Porsche 901 im Fahrbericht
Erste Liebe - der älteste fahrbereite Elfer
Ein Finne und der Porsche 901: Der finnische Flugzeugingenieur Sorjo Ranta verliebte sich 1964 auf der Londoner Motorshow in den dort gezeigten ersten Elfer – der damals noch 901 hieß. Heute besitzt er ihn noch immer. Wir durften eine Runde drehen.
01.11.2011 Malte JürgensDie erste Probefahrt des Porsche 901, so hieß der Vorserien-Elfer damals noch, fand 1962 an einem Jahrestag statt, der nicht erst seit dem Mauerfall 1989 als deutsches Schicksalsdatum gilt. Es war ein 9. November, an dem der Leiter des Porsche-Fahrversuchs spät abends auf einem Protokollbogen notierte: „Türen klappern. Fenster klappern. Heizung stinkt. Getriebe heult. Lenkung ist vor allem in Mittelstellung zäh und träge, trotzdem bei Korrekturen giftig, hat in Mittelstellung etwas Spiel.“
Das Geheimnis des Erfolges
Weiter hinten hielt Helmut Bott vor 48 Jahren dann aber auch Positives über den Porsche 901 fest: „Sichtverhältnisse und Sitzposition sind gut. Das Fahrzeug ist handlich und hat den Charakter des sportlichen Wagens voll beibehalten. Armaturen gut zu sehen, Sitze angenehm.“ Diese erste Probefahrt begründete eine Erfolgsstory, die in der Sportwagenwelt keine Parallele hat. In drei Jahren wird der Porsche 911 nun 50, und seine Kombination aus Fahrleistung, Straßenlage, Power, Wartungsarmut, noch einigermaßen überschaubaren Unterhaltskosten, Zuverlässigkeit und zählbaren Rennerfolgen hat bisher kein anderer Hersteller in der Welt übertroffen.
1963 lag diese ganze unglaubliche Entwicklung noch vor dem neuen Porsche-Modell, das auf der damaligen IAA als Nachfolger des vierzylindrigen 356 präsentiert wurde – dem Porsche 901. Im Herbst 1964 lief die Serienproduktion an. Die ersten 82 Exemplare sowie die begleitende Verkaufsliteratur trugen da noch den Namenscode 901; erst nach dem Einspruch von Peugeot, wo man die Null in der Mitte des Typencodes seit langem benutzt, wurde der neue Sechszylinder von Porsche 901 auf Porsche 911 umgetauft.
Seit mehr als 40 Jahren in unfallfreiem Erstbesitz
Ende 1964 steht der spätere Elfer also noch als Porsche 901 in London, auf der Earls-Court-Motorshow. Porsche zeigt das neue Coupé erstmals in Großbritannien, in Weiß, mit den charakteristischen karierten Sitzen. Es trägt die Chassis-Endnummer 300027, war also der 27. Ur-Elfer überhaupt – und ist bis zur Stunde in unfallfreiem Erstbesitz. Sorjo Ranta, gebürtiger Finne mit heutigem Wohnsitz in Kanada, arbeitete zu Beginn der Swinging Sixties in der britischen Flugzeugindustrie, genauer gesagt: der in Preston ansässigen Kampfmaschinen-Abteilung der British Aircraft Corporation BAC.
Seit 1955 fährt der einst nach Ottawa ausgewanderte Finne Porsche, insgesamt drei Coupés der Baureihe 356. Ranta: „Den ersten habe ich von der VW-Vertretung in Ottawa gekauft. Ich baute damals Modellflugzeuge, und das größte hatte zwei Meter Spannweite. Ich sagte, wenn die Flügel im Stück reingehen, nehme ich den Porsche. Sie gingen rein.“ Später jobbt Ranta dann in England. Dort geht es 1964 zur Earls Court Show. „Den neuen Porsche-Sechszylinder“, kramt der Finne in Erinnerungen, „wollte ich unbedingt haben. Ich machte auf dem Stand des Porsche- Händlers Aldington eine Sitzprobe im Porsche 901, fand Raumverhältnisse und Sicht gut und machte Aldington ein Angebot. Ich gebe 6.000 Dollar aus, kaufe das Auto in England und nehme es später als mein Eigentum zollfrei zurück mit nach Kanada. So war mein Plan.“
Doch Pläne laufen nicht immer linear nach den Wünschen dessen, der sie schmiedet. Aldington nimmt das Gebot für den Porsche 901 entgegen, gibt aber keine Zusage. Ranta fährt in Urlaub nach Finnland, hinterlässt eine private Telefonnummer in Tampere – und dort geht eine Woche später der erhoffte Anruf ein: „Sie können den Porsche 901 für 6.000 Dollar übernehmen.“ Die Summe entspricht damals einem Wert von heute 30.000 Euro.
Per Einfuhr-Trick kommt Ranta an den einzigen Sechszylinder-Porsche in England
Zurück in England. Dort liegt Aldington bereits im Clinch mit dem britischen Zoll. Der linksgelenkte 911 sei ja per Triptik nur zum Zweck der Ausstellung eingeführt worden. Also müsse er auch wieder ausgeführt werden. „Kein Problem“, sagt Ranta. Seine Kontakte im BAC-Konzern schließen auch ein paar befreundete Flugkapitäne bei den Bristol-Transportfliegern ein. Das Unternehmen Porsche 901 wird durch ein kurzes Telefongespräch eingefädelt.
Ranta: „Wir luden den Porsche 901 in die Bristol, ließen die Ausfuhrpapiere stempeln, flogen über den Kanal nach Le Touquet in Frankreich und gingen mittagessen. Dann holten wir eine Zollbescheinigung, starteten zum Rückflug und hatten den Porsche 901 somit in England ganz offiziell wieder eingeführt. Die Jungs vom Zoll wollten erstmal Schwierigkeiten machen, weil die ganze Nummer auf Aldington lief, aber formal war alles in Ordnung, also mussten sie zustimmen. Ich hatte den Porsche, durfte aber noch nicht fahren, denn noch gehörte er ja Aldington. Erst auf dem Hof des Händlers konnte ich den Porsche 901 übernehmen.“
Filmauftritt – Ranta ist mit seinem Porsche in „Grand Prix“ zu sehen
Aber dann. „Die erste Fahrt im Porsche 901 von London nach Preston war einfach fantastisch“, schwärmt Ranta noch heute. „Es gab kein Tempolimit, ich ließ das Auto laufen, mit einem Schnitt von etwa 100 Meilen pro Stunde. Unglaublich. Ich hatte lange den einzigen Sechszylinder-Porsche in England.“ Die Einsatzbedingungen des Porsche 901 bleiben danach allerdings moderat. Wochenendtrips, ein paar Ausfahrten mit anderen Porsche-Enthusiasten.
Großes Kino gibt es 1966, auf einer Tour zum GP von Monaco. John Frankenheimer dreht gerade sein berühmtes Epos „Grand Prix“, und die Crew braucht noch Statisten auf den Filmtribünen. Ranta: „Aira und ich spielen etwa für etwa eine halbe Sekunde in dem Film mit.“ Zurück in Kanada läuft der Porsche 901 tatsächlich als Familiencoupé. „Unsere Söhne Jouni und Petri wurden 1967 und 1972 geboren“, erzählt Rantas Ehefrau Aira, „und die sind mit dem Porsche 901 aufgewachsen. Ich durfte auch mal fahren, aber als ich mich bei Regen auf einer Autobahneinfahrt gedreht habe, war ich nicht mehr so scharf darauf.“
Zu fünft im Porsche 901 „so schnell, wie es eben ging“
Die Rantas nehmen Porsche und die auch in der Werbung immer wieder anklingende Familienfreundlichkeit des 2+2-Sitzers wörtlich. Das Familienoberhaupt: „Als wir mal meine Mutter zum Flughafen in Toronto bringen mussten, hatten wir uns etwas in der Zeit vertan. Wir waren drei Erwachsene und die beiden Kinder in dem Porsche 901, plus Gepäck, und dann haben wir 550 Kilometer in dreieinhalb Stunden gemacht. Kein Problem. Ich fuhr früher immer so schnell, wie es eben ging. In den alten Tagen war das ja noch nicht so teuer.“
Mechanisch hat ihn der Porsche 901 nie im Stich gelassen, auf keiner einzigen der rund 50.000 bis heute absolvierten Meilen. Irgendwann flog mal ein Profilblock von der Lauffläche, die Wärmetauscher der Heizung mussten früh erneuert werden, und der Umlenkhebel in der Bedienung der Tankklappe wurde modifiziert. Mehr nicht.
Keiner wollte den Porsche haben
In den achtziger Jahren beginnen die beiden Ranta-Jungs mit dem Kart-Sport. Der Porsche 901 gerät etwas aus dem Fokus, denn der moderne Rennsport frisst alle Freizeit-Reserven auf. „Ende der Neunziger habe ich den Porsche 901 im amerikanischen Club-Magazin Porsche-Panorama zum Verkauf ausgeschrieben“, erzählt Ranta, „aber ich habe nicht ein einziges Angebot bekommen. Den wollte niemand haben.“
Also beschließt der fliegende Finne, das weiße Coupé ganz einfach zu behalten - und zwar bis an sein Lebensende. Die Sorge um nötige Restaurierungsarbeiten und die fällige Wartung seines Porsche 901 nimmt ihm kein Geringerer ab als Alois Ruf. Der Mann aus Pfaffenhausen im bayerischen Allgäu gilt seit ebenfalls fast 50 Jahren als genialer Porsche-Flüsterer. Sein Wissen, sein Können und das seiner Mannschaft, seine Entwicklungen bis hin zu den aktuellen Porsche-Baureihen sind legendär. Doch daneben liebt der Allgäuer die frühen Porsche seiner Jugend, den Porsche 901 ganz besonders. Sein persönliches Exemplar ist zehn Chassisnummern jünger als der Ranta-Wagen: 300037.
Am Ende der Geschichte lädt Ranta uns ein, am Lenkrad seines Porsche 901 die Gegend um Pfaffenhausen herum zu bereisen; es dürfe ruhig zügig sein. Der erste Gang links hinten rutscht geschmeidig in seine Rastung, die Kupplung unterstützt durch die nicht linearen Bedienkräfte um den Druckpunkt herum wie alle frühen Porsche- Kupplungen die Tendenz zum möglichen Abwürgen beim Anfahren, und der zweite Gang hakelt ein wenig... ja, die Führungsbuchsen sind jetzt aus modernem Stahl und nicht mehr aus dem alten Sintermaterial, es gibt nun engere, präzisere Passungen, doch das spielt sich durch Benutzen ein.
Ab 2.000/min hängt der Sechszylinder-Boxer sauber am Gas
Die Zahnstangenlenkung des Porsche 901 arbeitet auf Unebenheiten durchaus lebhaft, aber nie beängstigend, der Federweg ist lang, die Dämpfung nicht zu hart; zügige Kurven durchsegelt der Porsche 901 in angemessener Schräglage. So waren die Autos damals. Ab etwa 2.000/min hängt der Sechszylinder sehr sauber am Gas, und die hechelnde Porsche-Symphonie aus Ansaugen, Verbrennen und dem Singen des Lüfterrades sickert ins Ohr wie ein Rauschmittel, das schon in gedämpfter Dosis süchtig macht nach immer mehr. Ab etwa 5.000/min schlägt der Zweiliter im Porsche 901 akustisch sozusagen auf den Tisch, festhalten, jetzt geht's los.
Die Grundmelodie dieses beschwörenden Gesangs, den Porsche bis heute im Reservoir für genetische Geräusche-Vererbung glücklicherweise einigermaßen konservieren konnte, nimmt im Porsche 901 all ihren Reserven auf. Diesen Sportwagen muss man nicht nur fahren, man muss ihn auch spielen können.
Ranta sitzt fast ein wenig wehmütig auf dem Beifahrersitz. Die wilden Tage seines Porsche 901, in denen jeder Trip ein kleines Rennen gegen die Verkehrsbeschränkungen dieser Welt wurde, sind Geschichte. „Aber“, sagt sein Besitzer, „wenn ich nochmal jung wäre, würde ich die Sache mit dem Porsche 901 wieder machen. Genau so, wie es war.“