Aaglander Elektrokutsche

Prinzip der Zukunft

Was aussieht wie ein Fahrzeug von gestern, ist in Wirklichkeit ein hochmoderner Versuchsträger für das Fahren von morgen – mit 1.000 Newtonmetern.

Aaglander Elektrokutsche, Malte Jürgens, Impression Foto: Dino Eisele 19 Bilder

Wer uns regelmäßig auf www.auto-motor-und-sport.de besucht, könnte meinen, eine Wiederholung zu entdecken. Einen Artikel zur Aaglander Elektrokutsche hatte es schließlich schon einmal bei uns gegeben. Doch was Firmenchef Richard Gebert im Verein mit dem Allgäuer Prototypen-Erbauer Richard Schalber und dem Elektronik-Wizard Peter Schmeller inzwischen aus den ersten Anfängen heraus entwickelt hat, ist ein Elektroantrieb, der sich im Handumdrehen auf moderne Autos übertragen lässt: vom City-E-Mobil bis zum Allrad-Transporter für die Dritte Welt.

Aaglander Elektrokutsche bis 20 km/h zugelassen

Dass sich die supermodernen Elemente wie die bis zu 600 Volt Spannung produzierende Batterie, die Steuerelektronik und die beiden 10-kW-Servomotoren an ihren Längslenkern noch im Chassis einer pferdelosen Kutsche verbergen, ist Teil der Strategie. Gebert: "Für ein eigenes Auto fehlen uns noch Kapazitäten. Und eine Fremdmarke mit unserer Technik drin würde irritieren."

Die Probefahrt mit der Aaglander Elektrokutsche verschlägt jedenfalls den Atem. Nahezu lautlos und wie von 24 ausgeruhten Araberhengsten gezogen, zischt die Kutsche los.

Zum Glück gebietet die in einem Laptop untergebrachte Steuerelektronik einen Lidschlag später Einhalt. Für 20 km/h ist die Aaglander Elektrokutsche zugelassen, aber auf privatem Gelände demonstriert Schmeller auch mal gerne, was denn tatsächlich so geht. Ein Mehrfaches des erlaubten Tempos ist locker drin, und wie die mehr als eine Tonne schwere Kutsche dank 1.000 Nm Drehmoment beschleunigt, verlangt Respekt.

Zweiter Versuch. Wir wollen vom Ufer eines Baches aus den höher gelegenen Fahrweg erreichen, als sich ein Flusskiesel wie ein Keil vor ein Vorderrad schiebt. Das Fahrpedal voll getreten, schieben die beiden durchdrehenden Hinterräder die Aaglander Elektrokutsche über alle Widerstände mühelos die Böschung hinauf. Die Spaziergänger, die Zeuge des Manövers werden, reiben sich die Augen. So ähnlich dürften die Leute geschaut haben, als Papa Benz zum ersten Mal mit seinem Dreirad-Auto fuhr.

Auch mit einem Akkublock stark und ausdauernd

Kontrolle des ungekühlten Batteriekastens: Haben der harte Einsatz und die damit verbundene kräftige Stromentnahme die Alubox aufgeheizt? Fehlanzeige. Der Kasten ist kalt wie eine Marmorplatte im Winter.

Dauerprüfung: Mit kleinen Unterbrechungen sind wir fast drei Stunden im Aaglander unterwegs. Den Jochpass nehmen wir zwar nur mit Tempo 15, aber dafür stetig. Beim Bergabfahren wandelt der Elektroantrieb die Roll- und Bremsenergie in Strom zurück; die Aaglander Elektrokutsche rekuperiert mit hohem Wirkungsgrad.

Wieder in der Prototypen-Garage, wird die Restreichweite gecheckt: 40 Kilometer wären noch drin, also etwa zwei Stunden Fahrzeit auf ebenem Grund. Die Batteriebox ist auch in der Ladephase kühl geblieben, und Schmeller kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: "Wir sind die ganze Zeit nur mit einem von den beiden verbauten Akkublocks gefahren. Eines der 384 Lithium-Ionen-Elemente ist ausgefallen, und den Block haben wir sicherheitshalber abgeschaltet."

Schmellers Geheimnis

Rückblende. Die erste Elektrokutsche hat die Gebert-Crew noch aus Teilen eines Linde-Gabelstaplers aufgebaut. Doch die Technik erwies sich als ungeeignet. Gebert beschloss, die Fertigung selbst in die Hand zu nehmen. Sein Team entwickelte eigene Elektromotoren zwischen 5 und 60 kW Ausgangsleistung, die ein integriertes zweistufiges Planetengetriebe enthalten. Die Motoren werden von je einem Kasten-Längslenker als Triebsatzschwinge getragen. Zwei zusätzliche Motoren an der Vorderachse, und die Aaglander Elektrokutsche hätte Allradantrieb. Das System umfasst auch Hilfen wie ABS, ASR, ESP und Torque Vectoring.

Das Geheimnis, weshalb sich die Akku-Elemente beim Be- und Entladen nicht fühlbar erwärmen, liegt im Ausgleich selbst sehr geringer Stromdifferenzen. Das bedeutet eine perfekte elektrische Balance.

Aaglander Elektrokutsche nur der Anfang

Erste Ableitung der von Aaglander, Schalber und Co. entwickelten Antriebstechnik ist ein Alu-Fahrschemel, der von unten mit einer beliebigen Karosserie verschraubt werden kann. Dabei gehören die beiden elektrischen Antriebsmotoren dann zu den gefederten Massen. Dieses Fahrmodul mit Namen Connected Dual Servo-Drive hat Gebert zusammen mit der Schweizer Firma Inmares, spezialisiert auf die Kooperation mit innovativen Start-up-Unternehmen, auf dem Genfer Salon bereits gezeigt.

Das Modul könnte beispielsweise größeren Wohnmobilen als hinterer Hilfsantrieb dienen und den auf feuchten Campingwiesen rasch überforderten Frontantrieb unterstützen. Bei 32 kW Ausgangsleistung produziert jeder Motor 886 Nm Anfahr-Drehmoment. Elektrische Touristenkutschen etwa für New York, Wien oder Berlin wird Aaglander demnächst zum Leasen anbieten: acht Stunden Laufzeit, 200 Kilometer Fahrstrecke.

Für das elektrische Autofahren mit Reichweiten von etwa 1.000 Kilometern setzt Gebert dagegen auf Brennstoffzellentechnik. Da es die Zelle, die ihm vorschwebt, nicht zu kaufen gibt, wird er sie eben selber bauen. Schmeller trägt bereits ein leichtes geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen.