlich schneller voran. Allerdings spürt man auch das um knapp 100 Kilogramm höhere Gewicht. Nicht beim Bremsen, sondern in engen Kurven, in die der Austin-Healey 3000 mit mehr Muskelkraft als der 100 gezwungen werden will.
So steht der Vierzylinder-Healey für authentisch-puristischen Roadster-Spaß, während der Austin-Healey3000 mehr die komfort- und leistungsorientierte Kundschaft anspricht. Doch eines ist sicher: Ein Healey ist immer unverkennbar ein Healey.
Kaum Unterschiede beim Preis der Austin-Healyes
Etwas überraschend ist die aktuelle Marktsituation: Die Preise für die beiden Austin-Healeys liegen auf gleichem Niveau. Der Marktbeobachter Classic-Analytics gibt für einen Austin-Healey 100 (BN2) im Zustand 2 einen Preis von 64.000 Euro an, der 3000 Mk III liegt mit 65.000 Euro nicht einmal 2% darüber. Im Zustand 4 lauten die Preisangaben 28.000 bzw. 26.000 Euro.
Einen kleinen Tipp ist der Austin-Healey 100-6 (BN4 und BN6) wert. Der Zweisitzer BN6 wurde in den Jahren 1958 und 1959 gebaut, besitzt das Cockpit von 1952, aber schon den Sechszylinder. Die Preise des insgesamt nur 4.150 mal gebauten 100-6 liegen mit 49.000 Euro (Zustand 2) und 22.000 Euro (Zustand 4) deutlich niedriger. Der 2+2-Sitzer BN4 wurde von 1956 bis 1959 gefertigt und kostet aktuell 47.000/ 20.000 Euro (Zustand 2/4).