Porsche 968 im Fahrbericht
Verkannte Größe mit massigem Drehmoment
Ich habe den Porsche 968 gewaltig unterschätzt. Habe ihn abfällig als Hausfrauenporsche bezeichnet und ihm schließlich jedwede Anerkennung verweigert. Habe dagegen oft genug über sein Softie-Image geschmunzelt, mich im großen Chor der Heckmotor-Fraktion über sein tragisches Schicksal lustig gemacht.
19.03.2012 Michael SchröderKlar, gegen den unter Denkmalschutz stehenden Elfer konnte der Porsche 968 nicht bestehen - was die Gusseisernen schon immer wussten und Porsche erst später zugab, als der Konzern mangels Nachfrage den 968 vorzeitig (und ersatzlos) aus dem Programm strich. Was für eine Demütigung! Aber genau genommen habe auch ich den 968 nicht sonderlich vermisst. Damals.
Im Porsche 968 hämmert der fetteste Vierzylinder seiner Generation
Abgesehen von einigen flüchtigen Zufallsbegegnungen handelt es sich heute tatsächlich um mein erstes ernsthaftes Date mit diesem Modell. Die Farbe Polar-Silber steht dem Porsche 968 perfekt, unterstreicht dessen kühle und technokratische Ausstrahlung, lässt ihn zudem eine Spur breiter und flacher wirken, als er ohnehin schon ist. Es sind die Proportionen eines Athleten, unter dessen eng anliegendem Maßanzug ein großes Herz pulsiert - der fetteste Vierzylinder seiner Generation. Drei Liter Hubraum, zwei obenliegende Nockenwellen, 16 Ventile. Macht unterm Strich 240 PS. Und neugierig auf mehr.
Seinen 944-Stammbaum kann der Porsche 968 allerdings nicht verleugnen, vielleicht sein größtes Manko. Aber die Identifizierung fällt schwerer, im Rückspiegel könnte ein drängelnder 968 wegen der ausgeprägteren Rundungen am Bug und der flach gelegten Scheinwerfer glatt als 928 durchgehen, während die Kotflügel im klassischen 911-Look gehalten sind. Styling-Chef Harm Lagaay vermischte traditionelles Familienerbe, um ein inzwischen in die Jahre gekommenes Konzept mit einem neuen Image zu versorgen. Doch alle Beteiligten müssen insgeheim gespürt haben, dass die Zeit der Transaxle-Modelle allmählich abgelaufen ist.
Statt 911 sollte der Frontmotor-Transaxle-Porsche die Marke retten
Die hatte in den frühen Siebzigern begonnen. Als Porsche - kein Witz! - nicht mehr an den Elfer glaubte. Die neue Konzernleitung unter der Führung von Dr. Ernst Fuhrmann räumte dem heckgetriebenen Sportwagen keine Zukunft ein. Das Konzept sei zu alt, um ein weiteres Mal modernisiert zu werden, hieß es damals. Der 911 sei in Anbetracht der Energiekrise nicht mehr zeitgemäß.
1975 präsentiert Porsche den 924, das erste Modell mit dem neuen Transaxle-Layout. Statt im Heck sitzt der Motor nun vor der Besatzung, seine Kraft gelangt über eine Welle, die sich in einem Rohr dreht, zum Getriebe, das sich jetzt direkt an der Hinterachse befindet. Diese Anordnung soll für eine ausgeglichenere Gewichtsverteilung sorgen. Und, so verspricht es zumindest Porsche, für ein spürbar agileres Fahrverhalten.
Die Elfer-Fraktion reagiert empört, weil dieses Antriebsprinzip ebenso für den geplanten 928 vorgesehen ist, der den 911 als sportliches Topmodell endgültig ablösen soll. Grund genug, sich schon aus Prinzip auf den neuen Porsche 924 einzuschießen. Ein Auto mit dem Motor an der falschen Stelle, der zudem auch noch von Volkswagen stammt - so etwas darf nie und nimmer Porsche heißen. Schon dreimal nicht, wenn diese 125-PS-Möhre anstatt in den traditionsreichen Werkshallen in Stuttgart-Zuffenhausen bei Audi in Neckarsulm produziert wird.
1981 kommt der Porsche 944 - und endlich wieder Geld in die Kasse
Porsche hält bei dem 944 am Transaxle-Layout fest, aber unter die Haube haben die Konstrukteure immerhin ein eigenes Triebwerk gepflanzt. Keine Neukonstruktion, sondern ein halber V8 aus dem Porsche 928. Anfangs mit 2,5 Liter Hubraum, ab 1988 mit 2,7 Liter, im S2 schließlich mit fast 3.000 Kubik. Und dank Turboaufladung in seiner letzten Ausbaustufe mit bis zu 250 PS. Optisch geht der neue Porsche 944 als durchtrainierter 924 durch. Mit dicken Karosseriebacken am Heck, fetteren Schwellern, Schürzen und Spoilern.
Das Auto kommt an, besonders in den USA. Es bricht sämtliche hauseigenen Verkaufsrekorde, pro Jahr werden schon mal über 25.000 Exemplare abgesetzt - für Porsche eine völlig neue Erfahrung. Auch, dass mal wieder Geld in der Kasse ist. Zumindest für den Moment.
Und Porsche gelingt das Kunststück, den 944 über viele Jahre hinweg jung und attraktiv zu halten. Doch der Konzern schafft es letztendlich nicht, den neuen Sportwagen von seinem Imageproblem zu befreien, im Grunde nur ein aufgepumpter 924 zu sein. Mächtig aufs Gemüt drückt zudem der Umstand, dass auch der Porsche 944 bei Audi zusammen gezimmert wird. Als Ende der achtziger Jahre allmählich die Verkaufszahlen des 944 sinken, muss Porsche handeln. Entweder das Auto grundlegend renovieren. Oder, besser: gleich einen Nachfolger entwickeln.
In schwierigen Zeiten soll es der Porsche 968 richten
Kein leichter Job, wenn man sich als Konzern abermals in einer handfesten Krise befindet. Der Absatzmarkt für Sportwagen bröckelt, und Porsche ist schon wieder so klamm bei Kasse, dass die Schwaben sogar Lohnaufträge der Konkurrenz durchführen müssen, um am Monatsende die Rechnungen bezahlen zu können. Mercedes lässt in Zuffenhausen den bärenstarken W124 500 E schmieden, Audi seinen potenten RS 2. Dass Porsche gut drei Jahrzehnte später probieren würde, den VW-Konzern zu schlucken, hätte damals nicht einmal der kühnste Visionär zu behaupten gewagt.
Der "Neue" kommt im Sommer 1991. Er heißt Porsche 968 und ist unterm Strich doch nicht ganz so neu, wie viele es gewollt hätten. Die Ingenieure haben sich beim Motor, dem Transaxle-Prinzip sowie dem Fahrwerk beim 944 bedient, selbst der Innenraum wanderte nahezu unangetastet in den Nachfolger.
Porsche-Entwicklungschef Paul Hensler spricht deshalb wohl auch von einer Evolution anstelle einer Revolution, und die Presse moniert sogleich, dass selbst das veränderte Erscheinungsbild des Porsche 968 nicht ernsthaft über die aus ihrer Sicht leidigen 944-Gene hinwegtäuschen könne. Weil kleinere Stückzahlen die Produktion des 968 von nun an wieder in Zuffenhausen ermöglichen, wird der Neuankömmling immerhin nicht mehr als "Bastard" beschimpft.
Die Änderungen liegen vor allem im Verborgenen
Zurück ins Hier und Jetzt. Inzwischen habe ich den silbernen Porsche 968 mehrmals umrundet, ihn von allen Perspektiven ausgiebig betrachtet. Eine so späte Annäherung darf ruhig einige Zeit in Anspruch nehmen. Nur der Blick unter die Haube entpuppt sich als vergleichsweise kurze Angelegenheit. Weil es nicht sehr viel zu sehen gibt.
Dem Zeitgeist folgend platzierte Porsche im Motorraum des Porsche 968 gleich mehrere schwarze Kunststoffabdeckungen rund um das imposante Vierzylinder-Aggregat. In diesem durchgestylten Maschinenraum sind Kabel und Leitungen ganz offensichtlich so unerwünscht wie Ölspritzer an den Händen des Fahrers. Wohl deswegen befindet sich in der vorderen Abdeckung auch noch ein Fach für Handschuhe.
Die wirklichen Änderungen befinden sich im Verborgenen, Porsche hat gleich ein ganzes Paket an leistungssteigernden Maßnahmen geschnürt, um für richtig Druck in den riesigen Brennräumen des 16-Ventilers zu sorgen. Dazu zählen ein vollkommen neuer Kurbeltrieb mit einer leichteren, geschmiedeten Welle und leichteren Kolben, größere Einlasskanäle, eine optimierte Sauganlage sowie eine neu abgestimmte Motorelektronik.
Weltrekord in Sachen Drehmoment
Doch der wirkliche Clou ist die drehzahlabhängige Verstellung der Einlass-Nockenwelle, von den hausinternen Marketingstrategen VarioCam getauft. Das Ergebnis ist jetzt noch mehr Dampf bei niedrigen und mittleren Drehzahlen, ohne an Leistung im oberen Drehzahlbereich einzubüßen. Die Rechnung von Porsches Ingenieuren geht auf - mit 305 Newtonmeter bei 4.100 Touren gilt dieser Vierzylinder als der drehmomentstärkste Dreiliter-Saugmotor der Welt. Mit diesem Argument richtet sich der Automobilbauer besonders an die Sportwagenfans, die nach wie vor der Meinung sind, dem Porsche 968 würden mindestens zwei Zylinder fehlen, um in der Szene überhaupt ernst genommen zu werden.
Nach nur vier Jahren war der Porsche 968-Spuk vorbei
Ich nehme Platz im Porsche 968, bin gespannt, wie sich dieses Auto fährt, welches seinerzeit so verschmäht wurde, dass Porsche die Produktion nach nur vier Jahren eingestellt hat.
An den bequemen Sitzen des Porsche 968, die viel Seitenhalt bieten, den übersichtlich angeordneten Instrumenten und der durchdachten Anordnung der Bedienungselemente kann es nicht gelegen haben. Und so, wie die Tür schließt, würde sie sich wohl auch in einem Panzerschrank gut machen - Verarbeitungsqualität und Materialanmutung sind erstklassig. Es soll in Zuffenhausen Ingenieure geben, die noch immer die Meinung vertreten, dass Porsche bis heute kein besser verarbeitetes Auto gebaut hat.
Der Motor zündet, dreht sofort rund - und klingt dabei so unspektakulär, wie es Vierzylinder-Triebwerke nun einmal an sich haben. Gleich zwei Ausgleichswellen kümmern sich zusätzlich um die guten Manieren der Maschine, die im nächsten Moment mit der Gelassenheit eines Kampfstieres den 1.410 Kilo schweren Porsche 968 in Bewegung setzt.
Haftgrenze jenseits aller physikalischen Gesetze
Satt liegt der Porsche 968 auf der Straße, die Souveränität seines Auftritts überträgt sich sofort auf den Fahrer, dem sechs Gänge zur Wahl stehen. Das Auto lässt sich durch seine leichtgängige Lenkung spielerisch und vor allem präzise dirigieren, das Fahrverhalten besticht mit einer unerschütterlichen Gutmütigkeit. Die Haftgrenze muss irgendwo jenseits aller physikalischen Gesetze liegen, und selbst größere Lastwechsel können einen 968 nicht ernsthaft in Aufruhr bringen. In Gedanken halte ich bereits nach einem potenziellen Opfer Ausschau.
Vielleicht an der nächsten Ampel. Der Sprint aus dem Stand zählt definitiv zu den Paradedisziplinen des Porsche 968, das Motto heißt Drehmoment statt Drehzahl. Mit der Wucht eines Katapults feuert der Vierzylinder den Porsche voran, um dann bei 4.000 Umdrehungen ein weiteres dickes Pfund draufzulegen, untermalt von einem tiefen, sonoren Brüllen aus der dickrohrigen 2-in-1-Auspuffanlage.
Jedoch ein vergebliches Brüllen. Ein Sportwagen, meuterte damals die angepeilte Kundschaft, muss nicht nur seine Pflicht tun, er muss vor allem unter die Haut gehen, Emotionen wecken, begeistern. Der Porsche 968 blieb vielen ganz einfach zu unspektakulär. Ein Auto, das Fehler verzeiht und selbst bei Missbrauch meist richtig herum aus einer Kurve herauskommt, lässt sich offensichtlich nur schwer verherrlichen.
Vermutlich aber haben viele gar nicht selbst am Steuer eines Porsche 968 gesessen, ihn aber dennoch spöttisch als Hausfrauenporsche abgetan und am Ende herzlich über sein Softie-Image gelacht. So wie ich. Porsches bester Vierzylinder wird wohl gern unterschätzt.