AMC Gremlin (1970-1978)
Schräger Kompakter mit V8 und 220 PS
Eigentlich sollte der kompakte AMC Gremlin dem VW Käfer Konkurrenz machen. Mit V8-Motor und etwas Tuning wird der kompakte Kobold jedoch zu einem echten Muscle-Car.
02.04.2020 Franz-Peter HudekSo hochprozentig und ungefiltert wie in einem scharf gemachten AMC Gremlin lässt sich sonst kein US-V8 erleben. Wenn fünf Liter Hubraum und gut 220 PS mittels eines Fünfgang-Schaltgetriebes den 1.442 Kilogramm leichten Kompaktwagen über den Asphalt katapultieren, dann bleibt das Radio aus, das Handy in der Hosentasche und dem Beifahrer verschlägt es die Sprache. Er hat Angst.
Ganz schön laut hier drin
Es beginnt mit dem Starten des Motors. Die Zusatzinstrumente, ein großer Drehzahlmesser und der Lastwagen-Schaltknüppel lassen es erahnen: Die zweiflutige Auspuffanlage durchsetzt bereits im Standgas das gesamte Blechgehäuse mit einem regelmäßigen heiseren Tiefbassblubbern. Der kleine Gremlin-Zweitürer nickt dazu im Takt, Fahrer und Beifahrer unterhalten sich mit erhobener Stimme: "Ganz schön laut hier drin."
Das Kupplungspedal benötigt etwas Kraft, dafür lässt sich das aus einem jüngeren Ford Mustang stammende Schaltgetriebe exakt und fast widerstandslos schalten. Ist der mechanische Kraftfluss komplett geschlossen, kann der potente V8-Motor ganz ohne Wandler-Samthandschuhe wie ein Ultimate Fighter über das kleine Automobil herfallen. Breite 295er-Reifen an den Hinterrädern verhindern nur mit größter Mühe, dass beim beherzten Losfahren der lediglich 4,2 Meter kurze Gremlin zu einem Brummkreisel wird.
Der V8 klingt rotzig
Nach zwei Sekunden steht die Drehzahlmesser-Nadel bereits bei 5.500/min. Der V8 vor unseren Fußspitzen klingt jetzt roh, rau und rotzig, lässt Lenkrad und Schaltknauf vibrieren und winselt nach dem fast schon überfälligen Gangwechsel. Geht klar, aber lenken müssen wir ja schließlich auch. Dass der Gremlin ständig mit präzise gesetzten, feinfühligen Lenkbewegungen auf Kurs gehalten werden muss, hat viele Gründe: der bärenstarke Motor, Wheelspin an der Hinterachse, ein ultrakurzer Radstand, die schwammig arbeitende Servolenkung und der Überlebenswille von Fahrer und Beifahrer. Man bändigt den Gremlin am besten wie beim Bullenreiten: geschmeidig und doch mit harten Bandagen.
Landstraßenkurven nehmen wir dagegen mit viel Demut unter die Räder, rollen unauffällig durch und freuen uns schon wieder auf die nächste Gerade, gerne auch bergauf. Jetzt brüllt und vibriert der ungestüme, hart arbeitende V8 des Gremlin wieder los – unterbrochen von der Stille der Schaltpausen, in denen der Motor kurz Atem holt, bevor das Inferno wieder losbricht.
Der Gremlin ist ein unterhaltsamer Stadtwagen
Das eigentliche Revier des Gremlin ist die City. Hierfür reichen auch die Bremsen, die im Gegensatz zum Motor beim Fahrer deutlich weniger Enthusiasmus auslösen. Besonders unser getunter Mister X würde auf den großen Boulevards zwischen den paradierenden Lamborghini, Porsche und AMG-Mercedes eine gute Figur abgeben. Er hat vielleicht nicht viel Qualm unter der Motorhaube, aber dafür an der Hinterachse: Ein gepflegter Wheelspin geht immer. Das Fünfgang-Schaltgetriebe, eine schärfere Nockenwelle, Fächerkrümmer mit Doppelauspuff sowie ein Holley-Vierfachvergaser machen es möglich. Mit diesen Modifikationen stieg die Motorleistung des 304-cui-V8-Motors von serienmäßigen 150 auf rund 220 PS.
Schon ein ganz normaler Gremlin, den man von 1972 bis 1976 tatsächlich auch mit V8-Motor bestellen konnte, ist ein eindrucksvolles Automobil. Er sieht nämlich etwas seltsam aus. Als sei eine kompakte Stufenhecklimousine hinter der B-Säule mit dem Hackmesser in einen Kompaktwagen verwandelt worden. Und so ähnlich war es auch. Der Gremlin ist nichts anderes als die extreme Kurzfassung des AMC Hornet. Bis einschließlich der B-Säule ist der Gremlin mit dem deutlich größeren Modell identisch.
Zusammen mit einem um 30 Zentimeter verkürzten Radstand entstand eine markante, wenngleich nicht besonders harmonisch wirkende Karosserie: Die überlange Motorhaube und das abrupt endende Schrägheck, das in einer Linie bis zum Auspuff hinabreicht, passen nicht so recht zusammen. Böse Zungen behaupten daher, dass AMC-Designchef Richard A. Teague und sein Mitarbeiter Bob Nixon die Urform des Gremlin während eines gemeinsamen Flugs auf einer Spucktüte skizziert hätten.
Basismodell mit 3,8 Liter Hubraum
Doch mit diesem Konzept hatte die American Motors Corporation drei Trümpfe auf der Hand: Der Gremlin besaß die identische kostensparende Technik wie der große Hornet, er konnte damit schnell auf den Markt kommen und sogar in der Basisversion mit einem 3,8 Liter großen Sechszylindermotor und 135 SAE-PS protzen. Zudem sah er originell aus. Zwischen 1970 und 1978 produzierte AMC beachtliche 671.475 Gremlin, womit Amerikas vierter Automobilkonzern die nächsten Jahre überleben konnte. Der Gremlin – Gremlins sind kleine, durchgeknallte Kobolde – schaffte es zum König der Subcompacts.
Bis zu dessen Erscheinen im Jahr 1970 gab es in den USA bereits die Gattung der Compact-Cars, deren Größe etwa der einer Mercedes-Heckflosse entsprach: Chevrolet Corvair, Ford Falcon oder Plymouth Valiant. Doch dann konnte ab Mitte der 60er-Jahre der VW Beetle in den USA große Verkaufserfolge erzielen, später folgten japanische Kleinwagen wie der Toyota Corolla und Honda Civic. Diese in den Staaten neue Fahrzeugklasse nannte man Subcompacts. Und gegen die kleinen beliebten Importautos mussten Chrysler, Ford, General Motors und AMC unbedingt etwas unternehmen: Man baute ebenfalls derartige Kleinwagen.
Doch AMC war am schnellsten. Ein Jahr vor den Konkurrenten stand bereits der Gremlin bei den AMC-Händlern. Chevrolet Vega und Ford Pinto sahen zudem aus wie verkleinerte Ausgaben von Ford Mustang oder Chevrolet Camaro, hatten aber nur hubraumschwache Vierzylindermotoren unter der Motorhaube.
Premiere 1970 in Genf
Die erste öffentliche Gremlin-Präsentation erfolgte im März 1970 am Genfer Automobilsalon, was den internationalen Anspruch des "ersten garantiert echten US-Minicars" ("Automobil Revue") unterstreichen sollte. Außer in Australien, Mexiko und Kanada hat AMC den Gremlin jedoch nirgendwo sonst auf der Welt offiziell vertrieben.
Vor allem die Amerikaner mochten ihn. Die Vorteile gegenüber dem VW Käfer konnten überzeugen: Er war breiter, schneller, komfortabler und trotzdem nicht viel teurer als der heulende und hart gefederte Kleinwagen aus Deutschland. Der knapp 1,8 Meter breite Gremlin bot auf den Vordersitzen so viel Platz wie ein Compact-Car, und die elastischen Reihensechszylinder oder V8-Motoren ließen sich hervorragend mit einer Dreigangautomatik kombinieren. Wer sich also für einen Gremlin entschied, der musste auf das typisch amerikanische Komfortfahrgefühl nicht verzichten und erhielt sogar einen kleinen Sportwagen. Der 3,8-Liter-Sechszylinder erledigte den 100-km/h-Sprint in 14 Sekunden, der handgeschaltete V8 benötigt dafür fünf Sekunden weniger und konnte beim Ampelstart bis etwa 30 Meilen mit Mustang und Konsorten locker mithalten.
401-XR mit 255-PS-V8
Für noch ambitioniertere Gremlin-Fahrer schuf der AMC-Händler Randall in Mesa/Arizona den 401-XR. Randall ersetzte den Fünfliter-V8 durch eine 6,6-Liter-Maschine mit 255 PS. Dazu ein Viergang-Schaltgetriebe – und fertig war der Monster-Gremlin, der auch Muscle-Cars wie Pontiac GTO und Dodge Charger R/T locker abhängen konnte. Durch einen Gewichtsvorteil von rund 200 Kilogramm hatte der Subcompact bei Ampelrennen seine lange Nase vorn.