Renault 16 im Fahrbericht

Mit 16 hat man noch Träume

Der Renault 16 ist für einen Traumwagen eindeutig zu vernünftig. Er verzichtet auf Leistungsexzesse und Design-Eskapaden - besitzt andererseits das intellektuelle Charisma eines fortschrittlichen Individualisten. 

Renault 16 - Fahrtaufnahme - Frontansicht mit Wischeffekt Foto: Rossen Gargolov 16 Bilder

Es ist das Geräusch, das der Erinnerung an den Renault 16 auf die Sprünge hilft. Dieser heisere, melodische Klang des langhubigen Aluminiummotors mit den kurzen Stößelstangen. Damals konnten autobegeisterte Schüler jeden Wagen, der auf den Lehrerparkplatz fuhr, am Motorsound erkennen.

Großes Potenzial als Design-Meilenstein

Den Audi 100 LS an seinem sonoren Brummen, den BMW 2002 am hellen Rasseln, den Ford Capri 1700 GT des Sportlehrers am dumpfen Brutzeln. Die schönste Stimme hatte freilich der Schrägheck-Renault 16 mit großer Klappe - samtweich, rund, geschmeidig gurgelte er die Melodie komfortablen Reisens. Genau so fuhr er sich auch, wie wir später erkannten. Genussvoll nahm er weite Touren nach Amsterdam, Paris oder nach Berlin unter seine torsionsgefederten schmalen 14-Zoll-Räder. Nervenschonender rollte man nie wieder mit konstant Hundertzehn durch den Transit. Gleich zwei Renault 16 parkten auf dem schmalen Asphaltplatz zwischen Turnhalle und Aula. Es waren die Quoten-Ausländer des sonst von deutschen Marken dominierten Pädagogen-Fahrerlagers. Ein weißer 71er Renault 16  TL und ein orangefarbener 76er Renault 16 TS. Sie wirkten selbst Ende der siebziger Jahre beinahe so modern und avantgardistisch wie ein Citroën DS oder ein NSU Ro 80.

Am Steuer des Renault 16 saß eine progressive Lehrergeneration, die Gruppenarbeit in der Klasse einführte und gern das Ehrenamt des Vertrauenslehrers übernahm. Seinem intellektuellen Charme hat das individuelle Schrägheck-Automobil aus Frankreich auch die spätere Karriere in Studentenkreisen zu verdanken. Vielleicht deshalb, weil es über jeden Spießerverdacht erhaben war. Neben dem favorisierten kleinen Bruder Renault 4 fuhren frankophile Fernwehgeplagte wegen des größeren Raumangebots zu viert auch gern Renault 16, vor allem im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Denn der rapide Wertverlust der französischen Sänfte machte sie erschwinglich, ihre ausgeprägte Rostanfälligkeit störte die Studenten nicht.
 
Jahrzehntelang war es ruhig um den Renault 16, nur wenige Enthusiasten erkannten hier zu Lande das große Potenzial als Design-Meilenstein mit ambitionierter Technik. Mindestens 30 musste er werden, bis man auf ihn aufmerksam wurde.

Nonkonformist mit kühler Funktionalität

Die wahren Klassikanbeter störten sich wohl an seiner kühlen Funktionalität, die ihm vor 40 Jahren den begehrten Titel "Auto des Jahres" einbrachte und ihn formal 15 Jahre lang taufrisch hielt. Dabei ist der Renault 16 quasi die DS des kleinen Mannes. Gaston Juchet vom Bureau de Style schuf die in Details eigenwillige Karosserie mit der vorbildlichen Aerodynamik (CW-Wert 0,39) und den charakteristischen Dachholmen, welche die Steifigkeit des Aufbaus erhöhen. Der Youngtimergemeinde war der Renault 16 paradoxerweise zu uncool. Zu wenig Zylinder, zu wenig Hubraum, zu wenig modisch.

Ein derart zeitloser, avantgardistischer Nonkonformist eignet sich eben nicht zum Kultmobil. Nur die Niederländer sahen das offenbar anders und hielten sich größere Herden dieser bedrohten Spezies, aus denen sich heute schön restaurierte Renault 16 TS und TX mit den begehrten gelben Scheinwerfern züchten lassen. So heißen die, abgesehen vom Urmodell, beliebtesten Versionen des französischen Trendsetters.

Für die Renault 16-Topmodelle bekam der Alu-Motor einen von Amedée Gordini neu konstruierten Querstrom-Zylinderkopf mit V-förmig hängenden Ventilen und hemisphärischen Brennräumen spendiert. Seine hohe Drehfreude lebte das elastische Triebwerk auch in der Alpine A110 und im Lotus Europa aus.

Kurios: Raumwunder mit unterschiedlichen Achsabständen

Renault 16 TS und TX nutzen mit ihren 83 und 93 PS das Potenzial des aufwändig konstruierten Fahrwerks. Zu einer Zeit als Opel, Ford, Glas und Fiat noch an der straffen Billiglösung Starrachse und Blattfedern festhielten, montierte Renault schluckfreudige Drehstabfederungen an langarmigen Längsschwingen. Sie sorgen zwar für eine beträchtliche Seitenneigung in Kurven, ermöglichen andererseits auf schlechter Straße das unerhört sanfte Abrollen, das auch heute noch bei jeder Ausfahrt mit einem Renault 16 fasziniert. 

Im Einklang mit dem großzügigen Raumangebot und der siebenfach variablen Polstergarnitur entsteht so im Renault 16 der Eindruck eines kommoden Wohnzimmers auf Rädern, das sich je nach Bedarf in ein Schlaf- oder Kinderzimmer verwandeln lässt. Mit nur wenigen Handgriffen steht die verschiebbare Rückbank gar im Freien.

Dank großer Heckklappe erschließt sich ein üppiger Laderaum. Natürlich ist am Raumwunder Renault 16 auch der lange Radstand von mindestens 2,65 Meter beteiligt. Dabei ist der Renault 16 mit nur 4,23 Meter Länge kürzer als ein VW 1600. Auf Grund der traditionellen französischen Auslegung des Frontantriebs mit dem Getriebe vor der Vorderachse fällt der vordere Überhang extrem kurz aus. Die versetzt angeordneten hinteren Drehstäbe sorgen beim Renault 16 für das Kuriosum unterschiedlicher Achsabstände - links 2,71, rechts 2,65 Meter.

Natürliche Schönheit: Eigenwillig und Charaktervoll

Heute, zu seinem 40., zählt der deutsche Renault 16-Club immerhin 112 Mitglieder - zarte Blüte einer engen Nische. Jürgen Elsner aus Köln fährt den weißen Urtyp, Dietrich Wenner aus Paderborn den 68er Renault 16 TS in Braunmetallic. Das Rendezvous auf einem alten Deutzer Fabrikgelände gerät für alle Beteiligten zum Déja-vu-Erlebnis. Leise blubbernd rollen die Renault 16 in Pose. Fahrerwechsel für eine Proberunde im Renault 16. Die sofaweichen Sitze begrüßen freundlich das Gesäß, die hübschen Jaeger-Instrumente reflektieren wie kleine Make-up-Spiegel.

Der schmale hohe Wagen bietet ein urgemütliches Raumgefühl. Die aufrechte Sitzposition hinter der steilen Frontscheibe des Renault 16 passt, die Lenkradschaltung funktioniert leichtgängig und präzise. Mit dem Renault 16 geht es einem wie mit manchen Frauen. Es ist nicht Liebe auf den ersten Blick, aber sie sind einem auf Anhieb sympathisch. Ein paar Mal miteinander ausgegangen, und es könnte sich etwas entwickeln, denkt man hinter dem dürren Zweispeichenlenkrad. Und hört auf die schöne Stimme des elastischen Motors, während das Auto auf der sonnigen Landstraße Richtung Rheinfähre vor sich hinschnürt.

Design des Renault 16: Vorbildliches Verhältnis von Länge zu Radstand

In Kurven ist beherztes Einlenken gefordert, der Renault 16 untersteuert spürbar. Generell ist die Lenkung recht indirekt und nicht frei von Antriebseinflüssen. Ein sympathischs Auto braucht eben auch Schwächen. Der Wagen spiegelt sich im Wasser. Der Renault 16 TS trägt mehr Make-up als der fast ungeschminkte Urtyp. Er betont damit seine natürliche Schönheit, die eigenwillig und charaktervoll ist. Schräg von vorn wirkt er am eindrucksvollsten, da kommen die gestreckten Linien dominanter zum Ausdruck als seine schmale Silhouette.

Der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli verehrt den Renault 16 als Weg weisende Design-Persönlichkeit: "Er ist ein funktionelles Automobil mit Charakter und verkörpert die zeitgenössische französische Strenge. Sie wird jedoch durch liebevolle Details und gekonnt platzierte Sicken gemildert. Vorbildlich gerade für heute ist das Verhältnis von Länge und Radstand." Es könnte also doch noch was werden mit dem Renault 16. Kein Traumwagen, aber einer mit vielen verborgenen Reizen, die entdeckt werden wollen - angefangen beim Wohlklang des Motors.