40 Jahre Audi Quattro
Unterwegs mit der Sportwagen-Legende
Vor 40 Jahren präsentierte Audi auf dem Genfer Salon einen revolutionären Sportwagen mit Allradantrieb: den Quattro. Unterwegs auf den Spuren der legendären Testfahrten zwischen der Steiermark und Kärnten.
26.09.2020 Heinrich LingnerWomöglich kommt es nicht von ganz ungefähr, dass der Quattro gerade hier so gut aussieht. Manche Autos haben ja eine fast magische Verbindung zu einem Ort. Ein gulfblauer 917 sieht auf der Hunaudières anders als sonst aus, und ein Mustang Fastback wirkt in den Straßen von San Francisco präsenter als etwa bei einem Concours d’Élégance.
Gäbe es so einen magischen Ort für den Audi Quattro, wäre er hier, auf der Turracher Höhe, 1.763 Meter über dem Meer, zwischen Kärnten und der Steiermark. Der Audi sonnt sich gerade im milden Winterlicht, zwischen kunstbeschneiten Pisten und dunklem Wald erscheint der lhasagrüne Lack fast wie ein Tarnkleid.
Kein Schnee auf dem Pass
Rückblende im Kopfkino: gleicher Ort, Januar 1979. Es gibt deutlich mehr Schnee als heute. Die Audi-Entwickler haben ein paar Autos zur Passstraße gebracht, mit denen sie Konzernvorstände und ein paar ausgesuchte Journalisten herumfahren lassen. auto motor und sport-Redakteur Gert Hack etwa ist schwer beeindruckt, wie er ein Jahr später in seinem ersten Fahrbericht zum Quattro schreibt: "Selbst im Schnee verkraftete der allradgetriebene Audi die volle Leistung des Turbomotors, ohne die Richtung zu verlieren oder gar hilflos auf der Stelle zu wühlen."
Kaum weniger scheint der mächtige VW-Vertriebsvorstand Werner P. Schmidt beeindruckt zu sein, der den Prototyp bereits vorher auf der winterlichen Turracher Höhe fahren durfte. Schmidts Urteile sind konzernintern gefürchtet, so hat er bereits kurz vorher mit einem einzigen eisigen Satz das Audi-Motorradprojekt Z02 gestoppt.
Das Projekt EA 262 stoppt er dagegen nicht, obwohl er Bedenken äußert, ob die zur Motorsport-Homologation nötigen 400 Exemplare überhaupt zu verkaufen seien. EA (Entwicklungs-Auftrag) 262 heißt ab 1980 Audi Quattro, heutzutage gern Ur-Quattro genannt – zur Unterscheidung zu all den anderen Allradmodellen, die seither dazukamen.
Mit Fünfzylinder-Turbo
Das grüne Coupé wartet immer noch in der Sonne, mit den vier quadratischen Hauptscheinwerfern und dem Interieur im sogenannten Zebra-Velours, das im Prospekt "Negro" heißt, für den interessierten Laien als frühes Quattro-Modell zu erkennen. Das Interieur entspricht wie die Rohkarosse dem des normalen Coupés, aufgewertet mit Lederlenkrad, Sportsitzen und zwei zusätzlichen Kontrollleuchten in der Mittelkonsole.
Der Fünfzylinder-Turbo hat sich in der kalten Morgenluft warm gebrummelt. Dann setzt du dich hinters Lenkrad, und auf einmal ist alles wieder da: die um die Instrumenteneinheit wie kleine Mauersteine eingesetzten Schalter für Licht, Warnblinker und Bordcomputer, die Schieberegler für Lüftung und Heizung. Die Sitzposition ist etwas höher und näher am Lenkrad, als man es heute von sportlichen Autos gewohnt ist – rallyemäßig eben.
Der erste Gang ziert sich ein wenig, klack, reingeknorpelt. Dieses eigenwillige Schaltgefühl kennt jeder, der einen Teil seiner frühen Führerscheinjahre in diversen Audi der 70er- und 80er-Jahre verbracht hat. Der Quattro riecht sogar so. Der Fünfzylinder wird lauter, es geht voran, 23 Prozent Steigung auf dem Weg zur Passhöhe.
Ab 3.500 Umdrehungen pustet der Lader mit 0,85 bar durch den Ansaugtrakt, das 1.300 kg schwere Coupé stürmt die Straße hoch, zweiter Gang, dritter, in den Kurven vom Gas, dann wieder voll drauf. Immer noch beeindrucken der Grip und die Neutralität des Quattro, selbst ohne Schnee auf der Bahn. Schmelzwasser-Rinnsale, etwas Raureif am Kurvenausgang, so was ignoriert er nicht einmal. Wischt es weg, ansatzlos und gut kontrollierbar. Das ist heute noch eine tolle Show. Verglichen mit zeitgenössischen Sportwagen spielt der Audi in einer eigenen Liga. Versuchen Sie mal, mit einem Porsche 911 SC oder einem Ferrari 308 GTB im Januar einen Alpenpass hochzufahren, und Sie verstehen mich.
Der Reiz des Provisorischen
Um die sieben Sekunden benötigte der beinahe 40 Jahre alte Audi, ließe man ihn von null auf hundert spurten. Heutzutage keine große Sache, doch der Nachdruck, der Turboschub, das Lastwechsel-Pfeifen und das Auspuff-Geboller machen das erste aller Quattro-Modelle sehr einzigartig.
Die Passstraße bergab gehen wir etwas langsamer an, der Audi und ich. Zeit zu überlegen, worin sonst noch der Reiz dieses Autos liegt. Vielleicht in seinem Prototypen-Charme, denn einiges an ihm wirkt einfach, improvisiert – die dicken Backen über den Radläufen, der simple Zugschalter für die zwei Sperren.
Das weiß kaum einer besser als der ehemalige Audi-Ingenieur Roland Gumpert, der nicht nur dabei war, als der Quattro erfunden wurde, sondern auch als Sportchef die Rallyeschlachten mit Mikkola, Mouton, Röhrl und Co. dirigierte: "Die erste Stufe war ja, dass wir die Iltis-Teile zu Walter Treser, der damals Leiter der Vorentwicklung war, brachten. Der hat die Teile in einen Audi 80 eingebaut, das wurde der erste Prototyp."
Gumpert hatte davor für Audi den Militär-Geländewagen Iltis entwickelt und erprobt, der letztlich mit VW-Logo an die Bundeswehr geliefert wurde. Der Quattro von 1982 dagegen ist natürlich mehrere Entwicklungsstufen entfernt vom Prototyp mit Audi-80-Antrieb vorn und Iltis-Achse hinten, der Enthusiasmus und Pioniergeist seiner Schöpfer dennoch spürbar. Wenn der Wagen bergab rollt etwa und die Zahnräder der drei Differenziale scheinbar vernehmlich ineinandermahlen. Und wenn du die Seitenscheibe mit der Polo-Kurbel runterdrehst und dich ein Audi-Tradition-Mitarbeiter fragt, ob du noch mal fahren willst.
Na klar, was für eine Frage. Motor- und Getriebeöl sind gut durchgewärmt, die Sonne hat noch mehr Asphalt getrocknet. Quattro-Fahren macht süchtig, nicht nur hier an der magischen Turracher Höhe.