Chevrolet Corvair im Fahrbericht
Porsche-Double aus den USA
Mit dem Chevrolet Corvair zeigten die Amerikaner 1960 ein außergewöhnliches Technikkonzept. Wie das Vorbild VW besaßen die Kompaktmodelle im Heck einen luftgekühlten Boxermotor - jedoch mit sechs Zylindern, Block und Köpfen aus Leichtmetall. Was kann das Porsche-Double?
Man ist ja inzwischen im Umgang mit Oldtimern so einiges gewohnt - aber eine Zweigang-Automatik in einem stattlichen Viersitzer-Cabrio, das einen Opel Rekord A in der Länge um einige Zentimeter überragt?
Chevrolet Corvair mit Sechszylinder-Boxer im Heck
Da kommt ein wenig Melancholie ins Spiel, auch wenn der Motor dieses roten Chevrolet Corvair Cabrio von 1963 immerhin stramme 85 SAE-PS leistet. Zu allem Überfluss trägt der offene Chevrolet Corvair noch die Sport verheißende Zusatz- Bezeichnung "Monza". Trotzdem gilt der Chevrolet Corvair als Meilenstein der Automobilgeschichte. Wie ein Technikobelisk ragte er aus dem Einerlei der riesigen, bevorzugt mit Kleinlaster-Technik ausgestatteten US-Straßenkreuzer heraus und sorgte seinerzeit auch in Europa für Aufsehen. Der Chevrolet Corvair verkörperte mit dem im Heck untergebrachten luftgekühlten Sechszylinder-Boxermotor aus Aluminium die konsequente Weiterentwicklung der VW Käfer-Idee.
Chevrolet Corvair größer und bequemer als VW Bus
Er war deutlich größer und bequemer als das Vorbild aus Wolfsburg, und es gab bereits nach kurzer Zeit gleich eine komplette Modellfamilie: ab 1960 die viertürige Limousine und das Coupé. Ein Jahr später folgten der fünftürige Kombi Lakewood, der Corvan im VW-Transporter-Stil (VW Typ 2 seit 1950) und dessen neunsitziger Bus-Ableger Greenbriar Sports Wagon sowie der originelle Frontlenker-Pick-up Rampside. Dessen seitlich zwischen den Achsen herunterklappbaren Bordwände dienten zugleich als Laderampen. Das Cabriolet kam 1962.
Zuletzt sollten wir nicht vergessen, dass das typische Designmerkmal des 1959 präsentierten Chevrolet Corvair, der rundum unterhalb der Gürtellinie verlaufende Karosseriefalz, von vielen späteren Modellen übernommen wurde - etwa dem Fiat 1300/1500, NSU Prinz IV und 1000, VW Karmann-Ghia Typ 34 und sogar von der Corvette der zweiten Generation, die 1963 auf den Markt kam.
Chevrolet Corvair Monza nahezu keine Kühlluftgeräusche
Bei so viel automobilhistorischer Reputation akzeptieren wir auch eine Zweigang-Automatik und starten voller Optimismus den Sechszylinder im Heck des Chevrolet Corvair. Der grummelt mit wenig Vibrationen hinter dem Nacken des Fahrers vor sich hin und macht im Gegensatz zu einem VW Käfer fast keine Kühlluftgeräusche. Das Kühlgebläse des Chevrolet Corvair liegt flach über dem Motor, saugt die Luft durch die mit zwei Reihen von Lüftungsschlitzen perforierte Motorhaube an und bläst sie an den verrippten Zylindern vorbei nach unten ins Freie. Unterhalb der Stoßstange befindet sich zudem ein üppig verchromtes Entlüftungsgitter.
Chevrolet Corvair alternativ auch mit Drei- oder Viergangschaltung
Das winzige, von oben nach unten zu bewegende Wählhebelchen der Zweigang-Automatik lugt schief unter dem Instrumententräger hervor, als schäme es sich für den eklatanten Mangel an Fahrstufen. Immerhin gab es für den Chevrolet Corvair alternativ auch ein Dreigang- und sogar Viergang-Schaltgetriebe.
Wir gehen auf "D" und geben kräftig Gas. Sofort und sogar mit dem von den Amis so viel geliebten Punch setzt sich das Cabrio in Bewegung. Respekt, ein V8 kann das nicht viel besser. Also runter vom Gas, und schwupp ist die zweite und damit schon letzte Fahrstufe drin - bei gerade mal 30 km/h. Doch auch jetzt beschleunigt der Wagen mit sanftem, gut spürbaren Druck spielend bis auf 100 km/h und bleibt dabei angenehm leise.
Chevrolet Corvair Monza Convertible wiegt nur 1.180 Kilogramm
Ein Blick auf die technischen Daten des Chevrolet Corvair Monza erklärt das kleine Beschleunigungswunder: Dank 2,4 Liter Hubraum steht bereits bei 2.300/min das maximale Drehmoment in Höhe von 174 Newtonmeter an; außerdem bringt das immerhin 4,57 Meter lange Chevrolet Corvair Cabrio nur 1.180 Kilogramm auf die Waage. Ein 5,4 Meter langes Chevrolet Impala Cabrio wog damals gut eine halbe Tonne mehr und war auf entsprechend starke Motoren und eine Dreigang-Automatik angewiesen. Im Vergleich zu diesem zwei Meter breiten Fullsize-Klassiker wird auch deutlich, weshalb der Chevrolet Corvair in den USA als Compact Car galt: Er war immerhin fast einen Meter kürzer und 30 Zentimeter schmaler als die etablierten Straßenkreuzer.
Chevrolet Corvair wirkt handlich
Dennoch fährt sich der Chevrolet Corvair wie die Großen: lässig und locker mit viel Komfort und leichtgängiger Lenkung. Freilich mangelt es dem Chevrolet Corvair im direkten Vergleich an Innenraumgröße; besonders die Fußräume für den Beifahrer und die Fond-Passagiere fallen nicht besonders üppig aus. Die Fahrer-Sitzposition ist angenehm hoch und lässt den Chevrolet Corvair im Verbund mit der übersichtlichen Karosserie sehr handlich wirken.
Nur ein Chevrolet Corvair Monza-Feeling will sich nicht so richtig einstellen. Das symmetrisch angeordnete, leicht in einen Rechtslenker zu verwandelnde Cockpit besitzt nicht die Spur von Sportlichkeit, aber immerhin Einzelsitze als Voraussetzung für das Schaltgetriebe mit Mittelschalthebel. Wer es sportlich wollte, der gönnte sich zur Chevrolet Corvair Monza- noch die Spyder-Option und erhielt nun wirklich alles, was ein Hobby-Rennfahrer begehrte: Mehrere Rundinstrumente einschließlich Drehzahlmesser und einen Abgasturbolader für den Boxer im Heck, der die Leistung auf 152 SAE-PS anhob.
Chevrolet Corvair Monza-Spyder-Paket für Cabrio und Coupé
Das Chevrolet Corvair Monza-Spyder-Paket war nur für das Cabrio und Coupé und nur mit Schaltgetriebe (Drei- oder Viergang) lieferbar. Es ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h und eine Beschleunigung von null auf 100 km/h in elf Sekunden. Noch mehr Power bot die 1965 eingeführte zweite, optisch etwas geglättete Chevrolet Corvair-Generation mit leichtem Hüftschwung, deren Turbo-Varianten jetzt Corsa hießen und in der Topversion sogar 180 SAE-PS leisteten. Die braven Kombi- und Van-Modelle nahm Chevrolet aus dem Verkaufsprogramm.
Chevrolet Corvair mit lebensgefährlichem Fahrverhalten
Vielleicht waren es gerade die Turbo-Piloten, die einige tödliche Unfälle verursachten, weil sie vom typischen Heckmotorübersteuern überrascht wurden. Das brachte den smarten Verbraucher-Anwalt Ralph Nader in die Bütt. Nader startete 1965 eine Kampagne gegen den Chevrolet Corvair, dem er ein lebensgefährliches Fahrverhalten vorwarf. Die Verkaufszahlen gingen deshalb trotz einer mit Corvette-Komponenten verbesserten Hinterachse in den Keller: von 247.100 Einheiten (1965) auf 109.880 (1966) und schließlich 15.400 (1968). Ein Jahr später nahm Chevrolet den Corvair aus dem Programm.