Aston Martin Lagonda Shooting Brake
Britische Kante mit großer Klappe
Aston Martin Lagonda Shooting Brake - so heißt der extravaganteste Kombi der Welt. Ein Aufsehen erregendes Unikat, das bei der Schweizer Firma Roos Engineering entstand - ein unfassbar kantiges und flaches Geschoss für Überlandflüge mit großem Gepäck. Jetzt steht das Einzelstück zum Verkauf.
Der Aston Martin Lagonda Shooting Brake ist ein ganz besonderes Auto und zudem ein Einzelstück. Eines, das jetzt einen neuen Besitzer sucht. Im Rahmen des "Aston Martin Works Sale 2016" offeriert das britische Auktionshaus Bonhams den kantigen Kombi mit der Lot-Nummer 237 am 21. Mai 2016. Der Schätzpreis für den Briten mit Schweizer Wurzeln liegt zwischen rund 250.000 und 320.000 Euro. Was die Faszination dieses 1986 gebauten Modells ausmacht, lesen Sie in den folgenden Absätzen.
Angeblich sollen bei der Präsentation des Aston Martin Lagonda anno 1976 die Journalisten über Stühle und Tische gesprungen sein. Jeder wollte damals als Erster den hinter einem Vorhang zum Vorschein kommenden futuristischen Viertürer aus der Nähe betrachten, der dem traditionsreichen Namen Lagonda zu einem neuen Glanz verhelfen sollte.
Aston Martin-Fan aus Hongkong gab den Lagonda-Kombi in Auftrag
Über 30 Jahre später sitze ich am Steuer eines Aston Martin Lagonda Shooting Brake und registriere ähnliche Äußerungen der Begeisterung. Diesmal sind es nicht über Möbel hüpfende Pressevertreter, sondern fassungslose Verkehrsteilnehmer auf einer Schweizer Autobahn. Sobald ich mich von hinten einem Auto nähere, geraten dessen Passagiere in Unruhe. Sie gestikulieren wild mit den Armen und verdrehen ihre Köpfe. Während ich überhole, zielen alle mit dem Finger auf mich. Manch einer scheint mir sogar etwas zuzurufen, wie ich aus ihren Mundbewegungen schließe. Doch vielleicht rügen sie auch nur ihren Fahrer, der vor lauter Staunen zu lenken vergisst. Wer wollte es ihm übel nehmen?
Denn was da vorbeizieht, ist kein gewöhnlicher Lagonda. Sondern das Aufsehen erregende Unikat Aston Martin Lagonda Shooting Brake - ein unfassbar kantiges und flaches Geschoss für Überlandflüge mit großem Gepäck. Der Schweizer Firma Roos Engineering in Frauenkappelen bei Bern gelang damit das Kunststück, das von William Towns stammende, spektakuläre Design der Limousine auf einen Kombi zu übertragen. Initiator dieses Fahrzeugs war ein Gentleman, der in Hongkong auf die Dienste eines Lagonda Saloon vertraute und sich für Fahrten in Europa ein mindestens ebenso eigenwilliges Gefährt wünschte. Da kam er bei Beat Roos genau an den Richtigen. Hatte doch der langjährige Aston Martin-Spezialist bereits in den 80er Jahren erste Kombi-Skizzen auf Basis des Lagonda zu Papier gebracht.
Space-Shuttle, bereit zum Abheben: 5,3 Meter lang, 1,3 Meter hoch
Das Werk selbst sah sich zwar nicht in der Lage, einen Aston Martin Lagonda Shooting Brake zu bauen, erteilte dem Projekt aber seinen Segen. Denn Optimist Roos sagte: "kein Problem". Diesen beiden Worten folgten zwei Jahre, in denen eine Limousine gesucht, komplett zerpflückt und mit modifiziertem Heck wieder neu aufgebaut wurde. Als besonders kritisch erwies sich die Realisierung der Heckklappe. Durch ihre Trapezform bestand die Gefahr, dass der untere breitere Teil der Tür mit den Seitenpfosten in Berührung kommt, wenn sie nach oben schwingt.
"Erste Berechnungen bestätigten das, doch Versuche an einem Modell gaben Anlass zu Hoffnung", erzählt Beat Roos. Sein Karosseriebauer leistete Präzisionsarbeit und verwirklichte den Entwurf samt Hecktür - auch wenn die mit nur minimalem Spiel auskommen muss. Um es für Anglophile bildlich zu sagen: Wenn die Tür des Aston Martin Lagonda Shooting Brake nach oben klappt, nähert sie sich an einer Stelle so weit dem Seitenpfosten, dass sich gerade mal eines der hauchdünnen Schokoladenplättchen mit zarter Pfefferminzfüllung dazwischenschieben lässt.
Natürlich hätte eine andere Gestaltung der Aluminium-Karosserie im Heckbereich dieses Problem entschärft. Doch die Schweizer hatten Wert darauf gelegt, die vorgegebene Dachlinie nach hinten fortzuführen und die Form der hinteren Kotflügel zu erhalten. Die Grundmaße des Saloon blieben deshalb auch unberührt, aber durch das verlängerte Dach wirken die Proportionen des fast 5,3 Meter langen und nur 1,30 Meter hohen Space Shuttle wesentlich beeindruckender.
Schalter und Knöpfe ohne Ende, Radio und Video für Fond-Passagiere
Natürlich würde zu dem Aston Martin Lagonda Shooting Brake das futuristische Touch-Panel aus den Lagonda der Serie 2 sehr gut passen. Dies bestand aus einem Tableau mit aufgemalten Symbolen, die der Fahrer mit der Fingerkuppe berühren musste, um zum Beispiel die Scheinwerfer oder die heizbare Heckscheibe zu aktivieren. Leider kam es in der Einführungsphase dieser zauberhaften Technik häufig zu Befehlsverweigerungen, mit denen mittlerweile auch solche Exemplare aufwarten, die eine längere Standzeit hinter sich haben - weil es zu Korrosion im Bereich der Leiterplatten und Kontakte kommt.
Aus diesem Grund basiert der Traum-Kombi auf einer der wenigen Versionen, die zwar noch nicht die rundlichere Form der Serie 4 besitzen, aber schon deren Instrumentierung. Wer nun befürchtet, ein ergonomisch perfektes und übersichtliches Cockpit vor sich zu haben, wird allerdings angenehm überrascht. Allein im Bereich des Lenkrads zähle ich auf die Schnelle zwölf Druck- und drei Drehschalter, während auf der breiten Mittelkonsole weitere 15 Tasten auf den Fingerdruck des Fahrers warten. Und dann sind da noch das knöpfchenreiche Radio, der Zigarrenanzünder und die Verriegelung für die Heckklappe. Überhaupt mangelt es nicht an Spielereien in diesem Wunderauto. Für die Passagiere im Fond des Aston Martin Lagonda Shooting Brake stehen ein separates Radio mit Kopfhörer und ein Videogerät zur Verfügung, falls die gerade durchfahrene Landschaft keines Blickes würdig sein sollte.
An alles gedacht - Kühlbox im Heck
Selbst der einstige Aston Martin-Chef David Brown hätte keinen Grund zur Klage. Dieser hatte ja seinerzeit den ersten Aston Martin Lagonda Shooting Brake auf Basis des DB 5 in Auftrag gegeben - weil er seinen Jagdhund standesgemäß transportieren wollte. Dieser Anforderung wird der Lagonda natürlich ebenfalls gerecht und hält sogar noch eine Kühlbox für das Trinkwasser des Vierbeiners bereit. Selbst an die Belüftung des Heckabteils wurde gedacht, denn die hinteren kleinen Fenster lassen sich elektrisch öffnen, was der Hund jedoch dem Fahrer überlassen muss. Zum Glück brauche ich mich nicht um die Bedürfnisse anderer Insassen zu kümmern, denn ich bin allein unterwegs. Mit jedem Meter wird mir der Wagen vertrauter. Bevor ich losgefahren bin, hatte ich noch misstrauisch dem geheimnisvollen Summen und Brummen gelauscht, das beim Einschalten der Zündung einsetzte. Mittlerweile weiß ich, dass zumindest ein Teil dieser Geräusche auf das Konto der per Unterdruck gesteuerten Klimaanlage geht.
Welche technischen Einrichtungen sich sonst noch zu Wort gemeldet haben, konnte ich nicht ergründen. Deshalb habe ich beschlossen, möglichst wenig Schalter zu berühren. Schließlich gab es mindestens einen Aston Martin mit einem Schleudersitz. Stattdessen lehne ich mich entspannt in das mit grauem Connolly-Leder bezogene Gestühl zurück und genieße das noble Ambiente des Innenraums mit den prachtvollen Wurzelholzverkleidungen. Ein leichter Druck aufs Gaspedal genügt, und ich gleite komfortabel mit 130 km/h über die Autobahn - was laut Drehzahlmesser 3.000/min entspricht.
Passender Antrieb für den 2,2-Tonnen-Lagonda: 5,3-Liter-V8 mit 309 PS
Aus dem Maschinenraum klingt nur ein verhaltenes Grollen. Deshalb bedauere ich es, dass die schweizer Verkehrsvorschriften das Spiel mit den Kräften dieser wunderbaren Antriebsquelle nur in beschränktem Maß zulassen. Der auch optisch imposante V-Achtzylinder mit vier obenliegenden Nockenwellen, der 1986 von Vergaser auf elektronische Benzineinspritzung umgestellt wurde, liefert immerhin 309 PS bei 5.000/min.
Für den 2,2-Tonnen schweren Aston Martin Lagonda Shooting Brake ist das natürlich nicht üppig. Aber da Roos die Dreigangautomatik durch eine Version mit vier Schaltstufen ersetzt hat, wirkt dieser Kombi etwas lebendiger als der Saloon. Ohne Zweifel bilden die Durchzugskraft und vor allem seine Geräuschkulisse den Hauptgenuss des 5,3-Liter-Motors - ein dunkler, aggressiver, aber feiner Sound ohne störende technische Nebengeräusche. Weil aber von diesem gelungenen Konzert beim Dahinrollen mit konstanter Drehzahl kaum etwas zu hören ist, wechsle ich auf die Landstraße. Schließlich versprechen auch das für ein Fahrzeug dieses Formats erstaunlich kleine Lederlenkrad und die direkte Auslegung der Zahnstangenlenkung eine gewisse Sportlichkeit.
Tatsächlich lässt sich der mit vorderer Einzelradaufhängung und hinterer De-Dion-Achse ausgestattete Riese flott durch die Kehren wuchten. Doch es bleibt nicht verborgen, dass der Aston Martin Lagonda Shooting Brake sich auf gut ausgebauten Landstraßen mit lang gezogenen Kurven oder der Autobahn wohler fühlt. Ein faszinierendes Erlebnis ist es aber in jedem Fall, mit diesem exklusiven Auto unterwegs zu sein. Vielleicht sollte ich doch schnell damit über die Grenze verschwinden.