Mercedes 6.0L AMG Hammer
Hammer-Preis für „The Hammer“
Mercedes 124er-Coupés und Limousinen mit dem 6.0 V8 von AMG sind besonders in den USA begehrt. Auf Auktionen werden enorme Preise bezahlt.
10.03.2023 Thomas Harloff, Andreas Of-AllingerHeute gehört AMG hundertprozentig zum Mercedes-Konzern und macht so verrückte Sachen, wie einen domestizierten Formel-1-Antriebsstrang in einen Straßen-Sportwagen einzubauen. Vor 35 Jahren war AMG noch eigenständig (der Kooperationsvertrag mit Mercedes wurde erst 1990 unterzeichnet), aber die Affalterbacher haben auch damals schon verrückte Sachen gemacht. Unter anderem haben sie einen Sechs-Liter-V8 in die braven 124er-Mittelklasse-Modelle eingebaut. Allerdings nur insgesamt etwa 30-mal, sodass der Mercedes-Benz 6.0L AMG Hammer so etwas wie der heilige Gral unter den AMG-Modellen dieser Ära ist.
Um die Geschichte des Hammer zu verstehen, muss man tiefer in die AMG-Geschichte eintauchen. Als Pforte zum nordamerikanischen Markt diente AMG seinerzeit eine Niederlassung in Westmont – ein kleines, nahe Chicago im US-Bundesstaat Illinois gelegenes Städtchen. Bei AMG North America, das heute eine reguläre Mercedes-Niederlassung beheimatet, wurden auf speziellen Kundenwunsch immer mal wieder extrem heiße Tuning-Boliden auf Mercedes-Basis aufgebaut. Unter anderem 13 (manche Quellen nennen sogar nur zwölf) "Hammers". Darunter schätzungsweise fünf Coupés.
Den Hubraum mal eben verdoppelt
Das Auto erblickte einst als unscheinbarer Mercedes 300 CE das Licht der Welt. Seinen Dreiliter-Reihensechser musste er jedoch schnell abgeben. AMG pflanzte dem Coupé stattdessen den 5,5-Liter-V8 der 560er-S-Klasse (Motor-Code M117) ein. Aber natürlich nicht im Serienzustand: Zum Tagesgeschäft der Firma gehörte es seinerzeit, den ursprünglich als Zweiventiler konzipierten Motor mit durchsatzfreudigen Vierventil-Doppelnockenwellen-Zylinderköpfen hochzurüsten. Zudem bohrte AMG den Hubraum auf sechs Liter auf, spendierte die allerfeinsten Innereien, verbesserte die Kühlung und stimmte die Elektronik neu ab. Als Krönung integrierten die Affalterbacher einen eigens entwickelten Sebring-Auspuff in den Abgasstrang.
Der auf diese Weise auf Vordermann gebrachte Achtzylinder trug in den USA nicht umsonst den Spitznamen "The Hammer": Er leistet im Mercedes-Benz 6.0L AMG Hammer Coupé katalysatorbefreite 385 PS (so jedenfalls die offizielle AMG-Angabe; die Anzeige nennt 390 PS). Er schickt zudem ein maximales Drehmoment von 566 Newtonmetern Richtung Hinterräder. Die Werte dienen als Erklärung, warum AMG die Viergang-Automatik aus der W126-S-Klasse in überarbeiteter Form und zudem ein Torsen-Sperrdifferenzial eingebaut sowie den hinteren Hilfsrahmen verstärkt hat.
289 km/h Höchstgeschwindigkeit
Das Hammer-Coupé federt und dämpft mit AMG-Komponenten und rollt obendrein auf Aero-1-17-Zoll-Rädern und Reifen der Größen 215/45 VR17 vorne und 235/45 VR17 hinten. Der AMG beschleunigt in 6,0 Sekunden von Null auf Hundert sowie auf maximal 289 km/h. Schneller war Ende der Achtzigerjahre auch ein Ferrari Testarossa nicht.
Typisch für AMGs der damaligen Zeit: Der in Wagenfarbe lackierte Kühlergrill. Per Frontstoßfänger mit Nebelscheinwerfern, leicht ausgestellten Radläufen, verlängerten Seitenschwellern, anderer Heckschürze und dreiteiligem Spoiler für den Kofferraumdeckel optimierte AMG seinerzeit die Aerodynamik des 124er. Die speziellen Hauptscheinwerfer mit Wischern weisen den Hammer als waschechten Ami aus, der zudem ein Stahlschiebedach aufweist. Wer wollte, konnte der gestiegenen Power mit einem Widebody-Kit Ausdruck verleihen.
Widebody-Coupé in Nautikblau
Das 1991 mutmaßlich als Showcar gebaute "Hammer"-Coupé hat einen Widebody-Kit und eine AMG-Fahrgestellnummer erhalten. Lackiert ist der Zweitürer in 929 Nautikblau. Auch die AMG-Dreiteiler tragen diese Farbe. Die Sportsitze sind mit blauem Leder bezogen, auf der Nabe steckt ein Sportlenkrad. Der Tacho, mit modisch weiß hinterlegtem Zifferblatt, reicht bis 320 km/h. Unter der Haube steckt schon der M119-V8 aus dem SL R 129 – von AMG auf sechs Liter Hubraum erweitert und mit 22.805 Meilen (36.701 km) wenig gelaufen. Der Hammer für diesen Hammer fiel bei einem Verkaufspreis von 885.000 Dollar, umgerechnet 831.900 Euro.
"Hammer"-Limousine in Anthrazitgrau
Bei derselben Auktion versteigerte Broad Arrow Anfang März in Amelia Island eine Limousine mit dem Sechsliter-M-117. Den ursprünglich von Mercedes mit Zweiventil-Zylinderkopf und fünf Liter Hubraum für die S-Klasse-Baureihe W126 entwickelten V8-Motor versah AMG mit einem selbst entwickelten Vierventil-Zylinderkopf. Der Hubraum wurde auf sechs Liter erweitert. Diesen Motor bot AMG für den W126 und den W124 an – noch bevor es bei Mercedes den 500E gab. Das Äußere der in 172 Anthrazitgrau Metallic lackierten Limousine ist betont unauffällig. Die dezent verbreiterten vorderen Radläufe fallen erst bei genauem Hinsehen auf. Unmissverständlich: Die Schriftzüge "AMG" und "6.0" auf dem Heckdeckel mit integriertem Spoiler und der Doppelrohr-Auspuff unter der Heckschürze. Drinnen gibt sich der AMG-124er seriös: graues Leder, Zebrano-Holzblenden. Das könnte auch ein wohlkonfigurierter 300E sein. Sogar die Skala des Meilentachos übt sich in Understatement: Die Skalierung wird gegen Ende immer enger und reicht bis 190. Das sind 300 km/h. Kein ganz leeres Versprechen, denn 290 km/h Höchstgeschwindigkeit wurden dem AMG 6.0 nachgesagt. Nur 13 "Hammer" wurden von AMG in den USA umgebaut. Das war dem Höchstbietenden offenbar 775.000 Dollar (728.500 Euro) wert.
Innenraum: weitgehend serienmäßig
Die Ausstattung des "Hammer" ist mit dem Attribut "üppig" ganz gut beschrieben: Instrumente, Lenkrad, Teppiche und Türverkleidungen präsentieren sich im spezifischen AMG-Look. Der originale Mercedes 300 CE brachte darüber hinaus Klimaautomatik, Tempomat und eine klappbare Armlehne für die Vordersitze mit. Letztere lassen sich genau wie die Lenksäule und der Beifahrerspiegel elektrisch verstellen. Eine Alarmanlage und ein Soundsystem mit Sony-XR-7200-Hauptgerät, neuen Türlautsprechern und im Kofferraum montiertem Subwoofer samt CD-Wechsler wurden nachgerüstet. Interessenten mit speziellem Geschmack und/oder aus kühlen Gefilden können die von Beginn an eingesetzten Schonbezüge aus grauer Schafwolle behalten. Nicht original ist der Lederbezug des Airbaglenkrads.
Nicht nur die Historie der Baureihe, auch jene des hier angebotenen Autos ist, nun ja, speziell. Wie den Papieren zu entnehmen ist, verkaufte der Händler Beverly Hills Motoring das Hammer-Coupé an einen Herrn aus Las Vegas, der es direkt auf eigener Achse in die Zockermetropole überführte. Kurz vor dem Ziel wurde er wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Blöderweise fanden die Polizisten bei der Kontrolle illegale Substanzen im Auto, weshalb die US-Anti-Drogen-Behörde D.E.A. den Mercedes-AMG beschlagnahmte. Bei einer Auktion erwarb der Profi-Baseball-Spieler Rob Deer das Auto, bevor es über den Umweg einer gewerblichen Zulassung 2006 in die Hände des jetzigen Verkäufers gelangte.
Keine Unfälle, aber Unzulänglichkeiten
Im Laufe seiner bewegten Geschichte sammelte das Hammer-Coupé gerade einmal 19.417 Meilen (gut 31.200 Kilometer), was in erster Linie daran liegt, dass das Auto in den vergangenen 15 Jahren eingelagert war. Die Papiere weisen keine Unfälle aus, aber der Verkäufer nennt ein paar Unzulänglichkeiten, die im Laufe der Jahre eingetreten sind: So hebt sich der Spoiler leicht vom Heckdeckel und sind auf der Karosserie leichte Abnutzungsspuren zu erkennen. 2021 erhielt das Mercedes 6.0L AMG Hammer-Coupé eine gründliche Inspektion, bei der viele Verschleißteile und die gesamte Kraftstoffversorgung getauscht wurden. Dabei fiel auf, dass an der Zylinderkopfdichtung geringfügig Öl austritt und das Radio sowie die Gurtbringer nicht funktionieren.
Diese kleinen Schwächen haben potenzielle Interessenten nicht abgeschreckt. Nach 60 Geboten fiel der virtuelle Hammer schließlich bei 661.800 Dollar, aktuell umgerechnet gut 651.000 Euro. Für diese Summe wechselte das Hammer-Coupé jedoch nicht den Besitzer. Gegen Auktionsende gab es technische Probleme auf der Anbieterseite MB Markets, weshalb einige Bieterinnen und Bieter unverschuldet nicht mehr zum Zuge kamen. Nachdem sich diese beschwert hatten, wurde der Höchstpreis auf andere Weise ermittelt: MB Markets forderte die sechs Höchstbietenden auf, ihre finalen Angebote in versiegelten Umschlägen einzureichen. Nach diesem Prozedere lag das höchste Gebot, das von einem bekannten Mercedes-Sammler aus den USA abgegeben wurde, plötzlich bei 761.800 Dollar (fast 750.000 Euro). Nachdem man sich mit dem Verkäufer geeinigt hatte und auch der ursprünglich Höchstbietende freiwillig von seinem Kaufrecht zurückgetreten war, ist diese Summe nun der offizielle Kaufpreis.