Yamaha XT 500 im Fahrbericht
XT 500 - die Mutter aller Enduros
Die Yamaha XT 500 ist von Mythen umweht – sie gilt als Mutter aller Enduros, als Abenteuer-Bike für harte Kerle. Für Josie Cardenoso ist dieses Motorrad hingegen wie geschaffen für kleine Fluchten. Weil eine XT 500 beides kann: Alltag und Afrika.
14.03.2012 Michael SchröderJosie kennt sie alle. Die Geschichten, die von gestandenen Yamaha XT 500-Besitzern handeln, denen der Kickstarter beim Antreten die Wade blau geschlagen haben soll. In Einzelfällen ist gar von gebrochenen Knochen die Rede. Oder von Piloten, die vom Rückschlag des Starters hoch über den Lenker katapultiert wurden. Josie lacht. Ihr genügt ein Tritt, kaum eindruckvoller, als es ein Beobachter bei einer 125er erwartet hätte, und das Triebwerk der Yamaha nimmt brav wie ein Musterschüler seine Arbeit auf. „Kein Motorrad springt so gut an wie eine XT 500.“ Ein Satz mit Nebenwirkungen. Besonders aus dem Mund einer Frau.
Letzte XT 500-Serie war sofort ausverkauft
Im nächsten Moment ist Josefine „Josie“ Cardenoso bereits mit ihrer Yamaha XT 500 unterwegs. Hinunter zum Main, um nach vielen Stunden am Schreibtisch rasch noch eine Runde zu schwimmen. Rund neun Kilometer sind es von ihrem Haus in Ebenheid bis zu einer versteckten Badestelle am Fluss, ausschließlich Kurven inmitten einer stillen Wald- und Wiesenlandschaft. Die gewundenen Strecken zwischen Odenwald und bayerischem Spessart sind der gebürtigen Münchnerin, die zusammen mit ihrem Mann Hans Greiner die Motorrad-Fachzeitschrift Trialsport herausgibt, längst so vertraut wie das Wesen ihrer Yamaha XT 500.
Es ist bereits ihr drittes Exemplar, Jahrgang 1989. Yamaha hat kurz zuvor das Ende der Baureihe verkündet. „Da bin ich sofort zum nächsten Händler, um mir schnell noch eines der letzten Modelle zu sichern.“ Andere haben weniger Glück – die finale Serie von Yamahas Dauerbrenner ist innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Josie Zuneigung zu der Yamaha XT 500 beginnt in dem Moment, in dem das Motorrad 1976 in Las Vegas präsentiert wird. Erste Bilder zirkulieren durch die Presse. Optisch, so die allgemeine Meinung, ist dieses gedrungene Bike mit seinen großen Rädern, dem hoch verlegten vorderen Schutzblech und dem winzigen Tank ein Volltreffer.
Yamaha wagt den Antizyklus
Technisch geht die neue Yamaha XT 500 als Kampfansage gegen das Mehrzylinder-Etablishment durch – in einer Zeit, in der BSA, Matchless und Ducati ihre Singles mangels Nachfrage bereits beerdigt haben. Die Enduro kommt in Deutschland mit einem 27 PS starken Triebwerk daher. Ein Bauernmotor, versehen mit einer obenliegenden Nockenwelle und zwei über Kipphebel gesteuerten Ventilen. Mehr braucht es allerdings auch nicht, um zwei Siege bei der Dakar einzufahren oder um Heerscharen von Globetrottern mit dem Überlebenswillen eines Notstromaggregats bis in den letzten Winkel dieser Welt zu tragen. Das Einzylinder-Konzept – plötzlich ist es wieder salonfähig.
Natürlich war auch Josie mit ihrer Yamaha XT 500 auf Reisen, durchstreifte im Sattel der aus heutiger Sicht ungewöhnlich zierlich wirkenden Enduro Irland und Großbritannien. Die Frau, die bis 2005 viele Jahre bei der Motor Klassik-Schwesterzeitschrift Motorrad als Chefin vom Dienst gearbeitet hat und während dieser Zeit zahlreiche weitaus modernere Bikes umgewöhnen, wenn sie mit ihrer Yamaha unterwegs war. Nur zwei mickrige Trommelbremsen – die vermutlich schlechtesten Stopper des Universums. „Vorausschauendes Fahren erhält im Sattel einer Yamaha XT 500 eine völlig neue Bedeutung.“
Yamaha feiert Absatzrekorde mit der Ur-Enduro
Den Erfolg der Enduro können solch irdischen Belange nicht verhindern – allein in Deutschland werden pro Jahr bis zu 4.200 Exemplare abgesetzt. Es ist vor allem die Abenteuer-Aura einer Yamaha XT 500, die die Verkaufszahlen förmlich explodieren lässt: Irgendwie sind Yamaha XT 500-Piloten immer auf dem Sprung. Nach Afrika oder Südamerika – zumindest dürfen sie sich so fühlen, selbst wenn der Trip nur zum nächsten Supermarkt führt.
Oder an den Main, der sich hinter der nächsten Kehre ins Bild drängt. Leichtfüssig folgt die Yamaha XT 500 dem Lauf der Straße, dort spielt sie ihren größten Trumpf aus: 154 Kilo. Vollgetankt, versteht sich. Josie würde sich bei den Marketingstrategen und Ingenieuren von Yamaha am liebsten persönlich bedanken – dafür, dass sie die Enduro während eines für japanische Verhältnisse erstaunlich langen Produktionszyklusses von 14 Jahren nicht größer und schwerer werden ließen.
Die Yamaha XT 500 – ein Klassiker ab Werk
Genau genommen nimmt der Hersteller in der ganzen Zeit nur zwei wirklich bedeutsame Veränderungen am Motorrad vor: Seit 1977 erleichtert ein Schauglas im Zylinderkopf die Suche nach Totpunkt und somit das Startprozedere, neun Jahre später erfolgt die Umstellung von sechs auf zwölf Volt – von nun an konnten sich Yamaha XT 500-Piloten endlich auch nach Sonnenuntergang auf die Straßen wagen. Wer sein Motorrad jetzt noch mit einem größeren Benzinbehälter aus dem Zubehörhandel versah, dem stand die Welt endgültig offen.
Für Josie beginnt die große Freiheit nicht zwangsläufig hinterm Horizont. Die 8,8 Liter, die in den schlanken Tank einer Yamaha XT 500 passen, reichen für rund 130 Kilometer – genug für sechs Feierabendrunden hinunter zum Main und wieder zurück. Manchmal braucht es nicht viel zum Glück.