Jaguar MK IX, 420 G und XJ6 Fahrbericht
Nobel wie ein Rolls, sportlich wie ein E-Type
Pomp & Power: Jaguar kultivierte über Jahrzehnte die Limousine mit der Kraft eines Sportwagens. Wir fuhren 3 Generationen aus den 50er-, 60er- und 80-Jahren, die vom Sechszylinder-Motor des XK angetrieben und erstaunlich günstig angeboten werden.
03.12.2015 Franz-Peter HudekVergiss Rolls-Royce!
Während die XJ6-Baureihe als der Inbegriff des großen, luxuriösen Jaguar gilt, stehen die beiden Vorgänger Mk IX und 420 G immer etwas abseits. Völlig zu Unrecht, wie dieser Fahrbericht der drei Generationen beweist. Denn: Vergiss Rolls-Royce! Wer einmal im Fond eines Jaguar Mk IX Platz genommen hat, kommt zu der schlichten Einsicht: Besser geht's nicht. Wohin das Auge auch blickt, entdeckt man Holz in verschiedenen Ausführungen, rotes Leder, verchromte Fenstereinfassungen, verchromte Handgriffe sowie verchromte Bedienhebel aus Metall. Schöner kann man nicht wohnen – und kann dabei sogar fahren.
Im Jaguar Mk IX kann man in 80 Tagen um die Welt reisen
3 Details des bestens verarbeiteten Innenraums der großen Jaguar-Limousine aus dem Jahr 1960 seien besonders hervorgehoben: So besitzt die komplett aus Holz wie eine Trennwand gearbeitete Rückseite der Vordersitze als Intarsien eingelegte helle Zierleisten, die auch die beiden Klapptischchen und den Deckel des zentralen Staufachs umrahmen.
Die Ausstellfenster der hinteren Türen lassen sich durch eine leichtgängige, komplex aufgebaute Schiebe- Hebel-Mechanik bedienen. Und in den beiden Vordertüren des Jaguar Mk IX befinden sich Aufbewahrungskästen für das sehr gut sortierte Bordwerkzeug - so kann man in 80 Tagen um die Welt reisen.
Das Mitfahren im Fond dieses wie ein vornehmer britischer Club ausgestatteten Jaguar Mk IX wird fast zu einem völlig irrealen Erlebnis, als ob mehrere Flatscreen-Bildschirme die draußen vorbeiziehende Landschaft darstellten. Denn so wertig und stilvoll kann eigentlich kein Automobil eingerichtet sein. Ist es aber doch - und dabei nur ein "profaner" Jaguar Mk IX.
Alte Schale, moderner Kern
Im herrlich konservativ und trotzdem dynamisch gezeichneten Jaguar vermissen wir eigentlich nur einige Zentimeter Fondfußraum und Innenraumhöhe, die ein zeitgleich gebauter Rolls-Royce Silver Cloud hätte aufbieten können. Der kostete damals auch das Doppelte wie unser grandioser Jaguar Mk IX, nämlich 57.230 anstelle von 22.150 Mark.
Der Jaguar Mk IX bietet zudem nicht weniger als vier hydraulisch betätigte Scheibenbremsen mit Hillholder-Funktion und einen modernen DOHC-Reihensechszylinder, der 223 SAE-PS leistet und den Briten das beachtliche Höchsttempo von 185 km/h erreichen lässt. Das markierte damals in Europa einen Bestwert.
Kurz gesagt: Der 1959 eingeführte und bis 1961 produzierte Jaguar Mk IX und seine beiden optisch fast identischen, aber etwas schwächer motorisierten Vorgänger Mk VII (ab 1950) und Mk VIII (ab 1956) zählten damals unter wirklichen Automobilkennern zu den begehrtesten, weil bezahlbaren Luxusautos.
Jaguar Mk IX in vielen Ländern als Staatslimousine eingesetzt
In den 50er-Jahren übernahmen deshalb die großen Jaguar-Saloons noch vor Cadillac oder Rolls-Royce auch staatstragende Aufgaben. Sie chauffierten etwa Charles de Gaulle bei seinem Besuch durch Kanada oder die Queen Mum jahrelang durch London. Die nigerianische Regierung kaufte sogar eine Flotte von 40 in den Nationalfarben Grün-Weiß lackierten Dienstwagen für Minister und höhere Beamte. Trotzdem musste dringend ein in moderner Ponton-Form gestylter Nachfolger her, der logischerweise Jaguar Mk X heißen sollte.
Der neue große Jaguar wurde am 10. Oktober 1961 vorgestellt und übernahm von seinem Vorgänger nur den 3,8-Liter-Reihensechszylinder. Diese epochale Jaguar-Maschine feierte bereits 1948 mit dem Roadster Jaguar XK 120 ihre Premiere und blieb bis 1992 im Einsatz. Zuletzt in der konservativ von vielen Königshäusern genutzten, 5,7 Meter langen Repräsentations-Limousine Daimler DS 420.
Jaguar 420 ist ein Mix aus MkX und Mk II
Dass der Mk X nur ein halbes Jahr nach dem superschnellen Jaguar E-Type vorgestellt wurde, war kein Zufall, besaß er doch die gleiche Hinterachse mit Einzelradaufhängung sowie den gleichen Motor mit identischer Leistung: 259 SAE-PS. Ab Oktober 1964 gab es den Mk X bei gleicher Leistung mit 4,2 anstatt 3,8 Litern Hubraum, und wiederum ab Oktober 1966 änderte sich dessen Bezeichnung in 420 G.
Der einzige optische Unterschied zum Mk X ist die stärker ausgeprägte Mittelstrebe im Kühlergrill. Gleichzeitig führte Jaguar das Modell 420 ein - ein Mix aus Mk X (Heck- und Frontpartie) und Mk II (Karosserie-Mittelteil und Türen).
Das "G" unseres Fotofahrzeugs von 1968 steht daher im Unterschied zum kurzen Jaguar 420 für "grand". Außerdem verhalf es dem großen Jaguar zum Nicknamen "Big Gee" ("großes G"). Und big ist er auf jeden Fall.
Wenig Abstand zum Lenkrad und sportliche Sitzhöhe
Besonders die damals bereits überfällige Ponton-Form mit dem langen, nach hinten abfallenden Heck und der schräg nach vorn stürmenden Kühlernase ließen den Mk X beziehungsweise Jaguar 420 G so dramatisch in die Länge wachsen. Die Form des Dachaufbaus ähnelt dagegen stark der beim Vorgänger, erhielt aber eine Panorama-Frontscheibe und eine deutlich vergrößerte Heckscheibe.
Wer hinter dem Lenkrad Platz nehmen möchte, der muss einen breiten Seitenschweller überwinden und sich mit eher bescheidenen Platzverhältnissen begnügen. Nicht in der Breite, aber im Abstand zum Lenkrad. Der hat sich gegenüber dem Jaguar Mk IX nur wenig vergrößert, während die Sitzposition deutlich niedriger, im direkten Vergleich fast schon sportlich ausfällt.
Ordnung auf dem Armaturenbrett
Der wichtigste Unterschied ist das im Jaguar 420 G übersichtlich gestaltete Armaturenbrett mit einer Kippschalterleiste und zwei großen sowie vier kleinen, zum Fahrer hin gruppierten Rundinstrumenten. Im Jaguar Mk IX dagegen wirken Schalter und Instrumente etwas wahllos verteilt. Außerdem sitzt das schwarze Gehäuse des kleinen Automatik-Wählhebels mit der Ganganzeige wie ein Fremdkörper auf der Lenksäule.
Während also am vierschrötigen Vierspeichen-Volant des Jaguar Mk IX noch traditionsgemäß vor allem Maschinisten und Chauffeure ihren Dienst tun sollten, spricht das übersichtlich gestaltete Cockpit des 420 G auch den Herrenfahrer und vielleicht sogar die Dame des Hauses an.
Kaum Unterschiede beim Fahren
Beim Fahren sind jedoch die Unterschiede gar nicht so groß, wie die beiden Cockpits vermuten lassen. Auch der ältere Jaguar Mk IX lässt sich dank Servolenkung und Dreigangautomatik spielerisch durch den Stadtverkehr dirigieren. Die akustische Begleitung besteht fast nur aus einem leisen Rauschen und Antriebsheulen beim Losfahren.
Vibrationen gibt es fast keine. Gewöhnungsbedürftig ist nur die supersofte, etwas indirekte Lenkung ohne jede Rückmeldung über die Fahrzustände. Das übernehmen in schnell gefahrenen Kurven die Schräglage der Karosserie und - als eindeutiges Alarmsignal - das Pfeifen der Reifen.
420 G mit leichter Anfahrschwäche
Der modernere Jaguar 420 G kann das alles einen Tick besser, benötigt aber trotz des größeren Hubraums beim Losfahren einen energischen Gasfuß. Obwohl das Gaspedal nur wenig Widerstand bietet und sich fast ohne Gegenwehr auf den Boden drücken lässt, braucht das 1,9 Tonnen schwere Fünf-Meter-Schiff eine kleine Gedenksekunde, um dann sanft, aber unerbittlich Fahrt aufzunehmen - etwa so wie in einer modernen, fast geräuschfrei arbeitenden Straßenbahn. Doch hat sich der Big Gee einmal in Bewegung gesetzt, hängt er gut am Gas, beschleunigt sogar bei höherem Tempo recht ordentlich und vermeidet dabei jede Form von Drehzahl-Hysterie: Mehr als 4.000/min sind nie erforderlich.
Dass es hinter dem Lenkrad des 420 G vergleichsweise eng zugeht, akzeptieren wir sofort, wenn wir eine der beiden Fondtüren öffnen und über eine ähnlich prachtvolle Innenraumgestaltung staunen, wie wir sie bereits im Jaguar Mk IX bewundert haben. Noch immer gibt es das rote, an seinen Ecken abgerundete Ledersofa und eine mit Leder bespannte Trennwand zum Vorderabteil, als säße man in einer Loge der Mailänder Scala. Und noch immer laden zwei Holzklapptische zum Studieren von Akten oder zum Verzehr eines kleinen Lunch-Paketes ein.
Jaguar 420 G ein Drittel teurer als Mercedes 300 SEL
Der Preis des Jaguar 420 G war in Deutschland jedoch lange nicht mehr so heiß wie beim Vorgänger Mk IX. Im Jahr 1968 stand er mit strammen 31.250 Mark in der Preisliste. Zum Vergleich: Ein ähnlich komfortabler Mercedes 300 SEL (W109) war bereits für 23.400 Mark zu haben. Trotzdem nahm Jaguar den Big Gee erst 1970 aus dem Verkaufsprogramm, wo er bereits seit 1968 durch den neu eingeführten XJ6 einen starken Konkurrenten erhalten hatte.
Die neue Jaguar XJ6-Limousine, die den kurzen 420 ersetzte, war übrigens das letzte Modell, an dessen Entwicklung Jaguar-Gründer Sir William Lyons noch persönlich beteiligt war. Dabei entschied sich der Firmenchef bei den Limousinen für eine eher sanfte, mehr evolutionäre Design-Entwicklung, während die Sportmodelle XK 120 bis 150, E-Type und XJ-S sich optisch radikal voneinander unterscheiden.
Auch unser relativ junges Jaguar XJ6-Fotomodell von 1980 aus der Serie 3 erinnert mit seinem nach vorn geneigten Vieraugen-Kühlergesicht und dem sanft abfallenden Wagenheck an den Vorgänger Mk X beziehungsweise 420 G.
Jaguar XJ6 für das 21. Jahrhundert
Wieder stehen der große Drehzahlmesser und der Tachometer zentral im Blickfeld des Fahrers, der jetzt ein daumendickes Lederlenkrad in Händen hält und trotz des noch immer relativ knapp bemessenen Fußraums eine bequeme Sitzposition findet. Willkommen im 21. Jahrhundert. So fährt man heute Auto, nur dass einem der Blick auf die Motorhaube - beim Jaguar XJ6 mit 4 Scheinwerferrundungen - in der Regel verwehrt bleibt.
Auch die jetzt präzise und mit etwas Rückmeldung arbeitende Servolenkung macht richtig Freude. Nur die massive hölzerne Pracht aus den 50er- und 60er-Jahren musste im Jaguar XJ6 einigen schwarzen Kunststoffelementen weichen.
Jaguar XK-Motor jetzt mit Einspritzung - und nur 205 PS
Vorn zischelt noch immer der langhubige Reihensechser aus dem Jaguar Mk IX, der jetzt 205 DIN-PS über eine etwas verschlafene Dreigangautomatik an die Hinterachse liefert. Durch ein kraftvoller Kick-down kommt die vergleichsweise schlanke Katze dennoch in Fahrt und sprintet schneller als ihre beiden Vorgänger vom Stand auf 100: in 9 Sekunden, Spitze 200 km/h.
Durch das gelungene und immer nur sanft revidierte Design behielt die Grundform des XJ6 bis 2009 als XJ8 mit V8-Motor ihre Gültigkeit. Wer deshalb von einer Jaguar-Limousine spricht, der meint zuallererst den XJ6 und seine direkten Nachfolger. Das ist eigentlich schade, denn die beiden sehr gut motorisierten Vorgänger besitzen ihren ganz eigenen Charme.
So viel kosten Jaguar Mk IX, 420 G und XJ6
Der älteste dieses Jaguar-Trios ist zugleich auch der mit Abstand teuerste: Gepflegte Exemplare im Zustand 2 kosten rund 41.000 Euro - dabei erscheint uns der Wagen immer noch unterbewertet angesichts des Gebotenen. Der deutliche Preisunterschied zu Zustand-4-Autos (11.000 Euro) überrascht angesichts des robusten Leiterrahmens und der dadurch recht kostengünstig zu restaurierenden Karosserie.
Viele Jaguar 420 G wurden als günstige Ersatzteillieferanten für den E-Type missbraucht. Sie wurden ihrer Technik beraubt und auf dem nächsten Schrottplatz - wenn es für die gut lief - entsorgt. Sie sind daher rar - aber immer noch nicht teuer. Die Preise liegen bei 23.000 Euro (Zustand 2) beziehungsweise 5.800 Euro (Zustand 4).
Die Serie 3-Modelle des Jaguar XJ6 sind deutlich rostresistenter als seine selteneren Vorgänger. Sie kosten im guten Zustand rund 12.500 Euro (Zustand 4: 2.800 Euro).