Chevrolet Camaro, Mercedes 450 SL, Morgan Plus 8
Diese V8-Oldtimer-Cabrios haben es in sich
Drei Cabrios mit Motoren von 157 bis 304 PS: Chevrolet Camaro, Mercedes 450 SL und Morgan Plus 8. Alle haben einen V8 unter der Haube, machen riesigen Spaß und besitzen dennoch einen völlig eigenständigen Charakter.
03.05.2018 Franz-Peter HudekSeien wir ehrlich – die oft und gerne geschilderten Vorzüge eines Cabrio- Klassikers kennen wir fast schon in- und auswendig: der blaue Himmel über uns, der laue Sommerwind in den Haaren, die Nähe zur Landschaft und zur Natur, der große Auftritt vor der Eisdiele und schließlich die beglückte Beifahrerin. Doch ein Aspekt fehlt fast immer: Speeeeeed! Erst in einem offenen Automobil – am besten in einem Roadster – lassen sich schnelle Kurven und überlegene Motor- Power mit allen Sinnen so richtig genießen: das Röhren des gierig hochdrehenden Motors, das gelegentliche Pfeifen der Reifen und vor allem das kraftvolle Beschleunigen, wenn bereits wenige Sekunden nach dem Start ein Orkan durchs Cockpit bläst. Landstraßen- Cruisen mit 80 km/h als nervendes Verkehrshindernis? Nein danke!
Dass man hierzu etwas Power unter der Haube braucht, liegt auf der Hand. Ein kompakter V8-Motor US-amerikanischer Prägung, der bereits aus dem Drehzahlkeller kraftvoll hochsprintet, wäre nicht schlecht. Und hier sind die drei Kandidaten, die so etwas draufhaben: Chevrolet Camaro SS 350 mit 304 SAE-PS, Mercedes 450 SL mit 217 PS und das britische Fliegengewicht Morgan Plus 8 mit 157 PS. Drei Cabrios, die vom Charakter und Anspruch extrem verschieden sind und doch einen wichtigen gemeinsamen Spaßfaktor besitzen: einen V8 – und damit auch verhältnismäßig viel Hubraum.
5,7 Liter im Super Sport
Wir beginnen mit dem Chevrolet Camaro Cabrio von 1969 mit der seltenen SS-Option – „SS“ wie „Super Sport“. Dazu zählen der serienmäßige 5,7-Liter-V8 (350 Cubic Inch), ein etwas härter abgestimmtes Fahrwerk mit vorderen Scheibenbremsen und breiteren Reifen, Zusatzinstrumente auf der Mittelkonsole sowie funktionslose Lufteinlässe seitlich vor den Hinterrädern und auf der Motorhaube.
Front- und Heckspoiler unseres Fotofahrzeugs stammen ebenfalls aus dem Katalog der Werksoptionen. Die markanten, abgedeckten Frontscheinwerfer, die einige 69er Camaro vorweisen, sind jedoch Bestandteil des RS-Pakets, das mit der SS-Option kombiniert werden konnte. Schließlich gab es noch den seltenen Camaro Z28 mit hochverdichtetem Fünfliter-V8, Viergang- Schaltgetriebe und vielem mehr für die damals heiß umkämpfte Trans-Am-Rennserie. Dort traf der Camaro auf seine direkten Konkurrenten AMC Javelin, Ford Mustang sowie Pontiac Firebird – und siegte in der Saison 1969.
Tatsächlich wirkt auch unser Camaro SS im grellen Originalfarbton Hugger Orange überaus rassig und sportlich. Es ist bereits die zweite, stark überarbeitete Karosserie nach dem Camaro-Debüt im Jahr 1967 – vor exakt 50 Jahren also. Wir verdanken übrigens das glamouröse Sport-Outfit unseres 69er-Modells auch dem damaligen Chevrolet- Chef John Z. DeLorean, der genauso den großen Auftritt schätzte. Doch kann der Camaro auch halten, was seine „supersportliche“ Optik und der 304 SAE-PS starke V8 versprechen?
Als Jetpilot im Camaro
Hierzu nehmen wir auf dem weichen und wenig Halt bietenden Fahrersitz im Sport- Look Platz. Wir bemerken zunächst den dünnen Lenkradkranz und daneben den mächtigen Automatikschalter im Stil eines Düsenflugzeug-Schubhebels. Davor vier reizende, rechteckige Zusatzinstrumente, die wie aus dem Mischpult eines Tonstudios wirken. Leider drängt sich den Passagieren oberhalb des Armaturenbretts viel schwarzes Plastik als fragwürdiger Aufprallschutz entgegen, weil es ab Werk nur Beckengurte gibt. Sei’s drum, der dumpf röhrende V8 in Kombination mit der spontan und druckvoll agierenden Dreigangautomatik reißt es im wahrsten Sinne des Wortes wieder heraus: Kaum zu glauben, dass der Camaro über 1,5 Tonnen wiegen soll. Jeden noch so kleinen Tick mit dem Gaspedal setzt das 2 + 2-Cabriolet spontan und stets mit einem kleinen Nicken oder Schwanken der Karosserie in Bewegung um. Wer beim Start mit warmer Maschine das Gaspedal intensiver bedient, der sollte seine Fahrtroute gut geplant haben, um einen Abflug zu vermeiden. Der offene Camaro prescht so gewaltig und anfangs etwas unbeherrscht mit leicht durchdrehenden Hinterrädern voran, dass man davon nicht genug bekommt. Aber schon nach wenigen Sekunden übertönt der laute Fahrtwind das Hämmern des V8 und ermahnt uns dazu, den Spaß nicht zu übertreiben.
Cruisen mit dem linken Arm auf der Fahrertür erlaubt der Camaro natürlich auch. Dann tuckert der V8 so gelassen wie ein Fischkutter im Glückstädter Hafen, und die Automatik regelt fast alles im dritten Gang. Kurven durchpflügt der Camaro ganz ordentlich, besser sogar als sein Vetter mit dem deutlich schwereren 396-Cubic-Inch- V8 (6,5 Liter) auf der Vorderachse. Die Lenkung und die Hinterachse könnten jedoch im Verbund mit dem starken V8 etwas disziplinierter agieren. Dennoch ist der schrille Camaro ein ehrlicher Bursche, braucht aber einen besonnenen und selbstbewussten Fahrer, der mit so viel Rennsport-Glamour im grellen Orange souverän und ohne Scheu umgehen kann.
450 SL – der V8-Souverän
Ganz anders der Mercedes 450 SL. Die durchdachte Technik und überlegene Verarbeitung dieses deutschen Spitzenprodukts verleiht jedem R-107-Besitzer automatisch die Souveränität eines Herzchirurgen. Eigentlich ist dieser 450 SL von 1978 mit seiner wuchtig-wertigen Ausstrahlung und seinem strengen Verzicht auf irgendwelche Sport- Anbauteile das absolute Gegenteil des frivolen Camaro: Beethovens Neunte trifft hier auf das Musical „Hair“, Nana Mouskouri trifft auf Freddie Mercury. Aber ist das wirklich so?
Da gibt es zum einen den gemeinsamen V8-Motor und zum anderen das Bedürfnis nach passiver Sicherheit, das den Chevrolet mit dem Mercedes verbindet. Aber auch darin sind die Unterschiede groß. So besitzt der Daimler-V8 je eine obenliegende Nockenwelle, Zylinderköpfe aus Leichtmetall und eine mechanische Benzineinspritzung vom Typ Bosch K-Jetronic. Was der Stoßstangen- V8 des Chevy dem Daimler an Hubraum voraushat, holt der Mercedes-V8 durch höhere Drehzahlen wieder rein.
In Sachen Sicherheit zeigt der gerade mal neun Jahre ältere Camaro nur ein paar nette Ansätze, während der 450 SL wie ein Marder-Schützenpanzer auch Wände durchbrechen könnte. Das merkt man schon beim Öffnen der schweren Fahrertür und beim Einstieg in das mit echtem Holz getäfelte Cockpit, wenn man die Beine unter dem großen Pralltopf-Lenkrad durchschiebt. Die Tür schließt wie ein Banktresor, und vor der Stirn des Fahrers wacht der massive, chromgeschützte Windschutzscheiben- Rahmen, der auch einem Überschlag standhalten soll.
Deutsche Sicherheit
Der bereits 1971 eingeführte Pagoden- Nachfolger 450 SL entstand Ende der 60er- Jahre zu einem Zeitpunkt, als in den USA aus Sicherheitsgründen das Ende von Cabriolets zur Debatte stand. Als Teil der aktiven Sicherheit betrachtete man die großen Scheinwerfer und Blinker sowie die riesigen Rückleuchten mit kantigem Rillenprofil, das eine komplette Verschmutzung verhindern soll. Ob die merkwürdigen waschbrettartigen Rillen zwischen Schweller und gummibewehrter Zierleiste den gleichen Effekt haben, ist nicht überliefert.
Die massiv gebauten Sitze mit großen, perfekt einstellbaren Kopfstützen wirken ebenso vertrauenerweckend wie die Instrumentenskalen im nüchternen Heizkessel- Design. Läuft der Motor schon? Wir geben etwas Gas, vorne rauscht der V8 kurz auf, die Nadel des Drehzahlmessers hebt und senkt sich träge. Alles klar, Automatikwählhebel auf Stufe „D“ und Abfahrt. Es dauert nach dem ersten Gasgeben jedoch ein klein wenig, bis sich der ebenfalls gut 1,5 Tonnen schwere R 107 vom Fleck bewegt und dann unauffällig Fahrt aufnimmt.
Für ein heute fast 40 Jahre altes Auto fährt sich der große Mercedes-Roadster verblüffend unspektakulär. Sein hohes Alter spürt man eigentlich nur an einer gewissen, damals so gewollten Grundschwere, die wohl als Synonym für Solidität und Sicherheit galt. Moderne V8-Cabrios reagieren auf Fahrbefehle einfach flinker und auch ein bisschen präziser. Aber bitte, wo sind wir denn, der R 107 ist schließlich ein Klassiker! Dann darf er diesen unfairen Vergleich als Kompliment auffassen.
Viel Fahrspaß ab 3.500/min
Doch gibt es im 450 SL auch echten Cabrio- Fahrspaß jenseits von prunkender Solidität und gravitätischer Würde? Ja, den gibt es – er beginnt bei etwa 3.500/min. Während eines zügig gefahrenen Überholmanövers zeigt der 450 SL plötzlich seine V8-Muskeln, knurrt grimmig unter der Motorhaube, presst den überraschten Fahrer in den Chefsessel und lässt von hinten seinen Auspuff röhren. Na also, geht doch! Allerdings fehlt dem Daimler jenes spontane, leichtfüßige Ausbüxen des Chevy-Pony- Cars, dafür lässt er sich schneller und mit trockenen Händen wieder einfangen.
Beim reinen Open-Air-Gefühl gibt es zwischen Chevy und Daimler kaum Unterschiede. Mit heruntergelassenen Seitenscheiben bläst der Fahrtwind bereits ab 60 km/h kräftig in die Cockpits, ab 100 km/h darf eine Wollmütze Frisur und Gesundheit schützen. Wer hier eine deutliche Steigerung sucht, der sollte mal einen Morgan Plus 8 zur Probe fahren.
Der Abstieg in den Morgan
Allerdings kann man in den konzeptionell aus den 30er-Jahren stammenden Plus 8 nicht einfach einsteigen. Man zieht sich den Wagen vielmehr wie eine hautenge Läuferhose an. Ja, es gibt ein Fahrertürchen, das jedoch ohne Feststeller auskommt und deshalb während des Abstiegs auf den Fahrersitz mit ständigem Anstoßen offen gehalten werden muss. Irgendwann landet der Fahrer auf dem schmalen Sitz, und die Füße stoßen in dem dunklen Fußraumschacht auf die kleinen, unsichtbaren Pedale. Wir sind jetzt mit dem V8-Roadster mehr oder weniger verschweißt und freuen uns sogar über das tief ausgeschnittene Fahrertürchen, weil dadurch der linke Arm relativ entspannt mitfahren darf – draußen an der frischen Luft.
Das extrem niedrige und mit 850 Kilogramm im Vergleich zu Camaro und 450 SL gut halb so schwere Automobil reicht nur bis zu den Schulterblättern. Aber es gibt eine Windschutzscheibe, eine vollständige Beleuchtung, drei Scheibenwischer, eine Stoßstange (vorn) und einen V8! Der 3,5-Liter-Leichtmetallmotor stammt eigentlich von Buick aus den USA, kam dann zu Rover nach England und leistet im Plus 8 schlanke 157 PS. Doch das täuscht. Mit einem Leistungsgewicht von nur 5,3 Kilogramm pro PS liegt der Morgan in etwa auf dem Niveau des fast doppelt so starken Camaro und unterbietet den 450 SL (7,3 Kilogramm pro PS) deutlich. Das Allerbeste am Morgan ist jedoch das Fünfgang-Schaltgetriebe. Das bedeutet knallhartes V8-Vergnügen ohne leistungshemmende Automatik.
Herrliche Klänge aus dem Plus 8
Mit schlanken Sneakers an den Füßen fahren wir problemlos an, ohne uns im dunklen Beinschacht mit den Pedalen zu verheddern. Und es ist verdammt wichtig, das Bremspedal sicher zu treffen, denn der Morgan geht ab wie das gedopte Eichhörnchen im Trickfilm „Ab durch die Hecke“. Der V8-Motor wirkt wie entfesselt, weil er ohne spürbare Anstrengung und mit sonorem Röhren seine Arbeit verrichtet. Dank der starren Verbindung zur Straße setzt der Rover-V8 jeden Gasbefehl spontan in Vortrieb um und würzt den Motorklang mit herrlichen Schaltpausen: „Roooar“, „Roaaaaar“ und noch mal „Roooaaaar“. Automatik- Autos können das nicht so gut. Und weil wir fast im Freien sitzen, unterstützt die Karosserie diesen Soundeffekt nachhaltig. Der Morgan ist der V8-Soundmaster Nummer eins. Und mangels richtiger Karosserie auch der unangefochtene Windmaster. Eine weitere nette Eigenart des Morgan ist der freie Blick nach vorn auf Motorhaube, Kotflügel und Scheinwerfer, die dem weiter hinten sitzenden Fahrer den Weg weisen. Bei flotter Fahrt wippen sie im Verbund mit dem Vorderwagen fröhlich auf und ab. Heiße Luft mit süßlich-modrigem Benzinaroma strömt aus den seitlichen Schlitzen der Motorhaube und droht den begeisterten Fahrer vollends zu narkotisieren. Hoffentlich ist der Wagen vollgetankt, weil man eigentlich erst wieder am Abend aussteigen möchte.
Ein Morgan von gestern Für einen Klassiker aus den 30ern mit fast unverändertem Chassis ist die Straßenlage des Morgan erstaunlich gut und der Leistung des V8 in jeder Situation gewachsen. Das Eigenleben der starren Hinterachse lässt sich perfekt kontrollieren, weil man direkt daraufsitzt. Auch die Bremsen haben mit dem Plus 8, dessen Karosserie zum Teil durch ein Holzgerüst aus Eschenholz gestützt wird, ein leichtes Spiel.
Der Morgan war in den ersten Jahren als 4/4 zunächst mit einem maximal 1,6 Liter großen Vierzylinder von verschiedenen britischen Herstellern bestückt, bis man 1968 den leichten Vollalu-V8 von Rover einbaute. Der kompakte Stoßstangen-V8 brachte kaum mehr Gewicht auf die Vorderachse als die bisher verwendeten Vierzylinder – aber doppelt so viel Leistung. Welches der drei V8-Cabrios man nun wählen soll, hängt stark von den eigenen Wünschen und Vorstellungen ab. Die meisten Oldtimer-Fans werden deshalb sehr zielsicher das Lieblingsobjekt ihrer Begierde für sich entdecken. Was alle drei jedoch vereint, sind die starken V8-Motoren, mit denen man auch im modernen Straßenverkehr vorne mitschwimmen kann.