Mercedes-Benz 300 CE und E 200 Cabriolet - Fahrbericht
Mittelklasse-Glamour: W124-Coupé und Cabrio
Mercedes-Benz W124-Coupé und -Cabriolet zaubern einen Hauch von Glamour ins Musterschüler-Dasein des Hundertvierundzwanzigers. Taxi-Stress und Dieselduft verschwinden, wenn diese beiden Schönheiten zum Open-Air-Festival bitten. Verführerischer kann Vernunft nicht sein.
04.11.2012 Alf CremersEr prägt noch immer das Straßenbild, selbst dreizehn Jahre nach Produktionsende. Kein Taxistand, keine großstädtische Ampelkreuzung und keine längere Autobahnetappe ohne ihn. Der Mercedes W 124 bleibt das automobile Vermächtnis der 80er, stilistisch wie technisch, mehr noch als ein VW Golf II, den der Mercedes-Benz W124 im verbliebenen Bestand längst überholt hat.
Viele W124 mit sehr hohen Laufleistungen
Meist ist der 124er, diese archetypische, in Stein gemeißelte Mercedes-Mittelklasse der Ewigkeit, ein grauer Held des Alltags. Selbst in so frischen Farben wie Almandinrot, Champagner oder Nelkengrün. Die Mercedes-Benz W124 Limousinen und Kombis kämpfen noch tapfer an vorderster Front, während sich Coupés und Cabriolets bereits auf dem Sonnendeck des Saisonkennzeichens amüsieren. Sie und auch der 500 E haben es einfach besser, sie sind begehrt. Die gemeinen Mercedes-Benz W124 Viertürer dagegen haben ein anstrengendes Leben hinter sich, mehr als 250.000 Kilometer stehen fast immer auf dem Zählwerk des Tachos, umrahmt von ausgeblichenen Zeigern. Die Sitzwangen sind aufgescheuert, die Verbundglas-Heckscheiben milchig, die Wagenheberaufnahmen durchgerostet, die Radläufe angeknabbert und die Lenkräder glatt poliert. Vor allem Mercedes-Benz W124 Diesel-T-Modelle spielen den Blues vom Verbrauchtwagen, stumpf im Lack, müde auf der Hinterhand und mit roter Umweltplakette im Eck der Grünkeil-Frontscheibe einem bürokratischen Tod auf Raten ausgeliefert.
Mechanisch wären sie noch längst nicht am Ende, selbst wenn die Drei der Vier im Tacho allmählich Platz macht. Afrikaner wissen das, sie kaufen alles, was noch fährt, nach dem „Wie es fährt?“ fragen sie nicht. Ein Mercedes-Benz W124er gibt erst nach multiplem Organversagen auf. Schlechtes Anspringen, hoher Ölverbrauch, gebrochene Federn, bockige Niveauregulierung – bei allem Leid, er tut stoisch seine Pflicht, bis zuletzt. Partylaune kommt da kaum auf, eher Endzeitstimmung.
Mercedes-Benz W124 Coupé und Cabriolet fahren dagegen schon jetzt auf der Sonnenseite der Straße. In dieser betuchten Mercedes-Benz W124er-Oberschicht sind die Verbrauchtwagen klar in der Minderheit. Vor allem das Cabriolet genießt hoch dotierten Liebhaberstatus und ist selbst aus der Final Edition von ’97 ein willkommener, frühreifer Youngtimer. Sogar ohne die üblichen Mercedes-Zugangsbeschränkungen wie seltene Farbe, Vollausstattung, Unterhunderttausend oder Topmotorisierung. Hier sind alle 33.968 potentiellen Kandidaten willkommen, bis auf den unvermeidbaren Bodensatz der völlig Vernachlässigten.
W124er-Coupés gibt es schon für unter 2.000 Euro
Beim Mercedes-Benz W124er Coupé sind die Türsteher an der Youngtimer-Pforte bereits wählerischer. Da herrschen strengere Regeln, schon weil es mit 141.498 gebauten Exemplaren viel mehr Bewerber gibt. Unter 2.000 Euro, mittelprächtiger Zustand – Daumen runter, ab in die Gebrauchtwagen-Ecke. Knapp 5.000 Euro, unter 100.000 Kilometer, 320 CE, Leder, Automatik, blauschwarzmetallic – willkommen im Club, darf es auch Super Plus sein?
Unser Fotomodell, immerhin als Mercedes-Benz W124er Coupé 300 CE ein Sechszylinder und zwei Jahre lang Topmodell des Genres, hat die Aufnahmeprüfung nur dank einer gnädigen Jury geschafft. Seine Farbe Impala-Metallic ist nicht sonderlich cool, sondern die verschärfte Form von Rentner-Rauchsilber. Innen trauert schwarzer Stoff, eher trist als glamourös – gerade die zweitürigen Mercedes-Benz W124er Coupé schreien nach Velours oder Leder, selbst Sportline-Karo wirkt irgendwie provinziell bis peinlich. Doch besser neuwertige Stoff-Tristesse als abgeschabtes Velours. Wurzelnuss wäre schön, der dunkle Teint des Edelholzes betört ungleich mehr als blasses, schon leicht ergrautes Zebrano.
Keine B-Säule stört den Panorama-Blick im W124er-Coupé
Der Kilometerstand des Mercedes-Benz W124er Coupé Ersthand-Wagens kratzt mit Kilometerstand 242.000 schon am rostigen Rolltor zum Autofriedhof, doch dank liebevoller Scheckheftpflege merkt man es ihm nicht an. Die Ausstattung gibt sich undramatisch, Automatik wäre zum Cruisen schön, stattdessen wird Fünfgang serviert mit gummiartigem Schaltgefühl. Konzentriertes Anfahren empfiehlt sich, sonst droht der gefürchtete Bonanza-Effekt. Immerhin hat das Coupé Schiebedach und vier elektrische Fensterheber.
So lässt es sich mit einem Spreizgriff der rechten Hand auf der Mittelkonsole herrlich entblättern. Dann surren die Seitenscheiben runter, nichts stört das Panorama, keine Fensterrahmen und kein B-Pfosten – wie es bei Mercedes lange gute Tradition war. Das Schiebedach lässt den blauen Himmel und die Baumwipfel der Allee hinein, es wirkt wie ein Stimmungsaufheller. Ein bisschen Cabrio müssen Autos schon sein, um glücklich zu machen. Der Mercedes-Benz W124er Coupé 300 CE schafft dies, sein samtener Sechszylinder untermalt fast geräuschlos die Eleganz der Linie.
Stets bleibt er vornehm zurückhaltend, nie stürmt er brüsk davon, obwohl er gerne dreht, drehen muss, denn sonst spürt man nicht viel von den 180 PS. Sein Durchzugsvermögen ist verhalten, die lang übersetzten Gänge übertreiben es mit den guten Manieren. Denn der verbrauchs- und leistungsoptimierte Dreiliter kann auch anders. Notfalls drehen bis 6.500/min und ab 3.000/min so schön linear ohne künstliche Turbo-Anabolika an Kraft zulegen, dass es eine Freude ist, der gewundenen Straße zu folgen. Der intern M 103 getaufte Sechszylinder im Mercedes-Benz W124er holte den jahrelangen Daimler-Rückstand in der Motorentechnik gegenüber BMW auf. Nur eine Nockenwelle genügte plötzlich, um in allen Belangen besser abzuschneiden als der antiquierte DOHC-Vorgänger M 110.
Als 88er Typ hat das Mercedes-Benz W124er Coupé immerhin den Bonus der frühen Geburt, es ist so rein und unverfälscht wie das 1:1-Tonmodell von Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco. Keine nachträglichen Pseudo-Chrommätzchen um Stoßstangen, Schutzleisten und als Intarsie im Türgriff. Keine Lider um die Scheinwerfer. Kein Stern, der unmotiviert aus der Motorhaube wächst und puristische Gullydeckel-15-Loch-Räder statt der verspielteren, vermeintlich modischeren Achtloch-Pendants. Puristen mögen eher den frühen, strengen Mercedes-Benz W124er Coupé. Der späte gibt sich zwar im Detail lebensfroh, beinahe ausgelassen – was wiederum gut zum Cabriolet passt, das seine Blütezeit sowieso erst im Spätsommer des Mercedes-Benz W124er hatte.
Mit dem W124-Cabrio zeigt Mercedes das Machbare
Der frühe, offene Mercedes-Benz W124er 300 CE-24 von 1991, zwanzig Jahre nach dem letzten offenen Viersitzer 280 SE 3.5, war noch ein über 100.000 Mark teurer Solitär. Ein Brillant des technisch Machbaren, ein großer hauseigener Konkurrent des brandneuen 129er-SL mit dem gleichen Motor. Elektrohydraulisches Verdeck, okay, zunächst gegen happigen Aufpreis von 4.000 Mark. Dazu kratzfeste Glasheckscheibe, bei bedrohlicher Querbeschleunigung ein automatisch ausfahrbarer Überrollschutz via hintere Kopfstützen und jede Menge Versteifungsbleche in der Bodengruppe und Schwingungstilger, die sich mit Macht gegen Verwindungen stemmen.
Es war noch die goldene Zeit großen ingeniösen Ehrgeizes beim Daimler, das Mercedes-Benz W124er Cabriolet setzte Maßstäbe in Steifigkeit, Crash-Sicherheit, Spaltmaßen und Allround-Eigenschaften. Es ist ein Cabriolet auch für Regen und Schnee. Eines in guten wie in schlechten Tagen, ein Cabrio, das einen nicht wie die Spaßroadster zum Glücklichsein verdammt. Eines das trösten kann mit viel Platz, Leder, Sitzheizung und einem Becker Mexico 2000, aus dem leise Sades „Stronger than Pride“ rieselt.
Mopf – die beiden Modellpflegemaßnahmen greifen
Doch das Mercedes-Benz W124er Cabrio ist nur eine Ableitung der Mittelklasse und hat nicht mehr jene souveräne, handverlesene Exklusivität der einstigen Flachkühler S-Klasse. Und später, ab der 1993er Plakettenkühler-Modellpflege, kamen sogar populistische Vierzylinder E 200 und E 220 rechtzeitig zur Umstellung auf die heute noch gültige Nomenklatur. Denn die E-Klasse war geboren. So hatte die viersitzige offene Mercedes-Yacht ihren bourgeoisen Charakter verloren. Hatte sie das wirklich? Unser turmalingrüner Mercedes-Benz W124er E 200 von 1997, ein rostfreier Italien-Import mit kaum eingefahrenen 126.000 Kilometern auf dem Tacho, spielt den Glamour-Part im Mercedes-Benz W124er C & C-Duett sehr überzeugend. Dafür sorgt vor allem die üppige Ledergarnitur mit allem Drum und Dran, sogar Armlehne vorn, die im hellen Farbton Champignon überzeugend zum mondänen Edelsteinfarbton des Lacks konveniert. Diese betörende Kombination ist einem geschmacksicheren Kenner eingefallen, der das Auto 1997 orderte.
Das war kurz vor der Final-Edition, erkennbar an AMG Leichtmetallrädern und Schriftzug auf dem Sportline-Stammplatz. Wegen drohender Luxussteuer genügte dem Käufer zwar der Zweiliter-Vierventiler mit 136 PS, doch er rüstete bei der Ausstattung weiter auf: Automatik, Klimaanlage, Becker-Radio, Leichtmetallräder und das Sportline-Paket summierten sich in der deutschen Preisliste auf rund 90.000 Mark. Lederpolsterung war erst ab dem Mercedes-Benz W124 E 220 Cabrio Serie. Beim Umstieg aus dem frühen Coupé merkt man durchaus die Segnungen der beiden Möpfe – Mopf steht bei Mercedes-Freaks für Modellpflege. So scheint der Qualitätseindruck subjektiv besser, das Auto wirkt eine Stufe wertiger, die Sitze sind viel körpergerechter profiliert. Das leicht tiefer gelegte Fahrwerk vermittelt eine sattere, souveränere Straßenlage und wirkt auch optisch ansprechender als das hoch in den Federn stehende Coupé.
Die aufwendige Raumlenkerachse mit ihren doppelten Querlenkern hinten vermittelt dabei einen sehr überzeugenden Kompromiss zwischen sanftem Abrollen und agilem Handling bei schnellem Kurvenfahren. Der gelingt beim Cabriolet eindeutig besser als beim deutlich untersteuernden Coupé, das im Ideal der Neutralität noch von einer Niveauregulierung unterstützt wird. Aber die doppelt so hohe Laufleistung ist dabei ein Handicap, das selbst die hochwertigen Michelin Pilot-Reifen nicht wettmachen können.
Sechszylinder mit höherer Laufkultur – doch den Vierzylinder kann er nicht abhängen
Selbst das Leistungsdefizit des Vierzylinders von 44 PS weiß das Cabriolet letztlich in einen Vorteil umzumünzen. Im Verbund mit der hoch effektiven Vierstufen-Automatik – welche die ausgeprägte Drehfreude des Vierventilers ausnutzt -, und einer recht kurzen Antriebsübersetzung gelingt es ihm, nicht nur dranzubleiben. Aus dem Stand beschleunigt es sogar besser. Erst nach längerem Anlauf zieht das Mercedes-Benz W124 Coupé vorbei, fährt aber nie davon – wobei die Gänge altersgerecht nie ganz ausgedreht wurden. Bei 5.000/min lässt man es gut sein, um die Autos zu schonen. Aber in der Laufruhe ist der Sechszylinder nicht zu schlagen, auch längere Etappen über die Autobahn erledigt er mit großer Gelassenheit.
Braucht man als Mercedes-Fan beide, um glücklich zu sein? Die Versuchung ist groß, einem guten, 15.000 Euro teuren Mercedes-Benz W124 Cabriolet noch ein mittelprächtiges Coupé für 2.500 Euro als Extra draufzupacken. Nur so, für alle Fälle.