Bentley Turbo R - rasender Rolls-Royce-Youngtimer
Diese britische Luxuslimousine ist pfeilschnell
Er trägt Turnschuhe zum Anzug, ist gar nicht so seriös wie seine elitären Brüder von Rolls-Royce, aber viel schneller. In Signalrot hat der Bentley Turbo R das Zeug zum Feuerwehr-Einsatzleitwagen. Und teuer ist er als Youngtimer auch nicht mehr.
16.02.2018 Alf CremersEs ist ein schwerer Dampfer, und man sieht es ihm an. Der Bentley Turbo R hat die wuchtigen Ausmaße einer S-Klasse W140, seine Form wirkt kantig wie ein Ziegelstein, erinnert an eine Mischung aus 78er Chevrolet Caprice und Ford Granada II. Das krasse Signalrot, es heißt im Originalton „Vermilion“, also Zinnober, schwächt die Autorität das Bentley Turbo R nur scheinbar.
Es wirkt zunächst wie ein Schuss Proll-Tuning im aristokratischen Geblüt, doch bald macht es ihn zum edlen Unikat. Seine Werte für Leistung und Drehmoment sind so riesig wie seine Erscheinung, 335 PS und 620 Newtonmeter schieben mächtig voran. Es liegt etwas Unaufhaltsames in seinem felsensteilen Kühlergrill-Gesicht, als wollte es sagen: „Lassen Sie mich durch, ich muss die Welt retten.“
Der Chippendale-Salon
Man würde es dem Bentley Turbo R zutrauen, denn trotz seines 20-Liter-Verbrauchs und seiner üppigen Materialschlacht wäre die Ökobilanz positiv. Bei guter Pflege hält Red Baron ein Leben lang und erspart seinem Besitzer mindestens zehn profane Autos ohne V8 und Connolly. Er gibt die Luxusjacht auf Rädern, ja mehr noch, eine zeitlose Villa in strenger Bauhaus-Architektur, doch innen mit Chippendale möbliert. Der Bentley Turbo R steckt voller Widersprüche, er wirkt unzeitgemäß verschwenderisch und ist trotzdem nachhaltig. Aus manchen Perspektiven sieht Red Baron so böse aus wie der Peterbilt-281-Truck aus dem Spielberg-Schocker „Duell“, ist aber total nett zu seinen Passagieren. Er braucht 335 PS, um nur 225 km/h schnell zu sein, das schafft ein 300 E mit 180. Und ab 15.000 Euro gibt es Red Baron bereits in passablem Zustand, 50.000 Euro müsste er wert sein.
Zündschloss liegt links
Das böse Antlitz des Bentley Turbo R täuscht, wenn man hinter dem stilbrüchig faden Airbag-Lenkrad Platz genommen hat. Er riecht gut, liebt seinen Fahrer und reicht ihm ein prächtiges Ambiente mit bester Übersicht. Vier Fahrgästen macht er es so bequem wie möglich. Rasch werden die Sessel mit feinstem Connolly-Leder im Vanille-Farbton „Magnolia“ in Position gebracht. Das Zündschloss liegt links. Wenn man den Schlüssel rumdreht, ist das mehr als ein Startvorgang. Man setzt das Triebwerk in Bewegung wie bei einer schweren Diesellok. Der großvolumige Achtzylinder unter der langen Haube des Bentley Turbo R nimmt mit leisem Säuseln spontan seine Arbeit auf. Nicht von ungefähr sieht der eindrucksvolle Sechsdreiviertel-Liter-V8 mit den hübsch dekorierten Ventildeckeln aus wie ein Flugmotor. Die Rolls-Royce-Konstruktion mit einer zentralen Nockenwelle ist von archaischer Schlichtheit.
Aufgeladen wächst die Leistung um stramme 135 PS, das klingt gefährlich, ist aber ein Genuss ohne Reue. Das ewige Leben dieser niedertourigen Verbrennungsmaschine wird davon nicht berührt. Verschleißfördernde Hochdrehzahlen gibt es im Fahrbetrieb nie, der rote Bereich beginnt bei 4.500/min. Die per Lenkradhebel dirigierte Dreigangautomatik vom Typ GM-400 schaltet ohne Eile schon bei 2.000/min hoch. Zügig sind wir im Red Baron unterwegs, die Landschaft gleitet am Bentley Turbo R vorbei wie am Fenster eines Erste-Klasse-Abteils. Der Bentley Turbo R soll ja die sportliche Interpretation der Silver-Spirit-Kalesche sein, aber man hört kaum etwas, spürt fast nichts und ist meditativ so ganz bei sich. „Hallo, ist da vorn im Maschinenraum jemand?“, scheint das Gaspedal zu fragen, bevor der Kickdown kommt.
Bentley Turbo R mit linearem Geschwindigkeitszuwachs
Nur ein schärferes Säuseln wird vernommen, bevor die überaus druckvolle Beschleunigung einen ins Fauteuil presst. Keine Anfahrschwäche irritiert, kein Turboloch nervt, linearer Geschwindigkeitszuwachs setzt ein, bis die Luftmauer den kantigen Bentley Turbo R bremst. Aufgeladener Großhubraum ist eben der wahre Antriebsluxus ohne Verbrauchsnachteil: 20 Liter brauchen nämlich auch die zahmen 200-PS-Mulsanne und Silver Spirit.
Zum souveränen Antrieb kommt ein Fahrwerk, dem kraft seines Aufwands nichts anders übrig bleibt, als geschmeidig jede Unebenheit abzufedern. Außerdem sorgt es dafür, dass sich der Bentley Turbo R spielend leicht wie eine 140er-S-Klasse fährt. Red Baron ist also doch kein so schwerer Dampfer, eher ein großes wendiges Schnellboot.
So viel kostet ein Bentley Turbo R
Der Marktbeobachter Classic Analytics listet den Bentley Turbo R im Zustand 2 mit 19.000 Euro (Stand Febraur 2018) – und damit um 10.000 Eurio niedriger als noch vor einem Jahr. Exemplare im Zustand 4 liegen bei etwa 6.800 Euro – kurioserweise um 1.600 Euro höher als im 12-Monats-Vergleich.