Auto-Legende Alfa 105 (1962 bis 1977)
Warum Giulia und Sprint GT echte Sportwagen sind
Giulia Limousine und Bertone Coupé haben die Gene echter Sportwagen. Das macht sie zu besonders begehrenswerten Klassikern. Bezahlbar sind sie auch.
26.10.2019 Dirk JohaeWas macht die Giulia so besonders?
Mit der im Sommer 1962 vorgestellten Stufenheck-Limousine Giulia TI gelang Alfa Romeo eine Pionierleistung: Der Viertürer ist die erste Sportlimousine der Welt. Die Giulia entstand nicht als sportlicher Ableger einer braven Grundversion mit recht wenig Leistung, sondern war ohne Umwege als leistungsstarkes Auto angelegt. Mit ihren Fahrleistungen konnte die 92 PS starke Giulia Anfang der 60er-Jahre gegen einen Porsche 356 Super 90 bestehen. Im ersten Test von auto motor und sport Anfang 1963 bescheinigte ihr der Testredakteur Reinhard Seiffert „die Eigenschaften eines echten Sportwagens.“
Zwar konnte er die ersten Giulia-Erfahrungen nur bei winterlichen Straßenverhältnissen sammeln. Doch seine Begeisterung ist ungewöhnlich deutlich zu spüren: „Ab und zu tauchen in der Reihe der Testwagen Fahrzeuge auf, die ungewöhnlich und faszinierend sind.“ Seiffert schwärmte von Giulia: „Man kann mit diesem Wagen schneller beschleunigen als mit einem Porsche Super, man kann ihn leichter und sicherer lenken als die meisten Sportwagen und man kann ihn andererseits, um das Maß des Erstaunlichen voll zu machen, im IV.Gang anfahren, wenn es sein muss.“
Der Vierzylinder-Reihenmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen und Mehrfachvergaser (beim ersten TI: Doppelfallstromvergaser) wie setzte wie schon beim Vorgänger weiter Maßstäbe. Ein Fünfganggetriebe und vier Scheibenbremsen folgten ab Herbst 1963: Zutaten, die in dieser Kombination bis dahin nur in Sportwagen angeboten wurden. Gebaut wurde die Giulia im neuen Alfa-Werk in Arese, damals das modernste Automobilwerk der Welt.
Was zeichnet die Giulia-Motoren aus?
Die Alfa-Vierzylinder, welche zum Beispiel in der Giulia zum Einsatz kamen, entsprechen von ihrer Anlage eher Rennmotoren: halbkugelförmige Brennräume, zentral angeordnete Zündkerzen, hängende Ventile im Winkel von 80 Grad, deren Betätigung über zwei obenliegende Nockenwellen und Tassenstößel sowie hydraulische Spanner für die Antriebskette. Ab 1954 ging der Motor in Serie, zunächst in der Baureihe 750 (Giulietta). Für die Konstruktion war Ingenieur Orazio Satta Puliga verantwortlich, der seit 1946 die Entwicklungs- und Versuchsabteilung von Alfa leitete. Doch trotz der hochwertigen Basis sollte der Serienvierzylinder wirtschaftlich in der Herstellung und Wartung sein.
Puliga und seinen Techniker gelang der Spagat. Dazu war der Doppelnocker ein echter Dauerläufer und wurde stetig weiterentwickelt bis in die 90er-Jahre gebaut. Er erwies sich darüberhinaus als ausgezeichnete Basis für Rennmotoren, zum Beispiel in den erfolgreichen Renntourenwagen TI Super, dem GTA oder dem GTAm.
Welche Modelle gehörten neben der Giulia noch zur Baureihe 105?
Orazio Satta Puliga war auch für die ungewöhnliche Karosserie verantwortlich. Nun war eine viertürige Limousine nicht wirklich der Traum von sportlichen Fahrern. Im September 1963 stellte Alfa das Coupé Sprint GT mit nahezu gleicher Technik vor. Im Vergleich zur Limousine hat das Coupé allerdings einen kürzeren Radstand. Die schlicht-elegante Karosserie stammt von Bertone, wo der junge Designer Giorgetto Giugiaro die Linie für den Zweitürer entwickelt. Die klaren Linien unterscheiden sich wohltuend von der skurrilen Formensprache der Limousine. Seine eckige Frontpartie beschert dem Sprint GT den Beinamen „Kantenhauber“.
Vom Sprint GT leitete Alfa auch den bekanntesten Spross der 105er-Modellfamilie ab: den GTA. Der letzte Buchstabe steht für „Allegerita“ erleichtert. Der GTA war für den Einsatz im Motorsport entwickelt worden und sollte die Tourenwagen-Europameisterschaft aufmischen. Der Clou: Die Karosserie besteht komplett aus Leichtmetall. Bei einer kleinen Zahl weiterer Autos bestand auch die Bodengruppe aus Leichtmetall statt Stahl. Dadurch und mit weiteren Abspeckmaßnahmen wie zum Beispiel Ventildeckel und Ölwanne aus Magnesium oder dem Verzicht auf Dämmmaterial war der GTA mit 745 Kilogramm über 200 Kilogramm leichter – eine Gewichtsersparnis von 20 Prozent. Ab 1966 dominierten die Alfa-Fahrer mit dem leichten Coupé die Europameisterschaft. Auch von der Giulia gab es eine Leichtbauversion, die TI Super. Sie wog 910 statt 1000 Kilogramm und wurde im Frühjahr 1963 vorgestellt.
Alle Exemplare der Giulia Berlina wie auch des Sprint GT wurden zunächst mit dem 1,6 Liter großen Reihenvierzylinder angeboten. Bei der Limousine gab es ab Mai 1964 die günstigere 1,3-Liter-Variante, beim Coupé erst ab September 1966. Beide waren vor allem für den italienischen Markt gedacht. Als Viertürer bleibt die Giulia lange im Programm. Von 1962 bis 1974 gibt es lediglich Modellpflegen. Erst im Juni 1974 erscheint die Giulia Nuova Super mit geglätteter Karosserieform. Das Coupé wird dagegen mit der Technik des Alfa 1750/2000 Berlina weiterentwickelt. Im Juni 1971 bringen die Marke den 2000 GT Veloce auf den Markt, mit dem 130 PS starken Motor das Topmodell der Baureihe. Die Produktion endete 1977, rollen auch die letzten Giulias vom Band. Insgesamt 16 Jahre prägte die Baureihe das Bild von Alfa Romeo.
Zur 105er-Familie gehörte ab 1966 auch der zunächst Duetto getaufte Spider, heute einer der beliebtesten Klassiker weltweit und eine eigene Geschichte wert.
Was war der Giulia-Bestseller?
Mit einem Hauch von Luxus rundete die Giulia Super (105.26) die Baureihe nach oben ab. Im März 1965 kam das Spitzenmodell heraus: Dank der Weber-Doppelhorizontalvergaser stieg die Leistung des Vierzylinders auf 98 PS. Davon verkaufte Alfa 273.296 Exemplare bis 1978. „Erst als Giulia Super machte die Giulia in Deutschland Furore“, schrieb Dirk-Michael Conradt in seinem Standardwerk über die große Modellfamilie Giulietta und Giulia 1990.
Was prägte im Giulia-Premierenjahr den deutschen Automarkt?
1962 stand Auto-Deutschland ganz im Bann der neuen Käfer-Konkurrenten. Zunächst kam der Opel Kadett, für dessen Produktion sogar ein neues Werk baute. Dann präsentierte Ford Köln ebenfalls eine kleine Stufenhecklimousine: mit dem Namen Taunus 12M. Um die Käfer-Konkurrenten erschwinglich zu halten, war die Technik bodenständig und günstig.
Mit ein wenig Wehmut schaute der Testredakteur von auto motor und sport Anfang der 60er-Jahre auf die Giulia-Heimat Italien: „Beneidenswertes Land, indem es Autokäufer gibt, die technische Ansprüche stellen.“