Audi Quattro bei der Rallye Monte Carlo
Im Cockpit mit Walter Röhrl
Vier Mal gewann Walter Röhrl die Rallye Monte Carlo. Ein Mal mit Audi. Doch wie war das damals? Auf Spurensuche bei der AvD Histo Monte 2017.
23.02.2020 Dirk JohaeEs ist kurz vor acht Uhr am Morgen und Walter Röhrl ist hellwach: Das Kurvengeschlängel den Mont Revard hinauf empfängt den zweifachen Rallye-Weltmeister mit Schnee und Eis – Röhrl ist ganz in seinem Element. Mit sparsamen Lenkbewegungen und gezielten Gasstößen schwingt er im Audi Quattro über die Pass-Straße oberhalb der französischen Stadt Aix-les-Bains hinauf: „Hier wurde 1984 die erste Wertungsprüfung der Rallye Monte-Carlo ausgetragen“, erinnert sich der 69-Jährige an seinen ersten Wettbewerbseinsatz im Quattro. Auf der 14,4 Kilometer langen Auftaktprüfung war Teamkollege Stig Blomqvist 38 Sekunden schneller als Röhrl, der zur neuen Saison vom Lancia-Hecktriebler 037 auf den Allrad-Audi gewechselt war.
„Der Stig hat mir hier damals ganz schön einen mitgegeben“, weiß Röhrl noch genau. Heute lässt er den Quattro bei der AvD-Histo-Monte so elegant wedeln, als wollte er die Auftaktschmach von damals endlich vergessen machen. Der Wettbewerbsdruck von damals ist purer Fahrfreude gewichen. Seinem Lebensmotto bleibt er jedoch treu: „Für mich ist nicht das Tempo entscheidend, mit dem ich etwas tue, sondern die Perfektion.“
„Für den Quattro musste ich meinen Fahrstil umstellen“
Perfekt arbeitet sein fotografisches Gedächtnis. Man hat den Eindruck, dass gerade der Film von 1984 noch einmal abläuft. Dazu gehört auch die dramatische Vorgeschichte: der unerklärliche Unfall im ersten Quattro-Einsatz im November 1983 als Vorauswagen bei der Rallye Köln-Ahrweiler, zwei Trainingsunfälle in Frankreich und das stundenlange Einüben des Quattro-Fahrens mit Linksbremsen im Bayrischen Wald nur drei Tage vor dem Start zur Monte. „Für den Quattro musste ich meinen Fahrstil umstellen“, erzählt Röhrl. „Bis dahin hatte ich so wenig wie möglich gelenkt, aber das ging mit dem Audi nicht mehr.“ Erstmals seit 1984 sitzt Röhrl bei der AvD-Histo-Monte wieder in einem frühen Quattro: „Dieses Auto hat noch kein Mitteldifferential, wie die späteren Versionen, deshalb wird die Antriebskraft jeweils zur Hälfte auf die Vorder- und Hinterachse verteilt.“
Röhrls Einsatzauto ist von Audi Tradition eigens für die 21. AvD-Histo-Monte aufgebaut worden. Dazu nutzten die Spezialisten in Ingolstadt eine originale Leichtbaukarosserie der Sportabteilung, die allerdings keine Wettbewerbsgeschichte hat und in den 80er-Jahren ohne Motor ans Deutschen Museum in München ausgeliehen wurde. Jetzt wurde es für den Einsatz bei der Winterrallye mit einem 220 PS starken Serien-Fünfzylinder und einem Seriengetriebe komplettiert. „Wir wollen auf der rund 1.800 Kilometer langen Rallye keine originale Wettbewerbstechnik verschleißen“, begründet Timo Witt von Audi Tradition den Einsatz der zivilen Antriebskomponenten.
Röhrl unterzeichnet alles
Doch auch ohne heißen Motor ist Walter Röhrl der große Star zum 25-jährigen Jubiläum dieser AvD-Histo-Monte. An vielen Zeitkontrollen bilden sich Trauben von Autogrammjägern um den Quattro. Auf der ersten Etappe in Haslach ist der Andrang so groß, dass der 1,93 Meter große Publikumsliebling kaum aus dem Auto kommt. Bis zur letzten Sekunde vor der Weiterfahrt nimmt sich Röhrl Zeit, unterschreibt Programmhefte, Fotos, Modellautos, T-Shirts, Kappen – eigentlich alles, was die Fans ihm anreichen. Sogar in Frankreich wird er von vielen Fans erwartet. Besonders viele trotzen der Kälte in Aix-les-Bains, um ihr Idol zu treffen. Die Stadt am Lac de Bourget war zu Röhrls aktiver Zeit der Sammelpunkt für die Teilnehmer der Rallye Monte-Carlo, die bis 1996 aus verschiedenen Startorten in ganz Europa nach Frankreich fuhren. Auf der Route von Aix-les-Bains nach Monte-Carlo lagen die auf Bestzeit gefahrenen Sonderprüfungen.
Um Bestzeiten geht es bei der AvD-Histo-Monte aber nicht mehr. Vielmehr fällt die Entscheidung auf 23 Gleichmäßigkeitsprüfungen und einer Speed Control. Der „Schnellfahrer“ Walter Röhrl hält das enge Korsett des Schnittfahrens nur einen Tag lang aus. Der fünfte Gesamtplatz in der Tageswertung jagt einigen Mitstreitern einen gehörigen Schrecken ein: Kämpft der Ex-Rallyeprofi am Ende um den Gesamtsieg mit? Doch ab der ersten Prüfung an Tag 2, die über die ehemalige Bergrennstrecke am Schauinsland bei Freiburg führt, befreit er sich von der Beklemmung und treibt den Quattro in Normalgeschwindigkeit statt mit einer Schnittgeschwindigkeit von höchstens 50 km/h den Berg hinauf. Das sorgt zwar für den freien Fall im Gesamtklassement, hebt aber dafür Röhrls Laune. „Auf den ehemaligen Monte-Strecken fühle ich mich 30 Jahre jünger“, sagt die lebende Rallye-Legende und schwärmt: „Das ist eine Zeitreise für mich.“
Die Königin aller Rallyes
Walter Röhrl prägte die „Monte“ in der ersten Hälfte der 80er-Jahre: Gemeinsam mit seinem Beifahrer Christian Geistdörfer gewann er die „Königin aller Rallyes“ vier Mal und jeden dieser Gesamterfolge erzielte er mit einem anderen Fabrikat und Modell: 1980 im Fiat 131 Abarth, 1982 im Opel Ascona 400, 1983 im Lancia 037 und schließlich 1984 im Audi Quattro mit langem Radstand. 1985 hätte er im 450 PS starken Sport Quattro ebenfalls gewinnen können, aber der Audi-Pilot wollte nicht vom Fehler seines größten Konkurrenten Ari Vatanen im Peugeot profitieren. Weil dessen Copilot Terry Harryman bei einer Zeitkontrolle in Gap vier Minuten zu früh stempelte, kassierte das Team eine Strafzeit von acht Minuten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der schnellste Peugeot bereits mit drei Minuten Vorsprung in Führung gelegen.
Für Vatanen stand nach diesem Malheur fest: „Walter ist der Maestro der Monte und ich kann ihn hier einfach nicht besiegen.“ Doch in einer der folgenden Wertungsprüfungen am Col St. Raphael traf Röhrl mit geschnittenen Trockenreifen eine zu aggressive Reifenwahl, weil er sich auf die Angaben seines Eisspions verließ. Doch statt einer trockenen Strecke im oberen Teil gab es jede Menge Schnee und der Röhrlsche Quattro rutschte so langsam über die Piste, dass ihn sowohl Vatanen als auch der zwei Minuten nach dem Audi gestartete Timo Salonen in einem weiteren Peugeot in der Prüfung überholen konnten. Später hieß es, dass Konzept des kurzen Quattro sei dem Peugeot mit Mittelmotor und extrem kurzen Überhängen unterlegen. Ari Vatanen gewann schließlich mit 5.17 Minuten Vorsprung. Röhrl erklärte damals im Ziel: „Ich konnte mich nicht wehren – und Zweiter ist ja auch nicht schlecht.“ Heute bekennt er, dass er die Rallye nicht durch einen Copiloten-Fehler des Gegners gewinnen wollte: „Ich war richtig glücklich über diesen verlorenen Sieg.“