Sachsen Classic 2016
Lenken und Denken
Im Golf GTI der ersten Serie auf den Spuren der 14. Sachsen Classic: über idyllische Straßen, schroffe Höhenzüge, durch blühende Bergwiesen und geschichtsschwere Städte. Den trockenen Humor liefert Sachsen gratis.
16.08.2016 Malte JürgensTreffen sich zwei Sachsen auf dem Marktplatz und schauen staunend auf ein Auto mit Rechtslenkung, das an der Heckklappe ein ovales weißes Schild mit den Buchstaben GB trägt. „Nu“, wundert sich der erste, „heeßt das wohl Griminal-Bolizei?“ „Nee“, korrigiert ihn der andere, „der kommt doch aus dem Geenichreich Bolen.“ Der sächsische Humor, man merkt es besonders im Zentrum der Vogtland-Metropole Plauen, ist so fein gesponnen wie die hier im 19. Jahrhundert erfundene Ätzspitze. Er kommt liebevoll-dämlich daher, gern mit einem kleinen Seitentritt. An der stadtältesten Brauwirtschaft, die „Matsche“ heißt, was Maische meint, hängt ein Emailleschild. Auf ihm wird säuerlich vermerkt, dass Goethe unterwegs nach Karlsbad hier in Plauen zwar wohl Station machte, aber nicht in der „Matsche“ eingekehrt ist. Dass Humor an der falschen Stelle einst auch mit der Todesstrafe enden konnte, musste der Plauener Journalist und Karikaturenzeichner Erich Ohser 1944 erfahren. Zunächst nach der Machtergreifung wegen Hitler-Karikaturen mit Berufsverbot belegt, fand der Vater eines Sohnes mit seiner Cartoon-Reihe „Vater und Sohn“ bei der „Berliner Illustrierten Zeitung“ redaktionellen Unterschlupf.
E. O. aus Plauen
Seinen Namen durfte er jedoch nicht verwenden, weshalb er seine Karikaturen und Comics mit e. o. plauen signierte. Den Mund halten mochte er trotzdem nicht. Dann folgte der Verrat. Ohser wurde vor den Volksgerichtshof gestellt und schied in Erwartung des sicheren Todesurteils durch eigene Hand aus dem Leben. Heute hat ihm Plauen ein Bronzedenkmal gewidmet. Es steht vor dem Ohser-Haus, das zum Vogtlandmuseum gehört, und zeigt − Vater und Sohn. An diesem Ort der Erinnerung liegen auch die heute noch erhältlichen Bücher mit Ohsers Zeichnungen aus. Ihre Komik ist zeitlos und wartet auf Wiederentdeckung. Die Route der 14. Sachsen Classic tangiert Plauen zwar nicht direkt, bettet die Große Kreisstadt am zweiten Tag aber in anmutige Schleifen.
Doch zurück zum Auftakt der Rallye: Der Donnerstag bleibt diesmal nicht den Prüfungen auf dem Sachsenring vorbehalten, sondern führt auf 137 Kilometern über Mülsen, Limbach-Oberfrohna, Hartmannsdorf und Gößnitz zum August Horch Museum in Zwickau. Erst am letzten Tag geht es auf den Berg-und-Tal-Kurs bei Hohenstein-Ernstthal. Die Kulisse dort bietet am 20. Juni eine besondere Dimension: Auf dem Sachsenring findet zeitgleich der 18. Verkehrssicherheitstag statt, und der sächsische Fahrlehrerverband hat die Oldtimer-Rallye bereits als besondere Publikumsattraktion angekündigt.
Überschlag in Kasachstan
Der zweite Rallye-Tag beginnt dabei nicht etwa mit einer zusätzlichen Dosis sächsischer Scherz- und Schmerzartikel, sondern mit einem weiten Blick in den Weltraum. Von Zwickau aus führt die Route zu der Erzgebirgsgemeinde Morgenröthe-Rautenkranz, die nicht nur durch ihre Wetterstation TV-bekannt ist, sondern auch durch den ersten Deutschen im Weltraum, den Kosmonauten Sigmund Jähn. Der tapfere Sachse flog im Sommer 1978 mit der Weltraummission Sojus 31 zur sowjetischen Weltraumstation Saljut 6, absolvierte 125 Erdumkreisungen und landete mit der im All bis dahin geparkten Sojus 29 wieder in der kasachischen Steppe. Da der klein gewachsene Kapsel-Kommandant den Schalter zum Lösen des Fallschirms nur mit Mühe und zu spät erreichte, überschlug sich die Landekapsel mehrfach und segelte ein Stück weit unkontrolliert über Stock und Stein. Seine dabei gestauchte Wirbelsäule erinnert den 79-jährigen, bei Berlin lebenden Jähn bis heute an sein Weltraumabenteuer.
Die Deutsche Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz erinnert dagegen mit unzähligen Raketenmodellen und Belegstücken aus der sowjetisch-deutschen Raumfahrtexpedition an den berühmtesten Sohn der Gemeinde. Täglich von 10 Uhr bis 17 Uhr geöffnet ist der Eintritt mit nur sechs Euro wohlfeil, und dafür ist sogar Jähns echter Kosmonautenanzug in Augenschein zu nehmen. Wenn er nicht wie bei unserem Besuch in der Reinigung weilt. Manchmal ist der sächsische Humor ausgesprochen feinmaschig. Vorbei an der Vogtland Arena, wo sich die Elite der Skispringer zum Weltcup trifft und auf der Michael Uhrmann mit 146,5 Metern den Rekord hält, wendet sich der Rallye-Pfad dann Tschechien und seinen in sommerlicher Blüte wogenden Wiesenblumen-Meeren zu.
Mittagspause in Kopanina
Über das ehemalige Graslitz, heute Kraslice, gelangt der Tross der Sachsen Classic dann nach Kopanina, wo im Hotel am Speicher eine zünftige Mittagsrast auf die Teilnehmer wartet. Die urwüchsige Landschaft legt Geschnetzeltes vom Mammut, vom Wisent oder vom Auerochsen nahe, doch in Wirklichkeit stammen die feinen Fleischwaren des Hauses von selbst gezüchteten Aberdeen-Angus-Rindern. Bevor die Rallye am zweiten Tag in Bad Elster zum Nachtquartier eincheckt, warten an der Strecke noch zwei Abstecher in die deutsche Bau- und Politikgeschichte. Die Granitbrüche von Oelsnitz haben mit ihren unkaputtbaren Blöcken Grundelemente der nach oben aus Ziegelsteinen weitergebauten, 78 Meter hohen Göltzschtalbrücke geliefert. Das Viadukt selbst aber steht erst am dritten Rallye-Tag auf der Liste der besuchten Sehenswürdigkeiten.
Abstecher zum Grenzmuseum Mödlareuth
Der zweite Abstecher des zweiten Tages führt nach Mödlareuth, wo ein Grenzmuseum (montags geschlossen, sonst im Sommer von 9 bis 18 Uhr geöffnet, im Winter bis 17 Uhr) die unselige Zeit der deutsch-deutschen Teilung in unangenehme Erinnerung rückt. Ein Stück Mauer, ein paar Panzersperren, ein Wachtturm. Schäferhunde mit Rückenrolle an Drahtseilen, verminte Landstriche, Schießbefehl. Dass heute eine Oldtimer-Rallye Niemandsland und Ost wie West wieder fest miteinander vernähen kann, bleibt ein modernes Wunder der Sehnsucht nach Freiheit. Und zweifelsohne eines der erstrebenswertesten dazu.
Säuerling im Glas
Der gepflegte kursächsische Aufmarsch von Kultur und Tradition, mit den dazugehörigen Hotels und Bädern sowie den Trinkhallen, in denen der unvergleichliche Sauerbrunnen des Kurbads genossen werden kann, bilden den feudal wirkenden Rahmen der zweiten Rallye-Nacht. Bad Elster gehört zu den ältesten sächsischen Kurbädern, und König Albert (1828– 1902) ist hier allgegenwärtig: Es gibt ein König Albert Theater, es gibt ein Albert-Bad und es gibt ein Hotel König Albert. In diesem frisch renovierten Viersternepalast, der einen großen Teil der Rallye-Teilnehmer beherbergen wird, genießt besonderes Interesse der sogenannte Bademantel-Gang: Er verbindet das Hotel mit einer neuen Solartherme, in der sich ein auf unelastischen Oldtimer-Sitzen verspannter Rücken trefflich wieder in Funktion bringen lässt. Bereits 1818 wurden hier die ersten warmen Mineralwasserbäder in einfachen Holzschuppen angeboten, bevor Bad Elster 1848 zum „Königlich Sächsischen Staatsbad“ erhoben wurde.
Oldtimer aus zwei Welten
Witzige Begegnungen – wir sind in Sachsen – bleiben nicht aus. Unsere heißt Philipp Krause, 29, Fahrer eines Trabant mit 600-cm3-Zweitaktmotor und jeder Menge Bekenntnis: „Den hab ich vorne um 10 und hinten um 18 Zentimeter tiefergelegt“, gibt er zu Protokoll, „solche Trabis waren damals eben die GTI der DDR.“ Bergauf mit nur 26 PS unserem 110-PS-Golf klar unterlegen, fegt Krause bergab gnadenlos vor uns her − nur 620 Kilogramm Gewicht, und der tiefe Schwerpunkt! Das Lachen, wären wir nicht in Sachsen, könnte uns glatt vergehen.